Lebenslehrpfad - Karwoche
3. April 2020Sicher wissen Sie, was ein Naturlehrpfad ist, ein Parcours, um seine Kenntnisse über Flora und Fauna, über die Natur zu erweitern oder aufzufrischen.
Auch wenn die Kirchen wegen der Corona-Pandemie leer und wir auf uns selbst gestellt bleiben, darf man doch feststellen: Mit der morgen beginnenden Karwoche begeben wir uns nun auf eine Art Lebenslehrpfad. Da ist zuerst der Palmsonntag, an dem die Christen des Einzugs Jesu in Jerusalem gedenken. Mit Hosianna-Gesängen wird er von einer enthusiastischen Menge als Nachfolger des legendären Königs David empfangen. Ja, man legt ihm einen Teppich aus Palmzweigen und Kleidern zu Füßen, damit er würdig in die Königsstadt Jerusalem einziehen kann. Ein Bad in der jubelnden Menge, ein ‚großer Bahnhof’, das Überschüttet-Werden mit Beifall – all das ist nur eine kurze Momentaufnahme. Denn die, die heute „Hosianna“ schreien, schreien schon morgen „Kreuzige ihn“. So erlebt man es meist harmlos auf jedem Fußballplatz, aber auch im Auf und Ab der Politik. Jeder Beifall ist es wert, ihm zunächst gründlich zu misstrauen. Wir sollen wissen, den vom Beifall umbrandeten Einzug in das Jerusalem unseres ganz persönlichen Erfolgs legen auch wir auf einem geliehenen Esel zurück. Solche Tiere sind störrisch.
Sklavendienst der Fußwaschung
Die nächste Station auf dem Lebenslehrpfad ist der Gründonnerstag. Auch hier nötigt uns bei diesem auf Gemeinschaft zielenden Ereignis ein eigentlich lächerliches Virus zum Alleinsein. Das ermöglicht uns aber dadurch auch eine distanzierte Betrachtung. Christen gedenken an diesem Tag des letzten Abendmahls Jesu. Von diesem Mahl, das die Menschen miteinander und mit Christus vereint, wurde selbst ein Judas nicht ausgeschlossen. Um dieses Zeichen der Verbundenheit von Gott und Mensch haben Christen in konfessioneller Kleinstaaterei ein peinliches Gezänk veranstaltet. Aber dass wir dieses Mahl in aller konfessionellen Unterschiedenheit noch immer feiern, das ist Anlass zur Hoffnung. Denn: Weit mehr, als uns trennt, verbindet uns Christen. Freilich haben sich (wie Menschen überall) auch die Christen aller Konfessionen mit dem anderen Zeichen des Gründonnerstags schwer getan, mit dem Sklavendienst der Fußwaschung.
Man kann, so glaube ich, nicht wirklich hochgemut Gottesdienst feiern, wenn man sich nicht auch - dem Vorbild Jesu entsprechend - den niedrigen Menschendienst zumutet. Und auch hier fragt uns die Corona-Pandemie nach der Ernsthaftigkeit unserer Dienstbereitschaft. Der einzige wirkliche Hohepriester, Christus, kümmerte sich vor dem ‚Hochamt’ zunächst um den Dreck von der untersten Sohle seiner Jünger. Vielleicht exkommuniziert sich der, der das hohe sakrale Fest feiern, sich vor der niedrigen profanen Arbeit aber drücken will. Wer sich für die kleinen Dinge zu groß vorkommt, ist für die großen Dinge zu klein. Erst das Miteinander von Abendmahl (Liturgie) und Fußwaschung (Diakonie) entspricht der ganzen Intention Jesu. Christen sind kein weltweit agierender Freizeitclub.
Von Pontius zu Pilatus
Der Karfreitag ist die dritte Station auf diesem Lebenslehrpfad. Man schickt Jesus von Pontius nach Pilatus, foltert ihn mit Geißelhieben und Dornenkrone und lässt ihn nach einem jeglicher Gerechtigkeit hohnsprechenden Prozess durch die Gasse der Gaffer und Glotzer sein Kreuz tragen. Öffentlich entehrt und entblößt stirbt er schließlich wie ein Verbrecher am Kreuz. Mit den Worten „Mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen!“ (Mt 27,46/Ps 22,2) und „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist!“ (Lk 23,45/Ps 31,6) durchmisst er betend den Abgrund zwischen Verzweiflung und Gottvertrauen. Schaffen wir es angesichts der hundertausendfach tödlich verlaufenden Pandemie- und Flüchtlings-Krisen unserer Tage noch betend von der Verzweiflung zum Gottvertrauen?
Auch wir werden unser Leben nicht von A bis Z kreuzfidel zubringen, sondern Kreuzwege gehen und das Kreuz unseres Lebens tragen müssen. Wir können an Christus, der unter der Last des Kreuzes gekrümmt seinen Weg geht, den aufrechten Gang lernen.
Die vierte Station ist der Karsamstag. Da gilt es, die Verzweiflung am Leben und das lastende Todesschweigen auszuhalten, das uns an den Gräbern unserer Lieben und an den Gräbern der namenlosen Toten der Geschichte trifft. Es ist und bleibt nicht alles unter dem Rasen des Vergessens begraben. Im Schweigen des Karsamstags entsteht die Hoffnung, dass uns, wenn man uns die Augen zudrückt, längst die Augen aufgegangen sind. Das Schweigen des Karsamstags schärft unser Ohr für die fast ungläubig mitgeteilte Osterbotschaft und das zaghaft anklingende Osterhalleluja.
Die Finsternis der Osternacht schärft unser Auge für das erste Zwielicht des Ostermorgens, für das Licht der Osterkerze und das die Nacht jeden Todes ausleuchtende Licht des Lebens. Nutzen wir diese Karwoche als einen Lebenslehrpfad, als einen Lehrgang fürs Leben und zum Leben.
Angaben zum Autor:
Prof. Dr. Ulrich Lüke ist Theologe (Priesterweihe 1980) und Biologe und beschäftigt sich wissenschaftlich immer wieder mit dem Grenzgebiet zwischen beiden Disziplinen. Promotion zum Thema Evolutionäre Erkenntnistheorie und Theologie, Habilitation zum Thema Bio-Theologie.