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Politik

Leben im Rakhine-Staat nach den Gewaltexzessen

Verena Hölzl aus Sittwe
6. September 2018

Während das Schicksal Hunderttausender Flüchtlinge der Rohingya in Bangladesch weiter unklar ist, geht im Krisenstaat Rakhine in Myanmar das Leben weiter. Aber auch die ethnischen Probleme sind weiter ungelöst.

Rohingya-Konflikt in Myanmar
Bild: picture-alliance/dpa/epa/N. Win

Nichts weniger als ein Völkermord soll sich in Myanmars Teilstaat Rakhine abgespielt haben. Etwa hundert Kilometer südlich vom Tatort sitzt Than Than Nwe vor ihrem Holzhaus auf Stelzen. Die 34-Jährige weiß von alledem nichts. Sie strahlt. Sie betont mehrfach, wie glücklich es sie mache, so hohen Besuch in ihrem Haus zu haben. Die Grünen-Politikerinnen Katrin Göring-Eckhardt und Renate Künast sind zu Gast.  

Die vierfache Mutter erzählt, dass sie noch nie in der nahegelegenen Stadt Sittwe war und ihr Mann wie viele andere aus dem Dorf in den Jade-Minen im Norden des Landes arbeiten muss, um die Familie über die Runden zu bringen. Dank deutscher Entwicklungshilfegelder haben die Dorfbewohner vor kurzem Gemüsebeete und eine neue Gesundheitsstation bekommen.

Than Than Nwe, vor ihrem Holzhaus im Staat Rakhine, freut sich über Unterstützung und Besuch aus Deutschland Bild: V. Hölzl

Normales Leben für Birmanen im Krisenstaat Rakhine

In Myanmar ist jedes dritte Kleinkind aufgrund von Mangelernährung unterentwickelt, in Rakhine liegt die Rate bei fast 40 Prozent. Der Staat im Westen der ehemaligen Militärdiktatur ist einer der ärmsten des Landes. Jahrzehntelang hat die Militärregierung die muslimische Minderheit der Rohingya marginalisiert und ihnen nach und nach die Staatsbürgerschaft entzogen. Heute sind die Rohingya die größte staatenlose Gemeinschaft der Welt.

Was Militär und Regierung als legitime Reaktion auf einen Angriff von Aufständischen im vergangenen August bezeichnen, wurde vergangene Woche von einer von den UN eingesetzten Expertenkommission als Völkermord bezeichnet. Mehr als 700.000 Rohingya flohen vor dem Militär ins angrenzende Bangladesch.

Auch Khin Cho Win weiß davon nichts. Die 22-jährige Hebamme ist aus Pakkoku in Zentral-Myanmar in die Grenzregion gezogen, weil es dort nicht genug gut ausgebildetes medizinisches Personal gibt. Ihre Familie und Freunde seien anfangs reserviert gewesen. Schließlich gelte Rakhine als unterentwickelt und gefährlich. "Aber hier im Ort gibt es keine Muslime, hier ist es sicher", sagt Khin Cho Win. In den Lagern war die Hebamme noch nicht. "Dort arbeiten andere", erklärt sie und wechselt schnell das Thema.

Khin Cho Win, Hebamme in der noch nicht fertigen Gesundheitsstation im Staat Rakhine, will dort zur Verbesserung der medizinischen Versorgung beitragen, aber die Rohingya werden davon wohl nicht profitierenBild: V. Hölzl

Leben im Lager für Rohingya auf Dauer?

2012 brachen im Rakhine-Staat Unruhen mit weit über 100 Toten zwischen Buddhisten und Muslimen aus, Tausende Häuser brannten nieder und rund 100.000 Menschen wurden zu Binnenflüchtlingen. Daraufhin siedelten die Behörden die Rohingya in gesonderten Lagern (Artikelbild) und Gemeinden an - zu ihrer eigenen Sicherheit, wie sie sagten. Die mit Stacheldraht abgezäunten Gebiete, von denen es mehr als ein Dutzend gibt, dürfen sie seither nicht ohne weiteres verlassen. Die Menschen sind auf Zuwendungen internationaler Hilfsorganisationen angewiesen.

Die Regierung verspricht seit einem Jahr, die Lager aufzulösen. Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen, die aufgrund der angespannten Lage Journalisten nur anonym Auskunft geben, können darüber nur lachen. "Es werden auf dem selben Gelände ein paar neue Hütten gebaut und das war's", sagt einer von ihnen.

In einem der Lager nahe der Provinzhauptstadt Sittwe berichtet eine Rohingya namens Lar Me, wie sehr sie ihr altes Leben vermisse. "Wir wollen endlich nach Hause gehen", erklärt sie. Seit sechs Jahren darf sie sich so wie hunderttausend andere Rohingya in Myanmar nicht frei bewegen. Weil sie keine Ausweispapiere haben, ist auch die Flucht ins Ausland gefährlich.

Es sei schwierig, im Camp Geld zu verdienen, es gebe nicht ausreichend Möglichkeiten die Kinder in die Schule zu schicken und es mangele an medizinischer Versorgung. "Wir sterben hier an Krankheiten, die man leicht heilen könnte", sagt ein junger Mann namens Brights.

Renate Künast (r) mit Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckhardt waren zu Besuch in im Rakhine-Staat von Myanmar. Bild: V. Hölzl

"Myanmars Führung verschließt Augen vor der Realität"

Während die Weltgemeinschaft geschockt ist angesichts des Schicksals der Rohingya, auf das sie zumeist erst durch die Bilder von der spektakulären Fluchtwelle vor einem Jahr aufmerksam wurde, leugnen Regierung und Militär Menschenrechtsverletzungen stoisch. "Es kann doch nicht sein, dass man einfach die Augen vor der Realität verschließt", sagte die deutsche Bundestagsabgeordnete Renate Künast nach Gesprächen mit politischen Eliten in Myanmar entsetzt.

Der ehemalige Pariah-Staat fühlt sich zu Unrecht schon wieder an den Pranger gestellt. Der jüngste Bericht der UN wird offiziell als einseitig abgetan. Allerdings blieb der Untersuchungskommission der Zugang zum Konfliktgebiet in Myanmar verwehrt.

Aung San Suu Kyi - abgeschirmt von der RealitätBild: Reuters

Suu Kyis fataler Pakt mit dem Militär 

Ausländische Beobachter stehen der Meinung vieler Birmanen nach von vornherein auf der Seite der Muslime und verstünden die komplexe Situation im Land nicht. Damit ist die fragile Machtaufteilung gemeint, auf die sich die Friedensnobelpreisträgerin und Staatsrätin Aung San Suu Kyi mit dem Militär eingelassen hat, um ihr Land endlich in die Demokratie führen zu dürfen. Jegliche Kritik am übermächtigen Militär, das die Macht jederzeit wieder an sich reißen könne, verbietet sich deshalb in den Augen vieler Birmanen.

Zwei birmanische Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters wurden diese Woche nach Recherchen zu den Vorkommnissen im Konfliktgebiet wegen Verrats von Staatsgeheimnissen zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Aung San Suu Kyi, die im Land wie eine Heilige verehrt wird, hat ihr moralisches Gewicht bisher weder für die beiden Journalisten noch für die Rohingya geltend gemacht. "Sie hatte die Wahl, sie hätte nicht zum Sprachrohr des Militärs werden müssen", sagte der UN-Menschenrechtschef Zeid Ra'ad al Hussein jüngst in einem Interview mit der BBC. "Sie hätte einfach zurücktreten sollen."

 

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