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PolitikEuropa

Lawrow auf dem G20-Gipfel: Putins Selbstisolation

8. September 2023

Nachdem er nicht zum BRICS-Gipfel nach Südafrika geflogen ist, verpasst Wladimir Putin auch das G20-Treffen in Indien. Stattdessen hat er wieder seinen Außenminister Sergej Lawrow geschickt. Was steckt dahinter?

Lawrow und Putin, 2014
Lawrow und Putin im Jahr 2014Bild: picture-alliance/dpa/A. Zemlianichenko

Einen Vize-Präsidenten gibt es in Russland nicht und doch wirkt Außenminister Sergej Lawrow, als würde er ähnliche Funktionen übernehmen - zumindest in der Außenpolitik: Auf dem G20-Gipfel in Indien an diesem Wochenende wird Russland nicht durch Präsident Wladimir Putin, sondern durch seinen Chefdiplomaten repräsentiert. Wenige Wochen zuvor vertrat Lawrow den Kremlchef bereits beim BRICS-Gipfel in Südafrika.

In Expertenkreisen gibt es seit langem Vermutungen, dass Präsident Putin vor allem deshalb nicht nach Südafrika geflogen ist, weil er eine Verhaftung fürchtet. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hat im Frühling einen Haftbefehl gegen Putin erlassen. Begründung: Verdacht illegaler Kinderdeportationen im russischen Krieg gegen die Ukraine. Der Kreml weist diese Anschuldigungen zurück und erkennt die Zuständigkeit des IStGH nicht an. Südafrika tut dies dagegen und ist deshalb verpflichtet, Gesuchte auszuliefern.

"Indien als nicht sicher eingestuft"

Auch der Russland-Experte Felix Riefer nennt im Gespräch mit der DW den IStGH-Haftbefehl als Hauptgrund für Putins Absage, nach Südafrika zu reisen. Im Fall Indien scheint das als mögliche Erklärung nicht so offensichtlich, denn das Land hat die Zuständigkeit des Haager Gerichts nicht anerkannt.

"Indien wurde (in Russland) als nicht sicher eingestuft", sagt Riefer, der ein Buch über russische Außenpolitik geschrieben hat. Die Führung in Moskau habe zwar seit der Sowjetzeit gute Verbindungen nach Indien, doch gleichzeitig kooperiere die Regierung in Neu Delhi "mit dem Westen, auch mit den USA, und auch bei Waffenlieferungen". 

Lawrow Ankunft beim BRICS-Gipfel, August 2023Bild: Jacoline Schoonees/DIRCO via REUTERS

Südafrika und Indien sind nicht die einzigen Länder, in die Präsident Putin zuletzt nicht reisen mochte. Medienberichten zufolge wurde in der Türkei im August sein Besuch erwartet. Es kam anders: Putin empfing zu Hause in Sotschi seinen türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan.

Vor diesem Hintergrund nennen manche Beobachter den Sicherheitsaspekt als möglichen Grund, warum der russische Präsident nicht gerne in Länder fliegt, die er eventuell als unsicher einschätzt. Manche erwähnen dabei den Tod des Chefs der Söldnertruppe "Wagner", Jewgenij Prigoschin, bei einem Flugzeugabsturz in Russland.

Felix Riefer nennt es "Spekulation". Der Experte verweist aber darauf, dass China wohl das einzige Land sei, wo Putin demnächst einen Besuch plant - im Oktober.

Zuletzt war Wladimir Putin 2019 persönlich auf BRICS- und G20-Gipfeln präsent, also noch vor der Corona-Pandemie. Sein letztes persönliches Treffen mit US-Präsident Joe Biden war im Juni 2021 in Genf. Beim G20-Gipfel im Herbst 2021 waren sowohl Putin als auch der chinesische Staatschef Xi Jinping nur per Videoschalte dabei. Beide fehlen nun auch in Indien.

"Lawrow ist Putins Vollzugsgehilfe"  

Bedeutet die erzwungene oder gewählte Selbstisolation Putins auf internationalem Parkett eine stärkere Rolle für Außenminister Sergej Lawrow? Der 73-Jährige ist einer der engsten Mitstreiter Putins. 2024 wird er sein 20-jähriges Jubiläum als Außenminister feiern. Es ist ein Rekord für einen Minister unter Putin.

Der ehemalige US-Botschafter in Russland, John Sullivan, sagte im Januar 2023 der Zeitschrift Foreign Policy, Putin schätze Lawrow, weil er "effektiv" und "sehr erfahren und klug" sei. Vor der russischen Invasion in der Ukraine wurde Lawrow auch im Westen geschätzt, sagt Felix Riefer. Doch der russische Außenminister habe seien Ruf "aufs Spiel gesetzt", weil er "die Politik der Neuausrichtung des russischen Regimes" verteidigt habe.

Lawrow, von Fritsch, Putin, 2014Bild: Yuri Kadobnov/AFP/dpa/picture alliance

Riefer glaubt nicht daran, dass Lawrow nun die Rolle eines außenpolitischen Stellvertreters Putins bekommt: "Lawrow hat absolut nichts zu sagen in der russischen Außenpolitik, er muss auf Direktiven von Putin warten." Es werde "keine eigenständige russische Außenpolitik sein".

Lawrow sei in die Pläne des Angriffskrieges nicht eingeweiht gewesen, sagt Riefer. Nach Recherchen der Zeitung "Financial Times" wurde der Außenminister erst wenige Stunden vor dem Einmarsch am 24. Februar 2022 informiert.

Ähnlich schätzt den Außenminister auch Rüdiger von Fritsch ein, ehemaliger deutscher Botschafter in Moskau. "Lawrow war und bleibt Putins Vollzugsgehilfe", sagte der Diplomat der DW. "Begabt, klug, aber ohne die Statur eines Gromyko" - Andrei Gromyko war langjähriger sowjetischen Außenminister.

Der Experte Riefer glaubt, dass Putins Abstinenz bei Auslandsreisen durchaus Folgen für die russische Außenpolitik haben werde: "Das isoliert Russland immer weiter und es hängt davon ab, wie viel Raum Lawrow bei Verhandlungen gegeben wird". Insgesamt sei es ein "Signal der Schwäche" der russischen Führung, aber auch des Einflusses internationaler Institutionen wie des IStGH in Den Haag, die traditionell als "relativ machtlos" gelten.