Lebensretter Dialyse
4. April 2018Seit rund 45 Jahren schon ist Willi Koller an der Dialyse: dreimal in der Woche, jedes Mal für etwa acht Stunden. Die Maschine leistet, was seine Nieren nicht mehr leisten können: Sie reinigt sein Blut.
Er war 15 Jahre alt, als der Arzt ihm eröffnete, dass seine Nieren noch maximal sechs Monate funktionieren würden. "Das war natürlich ein Schock", erzählt Willi Koller. Erst einmal habe er resigniert, habe nur noch in seinem Zimmer gesessen und gegrübelt. Aber irgendwann habe er sich gesagt, es müsse weitergehen. "Die Dialyse war ja kein Todesurteil, sondern das Gegenteil. Ich habe dann schnell erkannt, dass die Maschine mir das Leben rettet und eigentlich etwas Positives ist." Seit 75 Jahren gibt es diese Möglichkeit der Blutwäsche nun - die erste künstliche Niere kam am 4. April 1943 zum Einsatz.
Die Dialyse ersetzt die Nieren
Blut transportiert nicht nur Nährstoffe, sondern auch giftige Produkte des Stoffwechsels. Die Niere filtert diese Stoffe heraus und bildet den Harn. Der wird dann als Urin aus dem Körper ausgeschieden.
Bei Menschen wie Willi Koller, bei denen die Nieren nicht richtig oder gar nicht mehr arbeiten, übernimmt diesen Prozess das Dialysegerät. Dabei wird das Blut aus dem Körper des Patienten in ein System aus Kunststoffschläuchen gepumpt und gelangt in den eigentlichen Dialysator. Der besteht aus einer Membran, an der das Blut vorbeifließt. Die Dialyseflüssigkeit auf der anderen Seite der Membran nimmt die schädlichen Stoffwechselprodukte auf.
Das gereinigte Blut wird dann wieder zurück in den Körper des Patienten geleitet. Diese Blutwäsche oder Hämodialyse muss dreimal die Woche durchgeführt werden.
Auf Hilfe angewiesen
Rund 60.000 bis 80.000 Dialyse-Patienten gibt es in Deutschland. Der Grotteil davon geht zur Blutwäsche in ein Dialysezentrum, nur wenige führen sie zu Hause durch. Willi Koller hat das eine Zeit lang gemacht, aber er hat in der Heimdialyse mehr Nachteile als Vorteile gesehen.
"Als Heimdialyse-Patient machen Sie alles selber: Sie bauen die Maschine selber auf, Sie stechen die Nadel in die Vene und schließen alles mit Hilfe Ihres Partners selbst an. Sie brauchen einen Partner dafür." Das Einführen der Nadel in die Vene ist ohne fremde Hilfe nicht möglich.
Koller wollte nicht angewiesen sein auf Hilfe, sondern seine Selbständigkeit behalten. Er ist überzeugt, dass die Heimdialyse den Partner belastet. Denn der sei in einem ständigen Zwiespalt, ob er diese Strapaze auf sich nehmen müsse. "Für den Patienten ist das hingegen eine ganz einfache Sache: Ich muss dialysieren. Wenn ich es nicht tue, muss ich sterben", sagt Koller.
Über einen Shunt in die Vene
Bei der Dialyse muss eine Nadel in die Vene eingeführt werden, sie muss punktiert werden. Damit sich möglichst viel Blut in möglichst kurzer Zeit aus dem Körper pumpen lässt, muss der Zugang entsprechend groß sein. Dazu dient ein sogenannter Shunt. Am Unterarm werden dazu Vene und Arterie in einer kleineren Operation miteinander verbunden.
Die Shunt-Methode gebe es seit Anfang der sechziger Jahre, erklärt Professor Dieter Bach, Vorstandsvorsitzender des Kuratoriums für Dialyse und Nierentransplantation. "Dadurch bekommt man eine größere, eine breitere, eine längere und eine besser durchströmte Vene."
Durch die Dialyse kommt es zu Folgeerkrankungen
Jede Art von Dialyse hat erheblichen Einfluss auf die Lebensumstände. Die Patienten sind nicht nur zeitlich gebunden, sondern meistens auch örtlich, nämlich an das jeweilige Dialysezentrum oder an die Maschine zuhause.
Bei jeder Art der Blutwäsche gibt es zudem erhebliche Nebenwirkungen und Folgeschäden - so wie bei Michael Kaethner. "Als Dialyse-Patient oder grundsätzlich als Nierenkranker stimmt der Kalcium-Phosphat-Haushalt nicht mehr", erzählt er. "Dadurch bekommt man Osteoporose, die Knochen gehen kaputt und es kommt zu Gelenk- und Gefäßablagerungen." Kaethner musste mit 17 Jahren an die Dialyse.
Nach etlichen Jahren Wartezeit bekam er eine neue Niere. Die hat zehn Jahre lang recht gut funktioniert, doch heute muss er sein Blut wieder von einer Maschine reinigen lassen.
Eine Alternative ist die sogenannte Bauchfelldialyse. Hierbei wird eine sterile Lösung über einen Schlauch in den Bauchraum des Patienten eingeleitet. Diese bleibt dort für eine bestimmte Zeit, wird dann in einen Beutel abgepumpt und durch eine neue Lösung ersetzt - wie bei einer Spülung. Dieser Vorgang entfernt harnpflichtige Substanzen und überschüssiges Wasser aus dem Körper.
Das Bauchfell im Körper dient dabei als eine Art Filtersystem. Das eine Ende des Schlauchs liegt im Bauchraum, das andere Ende kommt durch die Bauchdecke nach draußen und wird nach jeder Dialyse mit einem Pfropfen verschlossen. So können keine Bakterien oder schädliche Stoffe in den Bauchraum gelangen. Diese Art der Dialyse wird nachts durchgeführt, acht Stunden lang, sieben Mal die Woche.
Bauchfelldialyse funktioniert auch in Entwicklungsländern
Die Bauchfelldialyse nutzen in Deutschland nur wenige Patienten, etwa sieben Prozent. Aber dieses Verfahren sei sehr interessant für Entwicklungsländer, so Bach, und auch für Flächenländer, in denen sich die Dialyseversorgung nicht überall gewährleisten lasse.
Bei der Bauchfelldialyse müssen die Patienten gründlich geschult werden, dann aber braucht sie lediglich alle paar Wochen ein Arzt oder ausgebildetes Pflegepersonal zu untersuchen. "Das wird sehr häufig in Südamerika durchgeführt. Der afrikanische Kontinent ist leider im Hinblick auf Dialyse noch sehr unterversorgt."
Die Entgiftung über das Bauchfell spiele beispielsweise auf dem australischen Kontinent eine große Rolle. Denn dort gelte es ja, immense Entfernungen zu überwinden, erklärt Bach. "Wenn Sie einen Patienten irgendwo im Outback haben und das nächste Dialysezentrum wäre ein paar hundert Kilometer weg, dann hätte der Patient Schwierigkeiten, dreimal pro Woche dorthin zu fahren."
Mit der Dialyse reisen
Ein tragbares Dialysegerät würde das Leben der Patienten extrem vereinfachen. In den USA haben Forscher vor zwei Jahren ein solches Gerät entwickelt. Es habe sich aber nicht bewährt, sagt Bach: Es sei technisch zu anfällig und zu aufwändig gewesen.
Michael Kaethner hat sich inzwischen mit seiner Situation arrangiert. Bei ihm steht die Arbeit im Mittelpunkt. "Die Selbständigkeit habe ich ja im Grunde angefangen, um mich von der Krankheit abzulenken. Wenn ich das nicht kann, dann weiß ich gar nicht, was ich machen soll."
In Deutschland und in Europa gibt es flächendeckend Dialysezentren, die ein Patient zum Beispiel im Urlaub in Anspruch nehmen kann. Im außereuropäischen Ausland ist das Reisen schon schwieriger. Alles muss gut vorbereitet und organisiert sein. Willi Koller hat es trotzdem in die Welt hinausgezogen: "Also das weiteste war Bali, dann Mauritius, Tunesien, Ägypten, Thailand, alle europäischen Länder: Frankreich, Holland, Italien." Nur in den USA und in Australien, da war er bisher noch nicht.