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PolitikKosovo

Vergewaltigte Männer in Kosovo

Vjosa Cerkini (aus Prishtina)
12. März 2024

Während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien waren Massenvergewaltigungen ein verbreitetes Kriegsverbrechen, besonders in Kosovo 1998/99. Auch Männer zählten dazu. Ein Betroffener erzählt der DW.

Serbische Stellungen in Kosovo 1999
Serbische Stellungen in Kosovo 1999Bild: Louisa_Gouliamaki/dpa/picture-alliance

Shaban war 1998 gerade einmal 19 Jahre jung. Der Kosovo-Albaner, der mit richtigem Namen anders heißt, möchte der DW seine traumatische Geschichte lieber anonym erzählen. Als im September 1998 serbische Truppen bei ihrem Vormarsch gegen die Kosovo-Befreiungskämpfer der UCK seinen Bezirk in Zentralkosovo erreichten, verhafteten sie ihn und rund 200 weitere Männer und brachten sie auf die Polizeistation. Er ahnte damals nicht, dass das, was dann passierte, sein ganzes Leben verändern würde.

Einzeln habe man sie zu Verhören aufgerufen, berichtet Shaban. Der Umgang war rau und demütigend. Immer wieder wurden sie geschlagen und getreten. Shaban holten sie gezielt aus der Reihe der Verhafteten heraus. "Dann brachten mich die Polizisten in eine Toilette und taten mir das Schlimmste an”, erzählt Shaban mit zittriger Stimme. Das Schlimmste - so nennt er die Vergewaltigung. Über Details möchte er nichts sagen. Er ist auch jetzt, Jahrzehnte danach, kurz vor einem Tränenausbruch, so schlimm ist seine Erinnerung. Aber das war erst der Anfang. Sie steckten ihn ins Gefängnis wegen Terrorismus. "Der Vorwurf der terroristischen Tätigkeit war haltlos und einfach nur erfunden", sagt Shaban.

Kosovo und die NATO

Die Eskalation in dem Krieg zwischen den Serben und den Kosovo-Albanern - vor allem die Massaker von Recak und Prekaz, bei denen rund 100 Kosovaren durch serbische Sicherheitskräfte getötet wurden - führten schließlich zum Eingreifen der NATO. Im Juni 1999 mussten sich die Serben unter dem Druck der NATO-Angriffe ergeben. Der Versuch, die Autonomie der Kosovo-Albaner innerhalb Serbiens aufzuheben, die ihnen der jugoslawische Staatsgründer Tito garantiert hatte, war gescheitert. Für Shaban bedeutete das aber nicht das Ende seiner Leiden. Er wurde aus dem Gefängnis in Kosovo nach Nis im Süden Serbiens verlegt und blieb noch drei weitere Jahre bis 2001 gefangen.

Shaban möchte weder sein Gesicht zeigen, noch seinen wirklichen Namen nennenBild: Vjosa Çerkini/DW

Vergewaltigungen sind geächtete Kriegsverbrechen. Vor allem Frauen sind die Opfer. Von vergewaltigten Männern hört man dagegen fast nichts. Dabei bedeutet eine Vergewaltigung für sie ein mindestens ebenso großes Stigma wie für Frauen. "Das traditionelle Konzept des Mannes als einer starken Figur, die sich schwierigen Herausforderungen stellt, steht im Widerspruch zur Erfahrung sexueller Gewalt im Krieg", sagt die Psychologin Sevie Izeti, die sich mit dem Thema vergewaltigter Männer seit Jahren beschäftigt.

"Psychologisch gesehen erschüttert sie die Erfahrung sexueller Gewalt in ihren Grundfesten der eigenen Identität und bringt sie dazu, dieses Leiden geheim zu halten", so Selvie Izeti. "Sie fühlen sich schwach und beschämt." Eine logische Folge daraus sei, "dass Männer es geheim halten und somit schwerer als Frauen Zugang zu den notwendigen Rehabilitationsdiensten haben und sich nur ungern einer professionellen Behandlung und Anerkennung ihres Status unterziehen." Das sei auch der Grund, warum sich bis jetzt nur ein paar Dutzend Opfer beim kosovarischen Rehabilitationszentrum für Folteropfer des Krieges gemeldet hätten. 

Die Familie weiß nichts 

Mitten in Prishtina liegt der Heroinat-Platz (Heldinnen-Platz) zum Gedenken an die weiblichen Vergewaltigungsopfer gleich neben dem Wahrzeichen und Motto Kosovos: NEWBORN. Das vier mal fünf Meter große Relief eines Frauengesichts wird aus 20.000 Metall-Plaketten geformt, von denen jedes eine vergewaltigte Frau während des Krieges symbolisiert. Der Staat zahlt eine monatliche Rente von etwas mehr als 200 Euro an die nachgewiesenen Vergewaltigungsopfer. Dieser Nachweis bedeutet aber, sich seinen Erlebnissen zu stellen und diese vor einer Kommission zu schildern.

Erinnerung an die vergewaltigten Frauen im Kosovokrieg 1998/99Bild: Bettina Marx/DW

Für Shaban war es lange Zeit nicht vorstellbar, vor einer Kommission zu sprechen. Nicht einmal seine Familie kennt sein Schicksal. Er ist verheiratet und hat Kinder. Seine Geschichte vertraute er seiner Familie aber nicht an. So geht es auch vielen anderen Opfern, die über das Verbrechen an ihnen schweigen. Shaban entschloss sich schließlich dennoch, vor der Kommission zu sprechen, und er ist heute einer von denen, dessen Vergewaltigung während des Kosovo-Krieges anerkannt ist.

Die Qualen des Lebens danach

Die Folgen seiner Vergewaltigung sind massiv. Shaban lebt jeden Tag in Angst. Ohne Therapie kann er nicht schlafen. Shaban ist seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis in ärztlicher Behandlung und unter Dauermedikation. "Ich kann ohne Medikamente überhaupt nicht richtig leben. Zwei Tage war ich einmal ohne, dann begann mein ganzer Körper zu zittern und die Erinnerungen kamen wieder hoch".

20.000 kleine Plaketten mit dem Konterfei einer Frau erinnern an die Vergewaltigungsopfer während des Kosovo-Krieges 1998/99 Bild: Bettina Marx/DW

Die Regierungskommission Kosovos, die die Opfer erfasst, erkannte den Status von Opfern sexueller Gewalt bei 1629 Personen an; davon sind 1540 Frauen und 89 Männer, inklusive Shaban. Wenn die Anzahl der Plaketten auf dem Heldinnen-Platz für die Opfer nur annähernd richtig ist, liegt die Dunkelziffer um das rund 12-fache höher. Im Umkehrschluss bedeutet das auch, dass man von gut 1000 vergewaltigten Männern während des Kosovo-Krieges ausgehen kann.

Geheimhaltung wichtiger als Geld

Über dieses Thema wird bislang nicht offen gesprochen. Auch die Aussicht auf eine Entschädigung bringt potenzielle Opfer nur selten dazu, sich zu offenbaren. Dabei wäre es für die Betroffenen eine große Erleichterung, wenn sie sich mit jemandem vertraulich unterhalten könnten. "Das Gespräch wäre wie eine spirituelle Befreiung", sagt Shaban. "Es geht nicht um Geld. Für uns sind Behandlung und Vertraulichkeit viel wichtiger." Auch deshalb hat sich die Mehrheit der Vergewaltigungsopfer bis heute für das Schweigen entschieden.

"Wenn die Leute es herausfinden, habe ich nichts, wofür ich leben könnte", sagt Shaban. "Meine ganze Angst besteht darin, dass meine Verwandten oder jemand anderes mein Geheimnis entdeckt. Dann würde man sich über mein Schicksal das Maul zerreißen, das ist meine größte Angst."

Vjosa Cerkini Themen: Kosovo, die anderen Westbalkan-Länder und deren Verbindungen zum Westen