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Auf den Spuren des Kolonialismus

6. Juni 2020

Die Ära des Kolonialismus ist zwar vorbei, aber die alten Geister spuken noch: Ein Online-Festival des Goethe-Instituts ging auf Spurensuche - und wurde fündig.

Internationale Experten begegnen sich im Videochat beim Online-Festival Latitude des Goethe-Instituts | Juristenrunde
Bild: DW/S. Dege

Eigentlich sollte das Festival "Latitude" (Breitengrad) in Berlin stattfinden. Doch dann kam der Corona-Lockdown. Und so wich das Goethe-Institut kurzerhand ins Internet aus: Video-Diskussionen, Konzerte, Performances, sogar ein Radioprogramm kreisten drei Tage lang um die Frage: Wo ist Kolonialismus heute noch sichtbar? Wo wirken alte Machtverhältnisse nach? "Latitude" versammelte dazu Stimmen aus allen Teilen der Welt.

Die Frage ist aktueller denn je. Und als hätte es noch eines Beweises bedurft, überschattete der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd, der Opfer eines brutalen Polizeieinsatzes in Minneapolis wurde, die Festivalvorbereitungen. "Neben der Pandemie greift ein weiteres Virus um sich", stellte der in New York lebende Philosoph Souleymane Bachir Diagne gleich im Eröffnungsgespräch fest, "das ist der Rassismus." Der Münchener Moderator Malcolm Ohanwe hatte zuvor im DW-Interview gesagt: "Was in den USA geschieht, ist die Konsequenz aus kolonialen Strukturen." Mit der Polizeigewalt in den Vereinigten Staaten zeige der Rassismus seine hässliche Fratze. Doch sei Rassismus überall anzutreffen, auch in Deutschland.

Der Philosoph Souleymane Bachir Diagne Bild: DW/S. Dege

Nicht nur hier, auch in anderen früheren Kolonialstaaten konzentriert sich die Kolonialismusdebatte aber derzeit auf Fragen der Restitution von Kulturgütern, die in der Kolonialzeit verschleppt wurden und seither in den Sammlungen westlicher Museen schlummern.

Macron-Initiative beschleunigt Rückgabedebatte

Für einen Wendepunkt sorgte 2018 Frankreichs Präsident Emanuel Macron, als er einen Expertenbericht zur kolonialen Raubkunst in Frankreich vorstellte. Fazit der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und des senegalesische Ökonomen Felwine Sarr: Alle betroffenen Objekte seien bedingungslos zurückzugeben! Damit nahm die Rückgabe-Debatte auch in Deutschland Fahrt auf.

Spannend deshalb, was der Kontinente überschreitende Austausch von Juristen beim Online-Festival Latitude bringen würde: Wie lassen sich Rückgabeansprüche rechtlich begründen? Wer soll zurückgegebene Objekte bekommen? Welche Lehren lassen sich aus früheren Restitutionsdebatten ziehen? Kein Zweifel: Fragen gibt es genug, und ebenso viel voneinander zu lernen. "Restitution ist beides", merkte die Berliner Kultur- und Sozialanthropologin Larissa Förster an, "eine ethische und juristische Herausforderung."

Die Aufteilung Afrikas in einer zeitgenössischen Karikatur zur Berliner Kongokonferenz von 1884 Bild: picture-alliance/akg-images

Die größte Hürde für die Rückgabe von Raubgut ist nach Einschätzung des kanadischen Rechtsexperten Alexander Herman aber die ungeklärte Eigentumsfrage: Viele der heutigen Nationen hätten zur Kolonialzeit noch nicht existiert. Und rechtmäßige Empfänger seien häufig nicht Nationalstaaten, sondern Bevölkerungsgemeinschaften, sogenannte Communities. "Das macht die Verteilung schwierig", so Herman, der Vize-Direktor am Londoner Institute of Art and Law ist.

Alte Machtverhälnisse auch im Internet

Spielt das westlichen Museen in die Hände, die sich ungern von ihren Raubgut-Exponaten lösten? Ayisha Osori, Geschäftsführerin der Open Society Initiative für Westafrika, meldete sich aus Dakar im Senegal zu Wort: "Erstmal müssen die Exponate zurückkommen, dann kümmern wir uns um die Resozialisierung!" Fortschritte bescheinigte gleichwohl der namibische Jurist John Nakuta der in Deutschland geführten Rückgabe-Diskussion. Er lobte besonders den vom Deutschen Museumsbund herausgegebenen"Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten", an dem Experten aus elf Herkunftsgesellschaften mitgearbeitet hatten.

Nanjira SambuliBild: DW/U. Wagner

Gleich am ersten Tag hatte das Online-Festival nach Spuren des Kolonialismus im Netz gefragt. Denn unübersehbar verschärft der digitale Wandel die soziale und ökonomische Ungleichheit – zulasten benachteiligter Weltregionen, wie etwa die kenianische Internetaktivistin Nanjira Sambuli beklagte. Augenfällig wurde das in der Corona-Krise. Tatsächlich spiegelt der Sprachgebrauch im Internet die alten Machtverhältnisse: Mehr als die Hälfte aller Beiträge im weltweiten Netz sind auf Englisch formuliert. Für indigene Sprachen gibt es kaum Übersetzungsprogramme.

 

"Latitude – Machtverhältnisse neu denken", das digitale Festival des Goethe-Instituts, hat hier eine Mediathek im Internet eingerichtet, die Teile des Programms Revue passieren lässt.

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