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Menschen auf Georgiens größter Müllhalde

Ingrid Gercama | Natia Shavadze | Nathalie Bertrams
29. Oktober 2021

Am Rande von Batumi liegt die Gonio-Mülldeponie. Um die Umwelt vor Giften zu schützen, soll die Halde geschlossen werden. Für die vielen Müllsammler bedeutet das eine ungewisse Zukunft.

Ein Arbeiter sammelt Müll auf der Deponie von Gonio
Arbeiter riskieren ihre Gesundheit und durchwühlen für wenig Geld den Müll, um Wertstoffe zu findenBild: Nathalie Bertrams

Kühe kauen auf alten Plastiktüten herum, Möwen kreischen laut durcheinander, als ein Lastwagen vorgefahren kommt. Der LKW kippt große Säcke von seiner Ladefläche: Essenreste, Dosen, Motoröl, Glasscherben, alles dabei. Auf der Gonio-Müllhalde liegt der Gestank von brennendem Abfall in der Luft. "Sehen Sie sich das hier an. Unglaublich, was wir unserer Erde antun", sagt Gocha Dumbadze, während er über einen Berg aus Haushalts- und Industrieabfällen stapft.

Gonio liegt rund zehn Kilometer von Batumi entfernt. Die zweitgrößte Stadt Georgiens ist zugleich Hauptstadt Adschariens, einer autonomen Republik innerhalb Georgiens. Sie ist wegen der zahlreichen Kasinos berühmt. Batumi wird deshalb auch das "Las Vegas am Schwarzen Meer" genannt. Die Müllhalde dort gibt es seit 1965. Damals wurde sie als inoffizielle Deponie eingerichtet. Das war noch zu Zeiten der sowjetischen Besatzung. Inzwischen ist das Areal auf 300.000 Quadratmeter angewachsen. Der Müll ragt bis zu 15 Meter in die Höhe. 

Hinter dem Müllberg der Gonio-Deponie erstreckt sich die Skyline von Batumi, der zweitgrößten Stadt Georgiens am Schwarzen MeerBild: Nathalie Bertrams

Dumbadze ist 34 Jahre alt und Tagelöhner. Er wohnt gleich neben der Deponie. Aus Abfällen hat er sich dort ein Haus gebaut. Außer ihm wohnen hier zwanzig Familien. Sie alle verdienen ihr Geld mit Müllsammeln. Armut oder auch Spielschulden haben die Menschen hierhergetrieben.  Andere sind aus Furcht vor politischer Unsicherheit aus Abchasien geflohen. Die abtrünnige georgische Region wird von Russland unterstützt. 

"Das da ist eine ökologische Katastrophe", sagt Dumbadze und zeigt auf einen hellgrün gefärbten Teich, der ihnen als Wasserquelle dient. Er glaubt, dass das Wasser durch die Deponie verunreinigt ist. Kinder wurden krank, als sie in der Nähe des Wassers gespielt hatten, erzählt er. 

Gemeindeaktivist Gocha Dumbadze kämpft für bessere Sicherheitsstandards auf der MülldeponieBild: Nathalie Bertrams

Verschmutzung von Luft, Boden und Meer

In Georgien fallen jedes Jahr mehr als eine Millionen Tonnen Müll an. Der wird auf einer der 33 Mülldeponien oder den über 1000 illegalen und inoffiziellen Halden entsorgt. Gonio ist eine davon. Im vergangenen Jahr landeten hier rund 84.000 Tonnen Abfall aus der gesamten südwestlichen Region Adjara, dem Einzugsgebiet von Batumi und dessen Müllentsorgungsunternehmen LLC Sever.  

Nach Angaben der Weltbank wird Gonio jedoch weder ordentlich bewirtschaftet noch entspricht die Halde den EU-Hygienestandards. Vielmehr ist Gonio derzeit diegrößte und gefährlichste Mülldeponie in Georgien. 

Es ist inzwischen einige Jahrzehnte her, als die 70-jährige Natela Beridze mit ihrem Mann hier noch Kühe hielt und züchtete. Als in Gonio jedoch immer mehr Müll entsorgt wurde, machte das die Landwirtschaft in der Nähe des Areals unmöglich. Boden und Grundwasser wurden kontaminiert. "Aber niemand hat uns geholfen", sagt Beridze. Heute sammelt das Ehepaar Müll, um finanziell über die Runden zu kommen. 

Die Abwässer der Mülldeponie sind zugleich Wasserquelle für die Hüttenbewohner der DeponieBild: Nathalie Bertrams

"Die Gonio-Deponie gehört zu den größten Verschmutzern in der Gegend. Die Luft, der Boden und das Meer werden durch die Müllhalde verunreinigt", erzählt Kakha Guchmanidze. Der Ökologe ist Spezialist für Abfallwirtschaft. Laut Guchmanidze wurde die Deponie nie technisch für eine Abfallbewirtschaftung eingerichtet. Es fehlen Schutzschichten im Boden, Verbrennungsanlagen, Methanoxidationsfilter, Anlagen zu Behandlung toxischer Stoffe, genauso wie einfache Zäune und Absperrungen.  

Deshalb gelangt immer wieder kontaminiertes Wasser in das Chorokhi-Delta am Schwarzen Meer. Das Gebiet ist ein einzigartiges Ökosystem und besonders wichtig für Zugvögel. Auch die Meerestiere leiden zunehmend unter der Verschmutzung; darunter Arten wie der Große Tümmler oder der Stör, die schon lange durch die Zerstörung ihres Lebensraumes und Überfischung bedroht sind.

Mülldeponien ohne technische Abfallmanagementsysteme sind außerdem eine Gefahr für das Klima. Denn das Gas, das bei der Zersetzung organischer Abfälle entsteht, besteht zu 40-60 Prozent aus Methan. Methan ist stärker für die globale Erwärmung verantwortlich als Kohlendioxid. Weltweit trägt die Zersetzung von organischen Abfällen zu etwa fünf Prozent der Treibhausgasemissionen bei.

Wegen der Verunreinigungen durch den Müll können Bauern wie Natela Beridze und ihr Mann hier keine Landwirtschaft mehr betreibenBild: Nathalie Bertrams

Müllsammeln für wenige Cent   

Die Gonio-Deponie ist auch ein Problem für die Gesundheit der Menschen, die hier arbeiten. Bis zu einhundert Arbeiter sortieren jeden Tag den Müll, oft ohne Schutzausrüstung oder einer Krankenversicherung.  

"Die Arbeit ist sehr gefährlich", sagt Mirza, während er nach Flaschen, Metall, Aluminium und Kupfer sucht. Er verkauft sie für umgerechnet 5,45 Euro pro Sack an ein Recyclingunternehmen in Batumi. Wie viele der Arbeiter hat er Narben und Verbrennungen vom Durchwühlen des Giftmülls.  

"Die Deponie entspricht nicht den Hygienevorschriften und muss so schnell wie möglich geschlossen werden", sagt Tornike Kutchava, stellvertretender Finanz- und Wirtschaftsminister von Adscharien. Auch er spricht über verunreinigtes Wasser aus der Deponie, das in das Schwarze Meer gelangt. Er befürchtet, dass so giftige Substanzen in die Nahrungskette gelangen könnten.

Die Menschen, die auf der Mülldeponie leben, haben ihre Hütten aus Abfällen gebaut, die sie hier gefunden haben Bild: Nathalie Bertrams

UNICEF hatte 2019 berichtet, dass 80 Prozent der Kinder in der Region Adscharien gefährlich erhöhte Bleiwerte im Blut aufwiesen und vermutete unter anderem einen möglichen Zusammenhang mit den Mülldeponien im Land.

Versprechen der Regierung

Im Jahr 2009 veröffentlichte die adscharische Regionalregierung Pläne zur Schließung der Gonio-Deponie. Von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung erhielt sie 2015 dafür drei Millionen Euro. Hinzu kamen vier Millionen Euro von der schwedischen Agentur für internationale Entwicklungszusammenarbeit für den Bau einer neuen Abfallentsorgungsanlage. Die neue Anlage liegt in Tsetskhlauri, etwa 45 Kilometer nördlich von Batumi und ist bereits im Bau. Wenn sie fertiggestellt ist, wird sie den EU-Umweltnormen entsprechen und unter anderem mit einer Methangas-Sammelanlage ausgestattet sein. 2022 soll die neue Deponie ihre Arbeit aufnehmen.  

Kühe streifen über die Mülldeponie und kauen an PlastikmüllBild: Nathalie Bertrams

Die georgische Zentralregierung hat sich ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum auf die Fahne geschrieben. Die Modernisierung der Abfallwirtschaft gehört dazu. So hat sich Georgien verpflichtet, bis 2025 die Hälfte seiner entsorgten Kunststoffe zu recyceln. Das entspricht dem Ziel der Europäischen Union. Bis 2030 soll dieser Anteil in Georgien auf 80 Prozent steigen.

Seit 2019 müssen alle Gemeinden in Georgien Mülltrennungssysteme einrichten. Laut dem Ökologen Guchmanidze ist das jedoch längst noch nicht passiert. "Ein schrittweiser Übergang zu einem Kreislaufsystem wäre die beste Lösung für eine nachhaltige Abfallwirtschaft", fügt er hinzu.  

Auch Mirza glaubt, dass Recycling gut für die Umwelt ist. Jedoch fürchtet er um sein Einkommen. Die neue staatliche Anlage sei viel zu weit weg, als dass es sich für ihn lohnen würde, jeden Tag dort hinzufahren. Er will daher künftig weiter auf der Gonio-Müllhalde arbeiten, auch wenn es gefährlich für ihn ist.

Beim Verbrennen von Abfällen auf der Deponie werden giftige Dämpfe freigesetztBild: Nathalie Bertrams

Dumbadze hat Angst vor der Zukunft. Von den offiziellen Stellen sei niemand gekommen, um mit den Menschen zu sprechen, die hier auf der Deponie leben. Nach Angaben eines Sprechers des Finanz- und Wirtschaftsministeriums in Adscharien sind sie weder in den Regierungsplänen berücksichtigt, noch haben sie Anspruch auf eine Entschädigung.  

"Wir werden wohl mit leeren Händen dastehen und weiter hier auf der Müllhalde leben", prophezeit Dumbadze. Er steht mit Mirza an einem Feuer, in dem Reifen und Plastik verbrennen. Sie können kaum atmen, der aufsteigende Rauch ist schwarz und der Gestank beißend.

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