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GesellschaftRumänien

Branişte: Frauen sollten in Rumänien ihre Stimme erheben

27. Januar 2022

Lavinia Braniştes Romane spiegeln das heutige Rumänien wider. In ihrem neuen Buch "Du findest mich, wenn du willst" geht es vor allem um Dysfunktionalität - in Partnerschaft und Gesellschaft.

Die rumänische Schriftstellerin Lavinia Branişte
Bild: Adi Bulboacă

Aus der Sicht einer jungen Frau geschrieben, verdeutlicht Braniştes neuer Roman die Rollenverhältnisse zwischen Mann und Frau im ex-kommunistischen Rumänien. Die Männer haben weiterhin das Sagen - oft auch bei jungen Paaren. Die einen kriegen die besseren Jobs und bewohnen Luxusappartements in bester Lage, die anderen zahlen horrende Mietpreise für Wohnungen in marodem Zustand. Erzählt wird die Geschichte dreier Paare aus zwei Generationen. Wie stellt sich die Wirklichkeit in Rumänien dar - über drei Jahrzehnte nach der Wende? DW-Kolumnistin Lavinia Branişte beschreibt die Lage.   

DW: Viele der Themen Ihrer Romane und Kurzprosa finden sich in Ihrem neuen Buch wieder, doch im Vordergrund steht das Thema Partnerschaft. Ungleiche, von permanenten Spannungen durchzogene, dysfunktionale Beziehungen... Warum war Ihnen das wichtig?

Lavinia Branişte: Das Thema Partnerschaft beschäftigt mich tatsächlich, denn es erscheint mir immer noch sehr mysteriös, wie zwei Menschen es langfristig zusammen aushalten können. Ich habe das in letzter Zeit oft beobachtet und auch viele Berichte oder Studien von Paartherapeuten gelesen. Über Untreue zum Beispiel. Es wird mich wahrscheinlich auch noch lange beschäftigen. In Rumänien leben wir weiterhin in einer Gesellschaft, in der die Männer eher das Sagen haben, in der Jungs immer noch von ihren Müttern verwöhnt werden, sowie später die Männer von den Frauen an ihrer Seite. Die Männer werden in diesem Sinne erzogen und so geht es weiter. Ich muss das leider sagen, bei allem Respekt für meine männlichen Freunde. Damit sich etwas wirklich ändert, müssten auch die Mütter von Jungs ihre Erziehung überdenken. So sieht es heute in Rumänien aus. Es ist noch viel nachzuholen in dieser Gesellschaft, die Jungs wohl bevorzugt.

Wo sehen Sie die Frau in der rumänischen Gesellschaft heute? Hat sich denn gar nichts seit 1989 getan?

Es gab eine Entwicklung, aber wir hinken den diesbezüglich fortgeschrittenen Gesellschaften Westeuropas hinterher. Durch bessere Kommunikationsmöglichkeiten und Zugang zum Internet könnten wir leichter aufholen. Die #MeToo-Bewegung war auch extrem wichtig. Ich habe mich viel mit Freunden - Frauen und Männern - darüber unterhalten und glaube, dass es auch in unserer Gesellschaft eine Veränderung bewirkt hat. Es hat eine positive Wirkung gehabt, aber es ist noch viel zu tun. Frauen sollten solidarischer untereinander sein und ihre Stimme erheben. Sie sollten die Medien nutzen, um Ungleichheit und Ungerechtigkeit in ihrem Leben anzuprangern. Dazu braucht es mehr Mut.    

Braniştes neuer Roman: "Du findest mich, wenn du willst" (rumänisch "Mă găseşti când vrei"), erschienen im Polirom-VerlagBild: Polirom

In ihrer Beziehung zu Victor ist die Protagonistin finanziell von ihm abhängig. Eine Abhängigkeit, die er sichtlich hegt und pflegt. Aus der Provinz stammend, muss sie in maroden überteuerten Bukarester Appartements wohnen, während er einen gut bezahlten Job hat und eine Luxuswohnung im Neureichen-Viertel "Corbeanca" bezieht.

Das war mir auch ein wichtiges Anliegen, als ich mit der Arbeit an diesem Roman anfing: die finanzielle Abhängigkeit der Frau. Ich wollte mehr erforschen zu diesem Thema und frage mich, inwiefern SEIN Geld SIE verführen könnte und welchen Preis sie dafür zu zahlen bereit wäre. Zu welchen Kompromissen sie bereit wäre.

Die Situation auf dem Arbeitsmarkt in Rumänien - vor allem für Frauen - ist ein weiteres Thema, das auch in Ihren ersten beiden Romanen vorkommt.

Diesbezüglich hat sich auch nicht viel verändert. Ich habe zwar seit Ende 2015 keinen Bürojob mehr, aber ich stelle fest, dass immer noch sehr viel Frustration herrscht auf dem Arbeitsmarkt. Der Mindestlohn ist weiterhin sehr gering, wobei das Leben immer teurer wird. Rumänien ist für uns, seine Einwohner, ein sehr teures Land. Die Mieten sind sehr hoch. Wir können kaum ein zufriedenstellendes Leben führen.

Und politisch? Abgesehen von der Pandemie und ihren Folgen, zeichnete sich das Jahr 2021 durch erbitterte Machtkämpfe aus, die in bisher unvorstellbaren politischen Allianzen gipfelten.

Das hat uns erheblich zurückgeworfen. Wir sind wieder enttäuscht, da fragt man sich, warum man überhaupt noch wählen geht. Andererseits ist es ja nichts Neues auf der politischen Bühne Rumäniens. Es gab ja ähnliche Situationen, in denen erbitterte Erzfeinde sich auf einmal brüderlich in den Armen liegen und eine Regierungskoalition bilden. Das macht uns Bürger müde, es zermürbt uns und erschöpft unser Hoffnungskapital, wie es ein Freund von mir treffend formulierte. Es ist ein auswegloses Labyrinth. Man wird als Bürger ausradiert. Man zählt überhaupt nicht. Es sind diese politischen Clans, die alle Ressourcen unter sich aufteilen. Das alles passiert unabhängig von unserem bürgerlichen Einsatz, als Wähler oder in sonst einer Form. Und dann? Man verlässt das Land. Oder man bleibt, aber dann losgelöst von allem - wenn man es nun kann. Es ist sehr ermüdend und schade, dass gerade jetzt, wo uns eine Kontinuität gut tun würde, sowie Experten, die das Pandemie-Problem im Griff haben könnten. Gerade jetzt, wenn wir Unterstützung von den Verantwortlichen bräuchten, hat man die Pandemie instrumentalisiert, um Politiker aus dem Weg zu räumen oder um welche in den Vordergrund zu bringen. Ich stelle fest, dass wir in den letzten 30 Jahren ein ziemlich kurzes Gedächtnis hatten. Wir vergessen sehr schnell und so kehren Politiker auf die Bühne zurück, die wir für immer in der Versenkung wähnten. Sie kehren immer wieder zurück. Und es sind viele.

Was müsste denn geschehen, damit sich etwas ändert?

Wir brauchen vor allem Experten, Menschen, die in ihren Jobs kompetent sind. Die Institutionen sollten von fähigen Leuten geführt werden und nicht von denen, die politisch ernannt wurden und leicht zu beeinflussen und zu ersetzen sind. Ich meine alle unterschiedlichen Institutionen, von Schulen bis zu den Wasserwerken oder dem Bahnwesen. Wir bräuchten mehr Bildung, Fachkräfte in allen Bereichen. Die Pandemie hat uns erneut gezeigt, wie viel Inkompetenz in unserem Land herrscht. Die Politik ist komplett realitätsfremd. Gerade jetzt wären Spezialisten nötig - auch im Bereich Kommunikation, sowie eine solide Impfkampagne.

Was wünschen Sie sich für 2022?

Noch einen Kurzprosaband zu schreiben wäre schön. Oder die Veröffentlichung einiger Kinderbücher, die verschiedenen Verlagen bereits vorliegen. Ich freue mich auf die Einladung zur Leipziger Buchmesse im März, die ich bekommen habe. Da geht es um eine Veranstaltung von "Traduki" über die Literatur Osteuropas. Da mein erster Roman in Spanien erscheint, bin ich zu Lesungen eingeladen worden. Ich freue mich, wieder auf Reisen zu sein und auf neue Begegnungen. Und dann wünsche ich mir auch, dass wir einen klaren Kopf bewahren. Uns weniger hassen und weniger Zeit in den sozialen Medien verbringen - stattdessen mehr mit Menschen. Und mehr Normalität. Auch dass ich es mir finanziell leisten kann, selbstständig zu bleiben und nicht andere Jobs annehmen muss, um zu überleben. Wenn ich es schaffe und weiter schreiben kann, dann reicht mir das und ich bin zufrieden. 

Die rumänische Schriftstellerin und Literaturübersetzerin Lavinia Branişte lebt und arbeitet in Bukarest. Ihr erster Roman mit dem rumänischen Originaltitel "Interior zero" wurde 2016 in Rumänien zum besten Roman des Jahres gewählt. 2018 folgte die deutsche Übersetzung unter dem Titel "Null Komma Irgendwas" im mikrotext-Verlag, Berlin. Bei mikrotext erschien auch ihr zweiter Roman "Sonia meldet sich“ (rumänisch "Sonia ridică mâna“) in der gleichermaßen vortrefflichen Übersetzung von Manuela Klenke. "Du findest mich, wenn du willst" ist ihr dritter Roman, den der rumänische Verlag Polirom herausgebracht hat.

Medana Weident Autorin, Reporterin, Redakteurin, vor allem für DW Rumänisch
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