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Politik

Lateinamerika: Verheerende Folgen

Rosa Muñoz Lima
29. März 2020

Bei der Ausbreitung des Coronavirus befindet sich Lateinamerika zwei Schritte hinter Europa und den USA. Sollte sich die Region zu einem Epizentrum entwickeln, hätte dies massive politische und soziale Konsequenzen.

Coronavirus Honduras Militär verteilt Lebensmittel
Das Militär in Honduras' Hauptstadt Tegucigalpa verteilt LebensmittelBild: Getty Images/AFP/O. Sierra

Die Covid-19-Pandemie, die China zwischen Dezember und März gelähmt hat und seit Februar auch Europa heimsucht, breitet sich nun in ganz Lateinamerika aus und könnte in wenigen Wochen ihren Höhepunkt erreichen.

Der Zeitvorteil gab den lateinamerikanischen Ländern die Möglichkeit, aus den asiatischen und europäischen Erfahrungen zu lernen und teils schnelle und drastische Maßnahmen zu treffen. Dies werde aber nicht verhindern, dass das Coronavirus auf "vielerorts sehr prekäre" Gesundheits- und Versorgungssysteme trifft, warnt der Politikwissenschaftler Bert Hoffmann vom GIGA Institut für Lateinamerika-Studien. Quarantänen und Ausgangssperren würden die Volkswirtschaft der Region schwer treffen und die "ebenso mangelhafte soziale Versorgung " offenbaren.

In einer kürzlich am Madrider Real Elcano Institut veröffentlichten Studie, sagen die Forscher Carlos Malmud und Rogelio Núñez eine Verschärfung der schon seit langem schwelenden politischen und sozialen Spannungen in Lateinamerika voraus. Die Corona-Krise werde inmitten eines wirtschaftlichen Abschwungs, den "politisch geschwächten Regierungen wenig Spielraum für die Erhöhung öffentlicher Ausgaben geben", so die Autoren.

Stresstest für Volkswirtschaften Lateinamerikas

Bert Hoffmann vom GIGA Institut für Lateinamerika-StudienBild: GIGA/Susanne Dupont

"Die Rohstoffpreise sinken und werden wahrscheinlich das ganze Jahr über niedrig bleiben", so Bert Hoffmann. Nicht nur die erdölexportierenden Länder Ecuador und Venezuela, sondern auch andere Länder wie Argentinien werden von dem Rückgang der Nachfrage nach ihren Produkten auf dem chinesischen, europäischen oder amerikanischen Markt betroffen sein.

"Massiv betroffen werden auch all jene Länder sein, die vom Tourismus abhängig sind: in diesem Fall Mexiko und die gesamte Karibik. Und dies wird ihre Regierungen mittelfristig unter enormen Druck setzen und vor enorme soziale Herausforderungen stellen", sagt der GIGA-Forscher.

Auch die Exekutivsekretärin der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (Cepal), Alicia Bárcena, zeichnet ein düsteres Bild und prognostiziert einen Rückgang der regionalen Exporte nach China um elf Prozent. Darüber hinaus könne der Tourismussektor in der Karibik um 15 Prozent einbrechen.

Die Unterbrechung der globalen Lieferketten könnte vor allem die Fertigungssektoren in Mexiko und Brasilien betreffen (Automobilteile, Haushaltsgeräte und pharmazeutische Elektronik). Und all dies könnte zusammen mit sinkenden Investitions- und Rohstoffpreisen die Arbeitslosigkeit um bis zu zehn Prozent erhöhen und die Armut in der Region auf 220 Millionen Menschen anwachsen lassen.

Regierungen unter Druck

Die Corona-Pandemie überrascht die Region zudem in einer Zeit des politischen Umbruchs: Führungskrise in Chile, Wirtschaftskrise in Argentinien, Regierungen am Ende ihrer Mandatszeit in Peru und Ecuador, politische Instabilität in Bolivien, schwachen Verwaltungssystemen in weiten Teilen Zentralamerikas und der Karibik, politische Krisen in Nicaragua und Venezuela und populistischen Präsidenten in den beiden bevölkerungsreichsten Ländern Mexiko und Brasilien, die bislang eine Gefahr durch das Coronavirus verharmlosten.

Zwischen April und Mai, wenn die Pandemie in Lateinamerika ihren höchsten Stand erreichen könnte, stehen auch verschiedenen Wahlen in der Region auf der Kippe. Paraguay hat bereits seine Kommunalwahlen verschoben, die zwischen dem 16. März und 4. April hätten stattfinden sollen. Auch Chile und Bolivien haben ihr Verfassungsreferendum (26. April) beziehungsweise ihre allgemeinen Wahlen (3. Mai) verschoben. Noch nicht gekippt sind die Präsidentschaftswahlen in der Dominikanischen Republik (17. Mai) und die Kommunalwahlen in Uruguay (10. Mai).

In Ecuadors Hauptstadt Quito kontrolliert die Armee den AusnahmezustandBild: AFP/Ecuadorian Ministry of Defense

Schwaches Vertrauen in Institutionen

In einer Region, die geprägt ist von einem massiven Vertrauensverlust in die politischen Eliten, provoziert die Gewährung besonderer Befugnisse für die Exekutive, die Polizei und das Militär, sowie die Beschränkung der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit die Verschärfung politischer Konflikte. Der Lateinamerikaexperte Bert Hoffmann ist davon überzeugt, dass viel davon abhängen wird, ob diese Schritte durch begleitende soziale Maßnahmen und unbürokratische Hilfen flankiert werden.

"Das Virus wird nicht schnell verschwinden, und die große Gefahr, die ein solcher Ausnahmezustand mit sich bringt, besteht darin, dass er zu dauerhaften Veränderungen der Machtverhältnisse führt. Die Herausforderung für alle Akteure besteht darin, die Wiederherstellung der zeitweilig und ausnahmsweise ausgesetzten Freiheiten zu fordern", warnt Bert Hoffmann: "Das ist etwas, das heute nirgendwo mehr selbstverständlich ist, auch nicht in Deutschland oder Europa, trotz ihrer starken Institutionen, und es wird in Lateinamerika das ganze Jahr über ein Thema bleiben".

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