1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Linksruck in Lateinamerika?

Camilo Toledo Leyva
22. Juni 2022

Auf der politischen Karte Lateinamerikas breitet sich die Linke immer weiter aus. Die Wahl des ehemaligen Guerrilla-Kämpfers Gustavo Petro zum kolumbianischen Präsidenten ist das jüngste Beispiel dafür.

Kombobild Gustavo Petro, Lopez Obrador, Alberto Fernandez und Gabriel Boric
Linke Staatschefs in Lateinamerika: Gustavo Petro (o.l.), Andres Manuel Lopez Obrador (o.r.), Alberto Fernandez (u.l.) und Gabriel Boric (u.r.)Bild: Fernando Vergara/Ismael Rosas/Thomas Padilla/Marcio Jose Sanchez/AP Photo/picture alliance

Mit dem Wahlsieg des linksgerichteten Gustavo Petro schließt sich Kolumbien der neuen Welle linker Regierungen an, die in Lateinamerika die Macht ergreifen. 2022 waren sowohl in Chile als auch in Honduras die linken Präsidentschaftskandidaten die Favoriten, und aktuellen Umfragen zufolge könnte auch der ehemalige brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bei den anstehenden Wahlen im Oktober die rechtsorientierten Kandidaten besiegen. 

Die lateinamerikanische Linke hatte einen zusätzlichen Grund zum Feiern: Noch nie zuvor hatte ein Kandidat dieses politischen Spektrums in Kolumbien eine Präsidentschaftswahl gewonnen. Der zukünftige Präsident Gustavo Petro und seine Vizepräsidentin Francia Márquez schlagen die Bildung einer neuen progressiven Achse in der Region zusammen mit anderen gleichgesinnten Amtskollegen vor. Die Staats- und Regierungschefs von Mexiko, Andrés Manuel López Obrador, Chile, Gabriel Boric, und Argentinien, Alberto Fernández, waren auch die ersten, die Petro zu seinem Wahlsieg gratulierten.

"Eine neue linke Welle ist in der Region auf dem Vormarsch", erklärt Jan Boesten im DW-Interview. Im Vergleich zur ersten Welle, zwischen 2000 und 2010, scheine diese jedoch stärker zu sein, da die heutigen Herausforderungen weitaus größer seien, so der Kolumbien-Experte vom Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin. Der Sieg der Linken in Lateinamerika liege vor allem am schlechten Pandemiemanagement, der wirtschaftlichen Krise und der wachsenden sozialen Ungleichheit.

Mit gereckter Faust bejubelt Gustavo Petro seinen Wahlsieg in KolumbienBild: Fernando Vergara/AP Photo/picture alliance

Eine Linke mit Schattierungen

Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends gewannen linksgerichtete Kandidaten entscheidende Präsidentschaftswahlen wie zum Beispiel Hugo Chávez in Venezuela, Lula da Silva in Brasilien, Néstor Kirchner in Argentinien, Michelle Bachelet in Chile, José Mujica in Uruguay, Evo Morales in Bolivien und Rafael Correa in Ecuador.

Der Politologe Boesten weist jedoch darauf hin, dass man eine "radikale Linke wie die von Chávez nicht mit einer moderaten Linken wie der von Lula da Silva oder Bachelet vergleichen kann. Jedes Land hat eine andere politische und soziale Realität".

Laut Flavia Freidenberg, der Leiterin des Observatoriums für politische Reformen in Lateinamerika, weisen die linken Regierungen in der Region nach wie vor ihre Schattierungen auf. Dabei müsste man zwischen sozialen, wirtschaftlichen und ideologischen Linken unterscheiden. "In erster Linie müssen wir jedoch zwischen demokratischen und nicht-demokratischen politischen Systemen unterscheiden", betont die Argentinierin im DW-Interview. Sie fügt hinzu, dass Venezuela, Nicaragua und Kuba, drei selbsternannte linke Regierungen, nicht zur Gruppe der demokratischen Länder gezählt werden können.

Folgt in diesem Jahr auch das Comeback von Brasiliens Expräsident Luiz Inacio Lula da Silva?Bild: Nelson Almeida/AFP

In Chile sehe die Realität laut Freidenberg ganz anders aus, da Präsident Boric  einer eher moderaten Linken vorstehe, bei der die Menschenrechte und die Freiheiten respektiert würden. Zu dieser mitte-links gerichteten Gruppe zählt die Expertin "im Moment noch" den argentinischen Präsidenten Fernández und dessen mexikanischen Amtskollegen López Obrador, obwohl dessen Beziehung zu wichtigen unabhängigen Organismen und Journalisten in den letzten Jahren immer angespannter geworden sei.

Stigmatisierung, eine gängige Praxis

Der Politologe Boesten erklärt, dass ihm die aktuelle Stigmatisierungs- und Erniedrigungskampagne im kolumbianischen Wahlprozess nicht überrascht habe. Die Vorwürfe, dass Petro das südamerikanische Land in ein "zweites Venezuela" verwandeln würde, seien nicht neu. "Diese Strategie, linksgerichtete Politiker mit Maduro und Terrorismus gleichzustellen, haben wir jüngst in Chile und Peru beobachtet". Allerdings sei sie nicht aufgegangen und ausschließlich dem jeweiligen Kandidaten zugutegekommen. "Ich glaube nicht, dass Petro die Demokratie in Kolumbien gefährdet", so der Experte. Als Bürgermeister der kolumbianischen Metropole Bogota und Senator sei er Teil des institutionellen Gefüges.

Laut Freidenberg besteht Petros große Herausforderung darin zu zeigen, wo er sich im linken Spektrum positionieren wird. Dass Petro ein ehemaliger Guerrilla-Kämpfer sei, stelle für sie kein Problem dar: "Der große Erfolg der Demokratisierung unserer Länder liegt darin, dass die Teile der Linken, die sich einst für den bewaffneten Weg entschieden hatten, mittlerweile über demokratische Wahlen am politischen Wettbewerb teilnehmen".