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Politik

Lech Wałęsa sucht Arbeit - wegen Corona

21. Juni 2020

"Haben Sie einen Job für mich?", fragte der Solidarność-Gründer und frühere polnische Präsident in einem Video-Interview eine Journalistin. Das erste Angebot kam schnell.

Polen Danzig | 30. Jahrestag erste freie, demokratische Wahl | Lech Walesa
Danzig, Juni 2019: Lech Wałęsa spricht anlässlich des 30. Jahrestags der ersten freien und demokratischen Wahl in PolenBild: Reuters/K. Pempel

Journalisten in Polen wissen genau: Ein Interview mit Lech Wałęsa ist kein Spaziergang. Der Ex-Präsident und ehemalige Chef der legendären Gewerkschaft Solidarność ist kein einfacher Gesprächspartner. So erfrischend die Ausführungen des 77-Jährigen zuweilen sind, so unvorhersehbar sind sie auch.

Wałęsas Sprache in Fremdsprachen zu übersetzen, schaffen zudem nur die Besten. Denn die Ikone des Kampfes gegen die bis 1989 in Polen herrschende kommunistische Diktatur benutzt gerne Metaphern, die sich nicht einfach so erschließen oder schöpft tief aus der Sprache der Bibel. Kurzum: Wer Wałęsa übersetzt, muss sich in Wałęsa hineinfühlen.

"Am schwierigsten war es, seine Witze zu übersetzen. Aber er ist auch sehr präzise in seinen Aussagen. Sie sind geistreich und überraschend", erinnert sich im DW-Gespräch Anna Mydlarska, die hunderte Wałęsa-Interviews ins Englische übersetzt hat. Bei der Solidarność-Ikone müsse man zwischen den Zeilen lesen, ergänzt einer, der sich viel mit Wałęsa beschäftigt hat. Das sei für viele Journalisten oft nicht einfach.

Auch die Journalistin von des Boulevardblattes "Fakt" dürfte überrascht gewesen sein, als Wałęsa beim Video-Interview für die Website FAKT24.PL auf die Frage, wie es ihm denn in der Corona-Pandemie ergehe, antwortete: "Ich vermisse meine Reisen, weil sie mir geholfen haben, mein täglich Brot zu finanzieren".

Solidarność-Chef Lech Wałęsa bei einer Rede vor streikenden Arbeitern in der Danziger Lenin-Werft 1988 Bild: AFP/M. Druszcz

Vom Traktor zum Internet

Ob es an Geld fehle, fragte die Journalistin nach. "Ich hatte viele lukrative Verträge", entgegnete Wałęsa, "heute muss ich ohne sie auskommen, deswegen denke ich über irgendeine Arbeit nach. Vielleicht haben sie einen Job für mich?"

Auf die Gegenfrage, was er sich denn vorstellen könne, antwortet der Nobel-Preisträger mit der für ihn typischen Geradlinigkeit: "Ich hatte in meinem Leben verschiedene Jobs. Ich war Elektriker, Mechaniker, Gewerkschafter und Präsident. Ich verfüge also über ein breites Spektrum an Möglichkeiten". Dieses Spektrum reiche "vom Traktor bis zum Internet".

Polens Ex-Präsidenten Kwaśniewski (links) und Wałęsa beim Amtseid des aktuellen Staatsoberhauptes Andrzej Duda 2015Bild: picture-alliance/dpa/R. Guz

Chronischer Mangel

Wałęsa verriet der DW, dass er normalerweise über eine Million Zloty (ca. 232.000 Euro) im Jahr hinzuverdient, etwa durch Vorträge - die aber in dieses Jahr ausfallen dürften. "Ich leide an einem chronischen Mangel an finanziellen Mitteln", so Polens Ex-Staatsoberhaupt.

Die Rente eines Präsidenten beträgt in Polen 75 Prozent des ursprünglichen Gehalts. Netto bleiben Wałęsa oder Amtsnachfolger Aleksander Kwaśniewski (1995-2005) also etwa 1.500 Euro. "Das reicht nicht für meine Ausgaben und schon gar nicht für die meiner Frau", so Wałęsa. Also müsste er sich bewegen, auch wenn Reisen in seinem Alter anstrengend sei. Er habe keine Wahl: "Ich kann doch nicht betteln gehen."

Corona in Polen: Gläubige mit Mundschutz halten bei dieser Messe in Lublin im May 2020 die Abstandregeln einBild: picture-alliance/dpa/D. Zarzycka

Hoffen auf das Ende der Pandemie

Ex-Präsident Kwaśniewski erinnert sich im DW-Gespräch, dass Wałęsa bereits Arbeit suchte, kaum dass er aus dem Amt geschieden war. "Er sagte, dass er kein Geld zum Leben hätte. In der Tat haben ehemalige Präsidenten damals gar nichts bekommen", so Kwaśniewski. Auch mit den heutigen geringen Bezügen über die Runden zu kommen sei schwer: "Uns allen haben Einladungen zu Vorträgen, Konferenzen oder auch Beratungsmöglichkeiten sehr geholfen. Aber nicht nur uns ergeht es jetzt schlechter. Andere sind auch in einer schwierigen Lage. Es gilt also, die Zähne zusammen zu beißen und zu hoffen, dass diese Pandemie irgendwann vorbei geht", so Kwaśniewski.

Vor der Corona-Krise war Wałęsa viel unterwegs und schien das Reisen zu genießen. In sozialen Netzwerken postete er Fotos mit Stewardessen, meldete sich aus der ganzen Welt. "Ich war auf zahlreiche Treffen vorbereitet, direkte Begegnungen". Darauf, nicht auf Online-Konferenzen, sei er spezialisiert. Auch in seiner Heimatstadt Danzig sucht er Begegnungen. Immer wieder sieht man ihn auf Fotos mit Passanten in den Armen. Vermutlich hat ihn sehr getroffen, dass Menschen seines Alters wegen Corona besser keine Besucher in ihren Büros empfangen.

Grenzbrücke in Görlitz/Zgorzelec nach der Schließung für Ausländer wegen Corona am 15. März 2020 um MitternachtBild: imago images/Future Image/M. Wehnert

Mangelndes Mitgefühl?

Irena Kamínska-Radomska von der Stilberatung "The Protocol School of Poland" kritisiert, es gezieme sich nicht für einen Ex-Präsidenten, über Geld zu reden. Er sei dem diplomatischen Protokoll und der allgemeinen Etikette verpflichtet. Wałęsa habe schließlich nicht mehr den Status eines Elektrikers. "Es gibt diese Redensart: "Ein Gentleman redet nicht über Geld. Er hat es einfach", so Kamínska-Radomska im DW-Gespräch.

Es gehe auch um Taktgefühl und ein Mindestmaß an "Mitgefühl für Mitbürger", die sehr häufig mit viel weniger auskommen müssten als das frühere Staatsoberhaupt. "Lech Wałęsa spricht oft zuerst und denkt erst später nach", so Kamínska-Radomska. Hätte der Ex-Präsident sie wegen seiner finanziellen Nöte konsultiert – sie hätte ihm davon abgeraten, vor laufender Kamera nach Arbeit zu fragen.

Seit dem 13. Juni 2020 darf die Grenzbrücke in Slubice/Frankfurt Oder wieder überquert werden Bild: DW/W. Szymański

Erstes Angebot

Tatsächlich aber war Wałęsa mit seiner "Anzeige" vor laufender Kamera bereits erfolgreich. Tadeusz Zagórski, Chef des polnischen Dachverbands für das Handel- und Dienstleistungsgewerbe, bestätigte auf DW-Anfrage, man habe dem Ex-Präsidenten ein Angebot gemacht. Noch liefen die Gespräche.

Wałęsa soll eine eigens für ihn geschaffene Berater-Stelle im Rang eines Direktors bekommen, der konkrete Zuständigkeitsbereich werde noch geklärt, so Zagórski. Und auch der Jobsuchende erklärte, sobald die "technischen Details" geklärt seien, sei er bereit den Job anzutreten. In einem Interview gestand die Solidarność-Ikone: "Geld interessierte mich einst nicht, ich war Idealist. Da es mir jetzt etwas an Geld fehlt, muss ich mich auch darum kümmern. Ich bin bereit, diese Arbeit anzunehmen".