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Politik

Le Pen umgarnt sie alle

2. Mai 2017

Front-National-Chefin Marine Le Pen bemüht sich um rechte, linke und bürgerliche Wähler, um am Sonntag Emmanuel Macron bei der entscheidenden zweiten Runde der Präsidentschaftswahl zu schlagen.

Präsidentschaftskandidat Marine Le Pen
Bild: picture alliance/AP Photo/F. Augstein

Marine Le Pen hat ein Problem: In den Umfragen liegt sie immer noch mit rund 40 zu 60 Prozent im Rückstand gegenüber Emmanuel Macron. Und im Gegensatz zu den Prognosen in den USA vor der Präsidentschaftswahl und in Großbritannien vor dem Brexit-Referendum, die völlig falsch lagen, hatten sie in Frankreich das Ergebnis der ersten Runde der Präsidentschaftswahl ziemlich exakt vorausgesagt.

So versucht Le Pen auf den letzten Metern vor der Wahl am Sonntag aufzuholen. Wie? Indem sie alle Wankelmütigen anspricht, die eigentlich konservativ oder links wählen, deren Denken aber mindestens teilweise zu ihrem Programm passen könnte. Und das sind ganz schön viele.

Einer der ausgeschiedenen Kandidaten aus der ersten Runde hat seine Wähler sogar offen aufgefordert, im zweiten Wahldurchgang für Le Pen zu stimmen. Das ist Nicolas Dupont-Aignan, ein konservativ-gaullistischer Euroskeptiker. Er hatte beim ersten Durchgang allerdings nur knapp fünf Prozent der Stimmen erhalten. Seine Partei ist in der Frage durchaus gespalten. Le Pen hat Dupont-Aignan jedenfalls gleich für seine Unterstützung mit der Zusage belohnt, im Falle ihres Wahlsieges werde sie ihn zum Ministerpräsidenten machen.

Den Linken eine Linke

Zahlenmäßig viel interessanter für Le Pen sind Wähler, die für den weit links stehenden Jean-Luc Mélenchon gestimmt haben, immerhin fast 20 Prozent. Mélenchon will das Land gegen die Globalisierung abschotten, ist für mehr Staatsinterventionismus und ein erbitterter Feind einer angeblich von Deutschland aufgezwungenen europäischen Sparpolitik - exakt dasselbe vertritt auch Le Pen. Mélenchon konnte sich nur zögernd aufraffen, seinen Wählern von Marine Le Pen abzuraten. Für Macron hat er sich nicht ausgesprochen.

Le Pen mit Arbeitern einer von der Schließung bedrohten FirmaBild: picture alliance/AP Photo

Deutlich wurde das große linke Potential auch bei den Demonstrationen am 1. Mai - vor allem im Vergleich zum Maifeiertag vor 15 Jahren. Damals stand Le Pens Vater Jean-Marie, so wie die Tochter heute, in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl. Doch während sich damals die Reihen gegen den Rechtsextremen schlossen und Jacques Chirac zu einem überwältigenden 82-Prozent-Sieg verhalfen, sind die französische Politik insgesamt und vor allem die Linke heute gespalten.

Zwei Gewerkschaften - CFDT und Unsa - haben dazu aufgerufen, für Macron zu stimmen. Für drei andere, darunter die größte, die CGT, ist der wirtschaftsliberale ehemalige Bankier ein Synonym für das Großkapital. Sie geben keine Empfehlung für ihn ab. Schon eine verbreitete Enthaltung bei den Wahlen dürfte Le Pen helfen, weil sie ihre eigenen Leute viel besser mobilisieren kann als Macron seine.

Den Konservativen eine Gemäßigte

Ebenso vielversprechend für Le Pen ist das Reservoir der Fillon-Wähler. Der Konservative François Fillon hatte in der ersten Runde ebenfalls etwa 20 Prozent Stimmenanteil. Doch während ein Teil der linken Wählerschaft die Front-National-Chefin wegen ihrer Wirtschaftspolitik wählen könnte, liegen die inhaltlichen Übereinstimmungen bei konservativen Wählern bei den Themen innere Sicherheit, Migration und Identität. Wie sehr sich Le Pen bemüht, dieses Potential anzuzapfen, hat sie am 1. Mai auf ungewöhnliche Art bei einer Rede gezeigt.

Einige gut informierte Zuhörer hatten nämlich bei einigen Passagen das Gefühl, das vor kurzem schon einmal gehört zu haben. Und tatsächlich: Fillon hatte zwei Wochen zuvor ebenso von Frankreichs "drei Meeresgrenzen" gesprochen und den früheren Ministerpräsidenten Georges Clemenceau zitiert, der Frankreich einen "Soldaten des Ideals" genannt hatte.

Macron bei Merkel - Le Pen stellt ihn als unterwürfig hinBild: Getty Images/AFP/J. MacDougall

In einer Passage, in der es um Deutschland ging, machte Le Pen aber einen bedeutsamen Zusatz. Fillon und Le Pen sprachen vom Rhein als der Grenze zur "germanischen Welt", mit der man in der Geschichte so viele Konflikte ausgetragen habe und mit der man doch heute zusammenarbeite, "solange" - und hier weicht Le Pen von Fillon ab: "wir den Status von Verbündeten wiedererlangen und keine Untergebenen oder Sklaven sind". 

Le Pens Wahlkampforganisatoren bestreiten gar nicht, dass ihre Chefin Fillon kopiert hat. "Mit einem Augenzwinkern" habe sie sich bewusst und anerkennend auf ihn bezogen, sagte FN-Vizechef Florian Phillipot auf "Radio Classique". Und Le Pens Lebensgefährte Louis Aliot fügte im Fernsehsender LCI das Entscheidende hinzu: "Ich glaube, dass wir mit einem Teil der Konservativen die Ansichten über nationale Identität und Unabhängigkeit teilen."

Um ihre Wählerschaft zu verbreitern, hat Marine Le Pen offenbar auch Abschied von einem unbedingten Euro-Ausstieg genommen, den Umfragen zufolge etwa 70 Prozent der Franzosen ablehnen. Der sei nach wie vor Ziel, sagt Vizeparteichef Philippot, Le Pen bezeichnet ihn aber nicht mehr als "Bedingung".

Macron als "letzte Chance" vor "tödlichem Abenteuer mit dem Populismus"

Die "Entdämonisierung" der Partei, die Marine Le Pen seit Jahren betreibt und zu der auch der Rauswurf ihres Vaters gehört, geht damit weiter. Die französische Politikwissenschaftlerin Cécile Alduy sagt: "Sie hat jedem ein bisschen zu bieten." Vor allem habe sie es geschafft, sich als Vertreterin der kleinen Leute zu empfehlen und darin die kommunistische Partei ersetzt. Auch ihr Frausein habe sie geschickt eingesetzt. In einem Wahlvideo sagt Le Pen, "als Frau" sei sie besorgt über den fundamentalistischen Islam  und "als Mutter" sorge sie sich um die Zukunft. Das, sagt Alduy, wirke "weniger aggressiv" als ihr Wahlprogramm und auch als ihr Vater.

Macron versus Le Pen: Globalisierung gegen Abschottung, Offenheit gegen Nationalismus

All das dürfte nach allen Vorhersagen aber nicht für einen Wahlsieg Le Pens reichen. Doch manche Experten richten den Blick bereits auf die nächste Wahl. Christophe Barbier vom Nachrichtenmagazin "l'Express" meint, alles komme jetzt auf eine erfolgreiche Amtszeit von Emmanuel Macron an: "Wenn es Macron nicht schafft, wird die nächste Präsidentin Marine Le Pen oder (ihre Nichte) Marion Maréchal Le Pen heißen. Das ist die letzte Chance, dass sich Frankreich in Ordnung bringt, bevor ein tödliches Abenteuer mit dem Populismus beginnt." Sollte die heute 27-jährige Marion Maréchal-Le Pen irgendwann antreten, wäre das die dritte Generation der Le-Pen-Familie, die versucht, in den Elysée-Palast einzuziehen.