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Politik

Lawrow in Teheran und Irans Blick nach Osten

12. April 2021

Russlands Außenminister reist zu einem kritischen Zeitpunkt nach Iran: In Wien ringt man um das Atomabkommen, und in Iran wird eine Atomanlage zerstört. US-Druck hat Iran eng an seine Partner im Osten gebunden.

Iran | Außenminister Dschawad Sarif und Sergei Lawrow
Der russische Außenminister Lawrow (links) und sein iranischer Kollege Sarif bei einem Treffen im Januar in MoskauBild: Russian Foreign Ministry Press Service/AP Photo/picture alliance

Es ist ein Treffen alter Hasen mit bekannten Problemen. Der russische Dauer-Außenminister Sergej Lawrow und sein iranischer Amtskollege Mohammed Dschawad Sarif kennen sich aus unzähligen Begegnungen in vielfachen Formaten. Wenn sie sich jetzt in Teheran begegnen, werden sie sich wohl auch mit dem "Zwischenfall" in der iranischen Nuklearanlage Natans befassen.

Erst am Samstag waren in der tief in einem Berg verbunkerten Anlage feierlich neue Zentrifugen für die Urananreicherung in Betrieb gegangen – in kalkulierter Verletzung des Atomabkommens.

Am Sonntag wurde in Natans ein "Problem im Stromnetz" gemeldet. Am Montag sprach Außenminister Sarif im iranischen Parlament von einem Terrorakt und erklärte, Israel versuche auf diese Weise, die nuklearen Errungenschaften des Iran und die Atomverhandlungen in Wien zu sabotieren. Auch israelische Medien wie der öffentlich-rechtliche Sender Kan berichten von einem Cyberangriff des Mossad - offensichtlich gefüttert durch Leaks aus Geheimdienstkreisen. Der israelische und US-Geheimdienste hatten gemeinsam bereits 2010 mit dem Computerwurm Stuxnet iranische Uran-Zentrifugen zerstört. Und schon letztes Jahr hatte es einen Brand in der Nuklearfabrik gegeben.

Pendeldiplomatie in Wien

Auch ohne den Zwischenfall von Natans hätte die Nuklearfrage ganz oben auf der Agenda Lawrows und Sarifs in Teheran gestanden. Schließlich hatten in der vergangenen Woche in Wien Verhandlungen über die Wiederherstellung des Atomabkommens mit dem Iran begonnen. Auch wenn die Vertreter des Iran und der USA nicht in einem Raum saßen: So nah wie in Wien waren sich beide Seiten seit Jahren nicht mehr gekommen – räumlich wie politisch. Die Pendeldiplomatie der im offiziell JCPoA genannten Abkommen verbliebenen Länder, darunter Deutschland, zwischen den USA und Iran machte Hoffnung auf baldige Fortschritte.

Russland hat großes Interesse am Erhalt des Atomabkommens. "Moskau hat den Vorschlag einer schrittweisen Rückkehr beider Seiten zur vollständigen Umsetzung des Abkommens eingebracht", erläutert David Jalivand. "Dieser Vorschlag würde die Abfolge der Schritte Irans und der USA auf dem Weg zu einer vollständigen Umsetzung des Atomabkommens durch beide Seiten festlegen", führt der Geschäftsführer von Orient Matters, eines auf den Nahen Osten spezialisierten Beratungsunternehmens, gegenüber der DW weiter aus.

Lawrow wird in Teheran vermutlich für diese schrittweise Rückkehr zum Atomabkommen werben, bei der beide Seiten einem festgelegten Fahrplan folgen. Das wird durch den vermuteten Angriff auf Natans nicht leichter geworden sein. Schon haben konservative Kräfte im Iran gefordert, die Wiener Verhandlungen zu verlassen. 

Pragmatische Zweckbeziehung

Zwar wurde vor fast genau 100 Jahren der sowjetisch-iranische Freundschaftsvertrag unterzeichnet. Aber eine Herzensangelegenheit ist das Verhältnis für keine der beiden Seiten. "Es ist eher eine pragmatische Zweckbeziehung. Beide Seiten verfolgen eine Reihe gemeinsamer Interessen, aber sie bilden keine strategische Allianz", so Jalilvand. 

Thomas Kunze leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Moskau. Für Russland sei Iran der Garant, dass an seiner Südflanke keine US-Stützpunkte entstünden, erläutert Kunze im DW-Gespräch. "Zweitens gibt es eine Interessensübereinstimmung der Russen und der Iraner in Syrien. Drittens sorgt die Gegnerschaft des Irans zur USA wie auch die Rivalität zur Türkei für Russland dafür, dass es im Nahen Osten eine Machtbalance gibt."

Zu den gemeinsamen Interessen gehört auch die Wirtschaft. Die US-Sanktionen haben den iranischen Außenhandel insgesamt zwar einbrechen lassen. Der russisch-iranische Außenhandel aber konnte gegen den Trend in den letzten zwei Jahren um 25 Prozent zulegen. "Geholfen haben hierbei Russlands Erfahrungen im Kontext Venezuela. Konkret: wie man das US-Finanzsystem umgeht, indem direkte Bankbeziehungen aufgebaut werden, um im bilateralen Handel den Rubel nutzen zu können", analysiert Nahost-Experte Jalilvand.

Statt Erleichterungen "maximum pressure": 2018 trat Donald Trump aus dem JCPoA ausBild: Reuters/J. Ernst

Blick nach Osten

Seit der ehemalige US-Präsident Donald Trump 2018 vertragswidrig aus dem Atomabkommen ausgestiegen ist und mit einer Flut von Sanktionen seine Politik des "maximalen Drucks" gegenüber Teheran eingeleitet hat, hat sich Iran vermehrt Partnern im Osten zugewandt. Das betrifft nicht nur Moskau.

Ende März hat Iran mit China ein Strategisches Partnerschaftsabkommen unterzeichnet. Im Raum steht die gigantische Summe von rund 400 Milliarden Dollar, die China angeblich in den nächsten 25 Jahren in Iran investieren will. Es geht vor allem in die Bereiche Energie, Verkehr und Telekommunikation. Im Gegenzug soll Iran zu vergünstigten Bedingungen Öl liefern. Auch eine militärische Zusammenarbeit wird ins Auge gefasst.

Die Verbindung trägt schon Früchte, vor allem bezüglich Irans wichtigstem Exportprodukt: Öl. Bereits Mitte März berichtete das "Wall Street Journal", dass Iran trotz der US-Sanktionen seine Ölexporte nach China deutlich ausweiten konnte – und weiter zu steigern plant.

"Es gibt in Teheran eine Denkschule, die den 'Blick nach Osten' propagiert und sagt, die Zukunft des Irans liege in guten Beziehungen mit Moskau und Peking", erklärt David Jalilvand. Der Nahost-Experte warnt aber davor, Rhetorik mit Substanz zu verwechseln – trotz der immensen Investitionssummen aus China, von denen die Rede sei. Bei dem Partnerschaftsabkommen handele es sich nach Aussage sowohl Teherans wie Pekings zunächst nur um einen Fahrplan für eine Vertiefung der Beziehungen.

Mehr Rethorik als Substanz? Iran und China unterzeichnen PartnerschaftsabkommenBild: Majid Asgaripour/WANA/REUTERS

"Nicht Osten, nicht Westen"

Zugleich hüteten sich die Iraner, strategische Partnerschaften einzugehen, stellt Cornelius Adebahr im DW-Interview fest. Der Iran-Experte von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, DGAP, verweist auf die iranische Verfassung: "Darin ist verbrieft, dass es keine Abhängigkeiten von ausländischen Mächten geben darf." Teheran wolle sich eine Alternative aufbauen. "Handel mit China über die Seidenstraße, damit es sich ausbalancieren kann", sagt Adebahr. Sollte mittelfristig wieder Handel mit Europa möglich sein, könnte Europa wiederum ein Gegenwicht gegen eine drohende chinesische Dominanz werden, prognostiziert Adebahr.

Zudem hat man in Teheran nicht vergessen, dass China Irans prekäre Lage in der Vergangenheit mehrfach ausgenutzt hat. Dazu kommt: Chinesische Produkte haben im Iran nicht den besten Ruf – im Gegensatz zu europäischen.

Allerdings erwarte man politisch in Teheran nicht mehr viel von Europa, konstatiert der DGAP-Experte. Zu tief sitze die Enttäuschung, dass die Europäer sich nicht erfolgreicher gegen die US-Sanktionen zur Wehr gesetzt hätten.

Handelsdrehkreuz Iran

In einem weiteren Punkt setzt Iran auf seine Partner im Osten. Iran sieht sich selbst als Drehkreuz zwischen verschiedenen Weltregionen und will sein geografisches Potenzial ausnutzen. Dabei sollen Moskau und Peking helfen. "In diesem Sinne begrüßt Teheran sowohl die Belt-and-Road-Initiative der Chinesen wie auch den Internationalen Nord-Süd-Transportkorridor, INSTC, mit den Russen." 

Noch ist vor allem der Nord-Süd-Transportkorridor mehr Zukunftsvision als Wirklichkeit. Bis dort tatsächlich Container rollen, werden sich Lawrow und Sarif noch viele Male getroffen haben - oder ihre Nachfolger.