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Politik

Lateinamerika schaut gebannt in Richtung USA

29. Oktober 2020

Wenn am Dienstag in den Vereinigten Staaten gewählt wird, steht auch für den Süden Amerikas - von Mexiko bis Feuerland - viel auf dem Spiel. Dabei verkörpert Trumps Lateinamerikapolitik vor allem eines: Vernachlässigung.

Mexiko-Stadt | Coronavirus | Millenials & die Coronakrise
Bild: Mónica Vázquez Ruiz/DW

US-Präsident George W. Bush war in seinen zwei Amtszeiten 18 Mal in Lateinamerika, allein sechs Mal in Mexiko. Sein Nachfolger Barack Obama immerhin 14 Mal, unvergessen sein Besuch in Kuba im März 2016. Und Donald Trump? Ein einziges Mal, und das noch nicht einmal 48 Stunden, beim G20-Gipfel vor zwei Jahren in Buenos Aires - eine Häufigkeit, die auch den derzeitigen Stellenwert Lateinamerikas für die USA verdeutlicht. 

Riesiger Schaden in den Beziehungen

"Lateinamerika hat für die USA unter Trump außenpolitisch nicht mehr die Priorität" - Michael ShifterBild: Privat

Wenn jemand Trumps mangelndes Interesse für Lateinamerika erklären kann, dann ist das Michael Shifter. Die Beziehungen zwischen den USA und Lateinamerika sind seine Lebensaufgabe. Shifter ist seit fast 30 Jahren Professor für Lateinamerikastudien an der Georgetown-Universität in Washington, D.C. und Präsident der Organisation Inter-American Dialogue.

"Als Trump 2015 gewählt wurde, war mir klar, dass die Beziehungen einen immensen Schaden erleiden werden und genauso ist es unglücklicherweise auch gekommen", sagte Shifter der DW. "Sie zu reparieren, ist dringender denn je."

Trump nimmt Kuba in den Würgegriff

Wohl kein Verhältnis hat so großen Reparaturbedarf wie das zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten, das sinnbildlich steht für Trumps Blick auf den Süden. Obamas Handschlag mit Raúl Castro, der erste Besuch eines US-Präsidenten auf der Insel seit 88 Jahren und die Lockerung des Embargos scheinen schon Lichtjahre her zu sein.

Trump dagegen zog die Zügel an, verschärfte die wirtschaftlichen Sanktionen und ließ den Kalten Krieg wieder aufleben. Was unter dem Republikaner zählt, ist nicht etwa eine Entspannung der Beziehungen, sondern sind die Wählerstimmen der Exilkubaner im "Swing State" Florida, die Trump seine Wiederwahl sichern sollen.

Unter Biden kein Zurück in die Obama-Ära

"Die Kubaner wie auch die meisten Lateinamerikaner werden am Dienstag nägelkauend vor ihrem Fernseher sitzen und Joe Biden die Daumen drücken, Trump ist immens unpopulär", sagt Shifter. Demokrat Biden würde bei einem Wahlsieg die Beziehungen wieder stabilisieren, professionalisieren und vorhersehbar machen, glaubt der Politikwissenschaftler. "Das größte Problem in den vergangenen Jahren war, dass lateinamerikanische Politiker überhaupt keinen Ansprechpartner in der Trump-Administration hatten, das war frustrierend."

Diese Zeit lässt sich nicht zurückdrehen - Der damalige US-Präsident Barack Obama und Vizepräsident Joe Biden 2013Bild: Reuters/J. Reed

Gleichzeitig warnt der Lateinamerikaexperte aber vor der naiven Vorstellung, mit Joe Biden würde alles wieder wie zu Obama-Zeiten. "Wir haben das Jahr 2020, nicht etwa 2009 oder 2012 und auch bei den Demokraten hat sich der Blick auf Lateinamerika mit der Zeit geändert!"

"Baut die Mauer" als Wahlkampfschlager

Lateinamerika hat eigentlich einen riesigen Anteil daran, dass Donald Trump überhaupt vor vier Jahren ins Weiße Haus einziehen konnte. Genauer: die Angst vor den lateinamerikanischen Flüchtlingen in den USA. "Build the wall", "Baut die Mauer" skandierten Trump und seine Anhänger bei jeder Wahlkampfveranstaltung 2016.

"Niemand baut Mauern besser als ich": US-Präsident Trump an der Grenze zu Mexiko Bild: Jerry Glaser/Zuma/Imago Images

Der Bau der Mauer zu Mexiko war der Wahlkampfschlager schlechthin und sollte die US-Amerikaner vor den illegalen Migranten, "Vergewaltigern, Kriminellen und Drogenhändlern", den "Bad Hombres", so Trump, schützen. Und die Mexikaner sollten die Mauer sogar auch noch finanzieren. Um so erstaunlicher, dass ausgerechnet Mexiko mit einer Wiederwahl Trumps leben könnte.

Keine Flüchtlinge, dafür keine Strafzölle

"Ich muss gestehen, ich hätte nicht gedacht, dass die linke mexikanische Regierung von Andrés López Obrador sich mit der Trump-Administration vor allem in der Frage der Migration so einigen würde", sagt Shifter. Der Deal: Mexiko hält mit Tausenden Nationalgardisten die zentralamerikanischen Flüchtlinge ab, im Gegenzug erheben die USA keine Strafzölle auf mexikanische Produkte.

Ziemlich beste Freunde - Andrés Manuel López Obrador und Donald TrumpBild: picture-alliance/AP/E. Vucci

Für Mexiko eine Frage des wirtschaftlichen Überlebens, denn 80 Prozent seiner Exporte liefert das Land in die USA. Dafür stimmte Präsident López Obrador auch dem neuen NAFTA-Freihandelsabkommen zu, welches die Produktion in Mexiko verteuert und erträgt stoisch alle Attacken Trumps gegen seine Landsleute. "Seine Außenpolitik zielt darauf ab, alle möglichen Konflikte mit Trump schon im Keim zu ersticken. Und sie war dahingehend auch erfolgreich", resümiert Shifter.

Bolsonaro hofft auf Trump

Ausgerechnet der Präsident des größten lateinamerikanischen Landes arrangiert sich nicht nur mit Trump, er bewundert ihn sogar und drückt ihm für Dienstag fest die Daumen: Jair Bolsonaro in Brasilien. "Ich bin sein größter Fan und will, dass er wiedergewählt wird. Ich kann ihn immer anrufen, wenn mir etwas auf den Nägeln brennt", lobt der rechtsextreme Politiker den US-Präsidenten.

"Unsere Beziehungen werden sich in den kommenden Jahren noch vertiefen": Bolsonaro über TrumpBild: Andre Borges/dpa/picture-alliance

Der demokratische Herausforderer ist dagegen spätestens bei Bolsonaro unten durch, seit er Sanktionen gegen Brasilien wegen der Umweltpolitik gefordert hatte. "Biden würde auf Bolsonaro massiven Druck ausüben, die Abholzung und Zerstörung des Amazonasregenwaldes zu beenden", sagt Lateinamerikaexperte Shifter. 

Regierungswechsel in Venezuela bleibt das Ziel der USA

Bolsonaro war es auch, der März 2019 zusammen mit Trump ein militärisches Eingreifen in Venezuela nicht mehr ausgeschlossen hatte. "Alle Optionen liegen auf dem Tisch", hieß es damals aus Washington in Richtung der sozialistischen Regierung von Nicolás Maduro, die den USA schon lange ein Dorn im Auge ist und mit Wirtschaftssanktionen überhäuft wird.

Venezuela hofft auf einen Wahlsieg Bidens, Staatschef Maduro würde damit der Lieblingsfeind Trump verloren gehenBild: Reuters/M. Quintero

"So einen Satz wird man von Joe Biden nicht hören, trotzdem haben die Demokraten eine viel härtere Position gegenüber Venezuela eingenommen als noch unter Obama bis 2016", sagt Shifter, "Biden weiß ganz genau, dass Maduro ein Diktator ist, der alle Verhandlungen abgeblockt hat, auch er wird einen Regierungswechsel in Caracas anstreben."

China konkurriert mit den USA in Lateinamerika

Doch wer auch immer am Dienstag die Wahlen gewinnen wird, vielleicht haben die USA längst die Chance verpasst, ihren Hinterhof Lateinamerika ordentlich zu pflegen. China hat den Vereinigten Staaten in der Region mit Milliarden-Investitionen mittlerweile den Rang abgelaufen und Lateinamerika als Geldgeber Nummer Eins zu seinem Vorgarten gemacht. Der Kampf um den Status als Weltmacht Nummer Eins wird auch auf lateinamerikanischen Boden ausgetragen.

Trump und Biden verfolgen dabei eine unterschiedliche Strategie, die Region zurückzugewinnen, sagt Politikwissenschaftler Shifter: "Während Trump auf die lateinamerikanischen Regierungen Druck aufbaut, sich zwischen den USA und China als ihrem bevorzugten Partner zu entscheiden, wird Biden auf diplomatischem und multilateralem Wege versuchen, die USA als attraktivere Alternative im Vergleich zu China darzustellen."

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