Leben nach der Flucht: Angekommen (Teil 1)
10. Juni 2017Ali Alrubaye fühlt sich wie in einer Warteschleife. Der 33-jährige Iraker ist gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder nach Deutschland gekommen. In seiner alten Heimat hat er als Bäcker gearbeitet. Nicht nur die schlechte Sicherheitslage im Land trieb ihn nach Europa. Er sei zudem massiv von der Mafia bedroht worden, erzählt er.
Seit rund einem Jahr lebt er mit seinem Bruder in einem gemeinsamen Zimmer einer Erstaufnahmeeinrichtung in Bonn. Sein Status ist ungewiss, sein Asylantrag wurde abgelehnt. Nun hat er sich einen Anwalt genommen und hofft auf eine zweite Chance. Gemeinsam mit seinem Bruder will er in eine richtige Wohnung ziehen und sein eigenes Geld in einem Restaurant verdienen. Doch bis dahin liegt noch ein steiniger Weg vor ihm.
Rund 1,2 Millionen Menschen sind 2015 und 2016 nach Deutschland eingereist, um Asyl zu beantragen. Seitdem beherrscht das Thema "Flucht und Migration" wie kaum ein anderes die Medien. Dabei ist es nicht das erste Mal, dass viele Menschen in einem kurzen Zeitraum in die Bundesrepublik flüchten: Anfang der 1990er Jahre kamen hunderttausende Menschen, vor allem aus dem zerfallenden Vielvölkerstaat Jugoslawien. Die Jahrzehnte davor waren geprägt durch Einwanderung aus den damaligen Ostblockstaaten.
Wie lange die Menschen bleiben, die in den vergangenen zwei Jahren gekommen sind, ist ungewiss. Viele stammen aus Ländern, die vermutlich auch in den kommenden Jahren von Bürgerkrieg und einer instabilen Sicherheitslage geprägt sein werden. Deren Inklusion in Deutschland wird für die ganze Gesellschaft wichtig werden.
Im Herbst und Winter 2015 standen die Unterbringung der Menschen und die Bewältigung einer enormen Verwaltungsaufgabe im Vordergrund. Jetzt geht es darum, das neue Leben und in Deutschland so gelingend wie möglich zu gestalten. Die Deutsche Welle schaut deshalb auf wichtige Kernthemen: Woher kommen die Menschen? Wie viele der Geflüchteten haben eine Arbeit gefunden? Wie sieht der Schulalltag aus?
Angekommen in Deutschland
Beim Blick auf die Zahlen zur Einwanderung nach Deutschland wird deutlich: Die allermeisten Menschen stammen nicht etwa aus Syrien, sondern aus Europa. So kamen laut dem Statistischen Bundesamt 2015 etwa 2,1 Millionen Menschen nach Deutschland. Etwa 45 Prozent kamen aus der Europäischen Union und 13 Prozent aus weiteren europäischen Ländern. Vor allem aus dem krisengeschüttelten Süden der EU machten sich viele Menschen auf den Weg nach Deutschland, um endlich wieder einen Job zu finden.
Doch viele Menschen suchten auch Schutz in der Bundesrepublik. Reichten 2015 rund 476.000 Menschen einen Asylantrag ein, waren es 2016 bereits 745.000 Menschen. Viele Menschen, die 2015 eingereist waren, konnten wegen der Überlastung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg erst 2016 ihren Asylantrag stellen. So ergibt sich, dass 2016 zwar deutlich weniger Menschen eingereist sind, die Zahl der Asylanträge aber deutlich höher lag als im Vorjahr.
In diesem Jahr hat sich die Zahl deutlich verringert: Lediglich 76.000 Asylanträge wurden bis April 2017 gestellt. Das sind deutlich weniger als in den Vorjahren. Nach Angaben der Bundesregierung hängt das vor allem mit dem EU-Türkei-Abkommen und der geschlossenen Balkanroute zusammen. Allerdings lagen dem BAMF Ende Dezember noch rund 430.000 unentschiedene Anträge vor – auch dies wird sich auf die Zahlen auswirken.
2016 kamen die allermeisten Schutzsuchenden aus Syrien. Die zweit- und drittgrößte Gruppe kam aus Afghanistan und dem Irak. Die Schutzquoten sind jedoch unterschiedlich hoch. Während Syrern sehr häufig Asyl gewährt wird, haben Menschen aus Afghanistan beispielsweise deutlich schlechtere Karten - obwohl aus Sicht vieler Experten und Oppositionspolitiker die Sicherheitslage schlecht ist. Nur noch jeder zweite Afghane soll demnach Schutz erhalten. Mehr als ein Drittel der Asylsuchenden insgesamt ist laut Pro Asyl weiblich. Demnach stimme es nicht, dass sich fast nur "junge, alleinstehende Männer" auf den Weg machten, so die Organisation.
Auch wenn es in der Alltagssprache oft synonym verwendet wird: Als Flüchtling werden nur diejenigen Menschen bezeichnet, die tatsächlich auch Schutz erhalten. Doch nicht jeder Asylsuchende wird auch letztendlich Asyl bekommen. Von den Menschen, die derzeit hier leben, sollen laut dem Bundesinnenministerium etwa 54.000 Menschen abgeschoben werden. Rund 153.000 Menschen sind geduldet, das heißt ihre Abschiebung wurde lediglich ausgesetzt. Sie müssen in der Regel damit rechnen, nach einigen Monaten Deutschland verlassen zu müssen.
Etwa eine halbe Million Menschen befinden sich in einem laufenden Verfahren - sie wissen noch nicht, ob sie bleiben dürfen oder gehen müssen. Nur rund 600.000 Menschen sind nach dem Grundgesetz, der Genfer Flüchtlingskonvention oder als Kriegsflüchtling geschützt. Für sie beginnt nun ein neues Leben in Deutschland.
Lesen Sie hier Teil 2: Deutsche Sprache
Lesen Sie hier Teil 3: Bildung und Schule
Lesen Sie hier Teil 4: Arbeit und Beruf
Lesen Sie hier Teil 5: Wer darf bleiben?