1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Reise

Lecker Deutschland: Grünkohl

Anne Termèche | Elisabeth Yorck von Wartenburg
24. April 2020

Wenn Sie nicht nach Deutschland reisen können, kommt Deutschland eben zu Ihnen: Mit einem Gruß aus der Küche! Diesmal eine Spezialität aus Bremen.

Grünkohl mit Fleisch
Begraben unter Fleisch und Wurst - so muss Grünkohl seinBild: picture-alliance/PantherMedia

Lecker Deutschland: Grünkohl

01:58

This browser does not support the video element.

Was für die Deutschen im Frühjahr der Spargel ist, ist im Winter der Grünkohl. Ein Saisongemüse, das mit Sehnsucht erwartet wird. Von November bis Februar kommt es in Deutschland auf den Tisch. Das Gemüse ist im gesamten Norden verbreitet - von Schleswig-Holstein und Niedersachsen über Hamburg bis nach Nordrhein-Westfalen, ja sogar in Sachsen-Anhalt ist der Grünkohl bekannt.  In Oldenburg (Niedersachsen) und Bremen ist der Kohl regelrecht Kult.

Verwirrung gibt es oft bei der Bezeichnung. Wenn in einer Speisekarte "Braunkohl" auftaucht, hat man Grünkohl vor sich. Auch Krauskohl heißt er schon mal. Kein Name klingt allerdings so schön wie "friesische Palme".

Grünkohlanbau prägt weite Teile der Landschaft im Norden DeutschlandsBild: picture-alliance/dpa/H. Hollemann

Die fette Seele des Grünkohls

Egal wie der Kohl heißt - die Seele des Wintergerichts ist in Deutschland die Einlage, also die Wurst und das Fleisch. Räucherwürste, Kasseler und Speck müssen rein. In Bremen und im Oldenburger Land kommt außerdem Pinkel in den Grünkohl. Das ist eine Wurst-Spezialität der Gegend. Pinkel verleiht dem Kohl nicht nur eine besondere geschmackliche Note. Der hohe Anteil an Hafer- oder Gerstengrütze in der Wurst macht das Gemüse schön sämig.

Begraben unter Fleisch und Wurst - so muss Grünkohl seinBild: picture-alliance/PantherMedia

Pinkel wird grundsätzlich nur im Winter und für die Zubereitung im Grünkohl hergestellt und ist in anderen Regionen eher schwer zu finden. Weil diese Wurstspezialität eine Rarität ist, haben wir in unserem Rezept (sorry, liebe Bremer!) darauf verzichtet und sind auf geräucherte Mettenden umgestiegen - also Räucherwürste aus Schweinemett. Den Kohl binden wir mit Haferflocken.

Leibgericht mit Spaßfaktor

Weil das Gericht so fett und deshalb mächtig ist, kann man es praktisch nur im Winter essen. Im Sommer würden wir einfach ohnmächtig in den nächsten Liegestuhl sinken. Ausgerechnet dieser K.O.-Kohl erfreut sich trotz Selbsoptimierungswahn und Bodyshaping-Stress größter Beliebtheit. Wie kann das sein? Es gäbe ja durchaus noch andere Kohlsorten - und weniger kalorienreiche Kohlgerichte, denen wir verfallen könnten.

Mehr zum Thema Lecker Deutschland: Semmelknödel

Nun, Grünkohl hat etwas, das andere Kohlsorten nicht haben. Er ist ein Eventgemüse! Er bringt Menschen in geselliger Runde zusammen und schafft  gemeinsame Erinnerungen, die verbinden. Deshalb ist der Beginn der Ernte ein Moment, dem ganz Norddeutschland entgegengefiebert.  Das ist in der Regel nach dem ersten Frost, irgendwann im November, der Fall. Dann beginnt die große Kohlsause!

Die Liebe zu Grünkohl macht kreativ: Pralinen aus OldenburgBild: picture-alliance/dpa/I. Wagner

Schon seit dem 16. Jahrhundert verabreden sich die Bewohner des Nordens zum gemeinsamen Grünkohlessen. Im 19. Jahrhundert kam ein neuer Trend dazu, die Kohlfahrt. Ein Ritual, das bald im ganzen norddeutschen Raum verbreitet war.

Zwischen November und Februar treffen sich Familien, Freunde und Bekannte, Belegschaften und Vereine im Namen des Kohls zu winterlichen Ausflügen. Man erkennt die Kohlfahrer unschwer daran, dass sie einen voll beladenen Bollerwagen hinter sich herziehen. So wandern sie in Grüppchen durch Städte, über Deiche und Wiesen. Fröhlich der Winterkälte trotzend streben sie einem Landgasthof, einer Brauerei oder einem Restaurant entgegen.

Nicht ohne meinen Bollerwagen: Hochprozentiges muss mitBild: picture-alliance/dpa/T. Hase

Der Weg ist das Ziel

Klingt erst einmal harmlos. Aber die Bollerwagen haben es in sich. Sie sind bis zum Anschlag mit Alkoholika gefüllt. Wichtiges Utensil der fröhlichen Wanderer ist deshalb ein Schnapsglas. Es hängt einsatzbereit um jeden Hals.

Mehr zum Thema Lecker Deutschland: Halligbrot

Unterwegs vertreiben sich die Trüppchen mit ausnahmslos nicht olympiatauglichen Spielen wie Pappteller- oder Teebeutelweitwurf, Wettwürfeln oder dem friesischen Nationalsport "Boßeln" die Zeit. Die sportliche Betätigung dient dabei ausschließlich dem Zweck, möglichst oft einen Schnaps zu kippen. In mehr als guter Stimmung treffen die Ausflügler dann in den Gaststätten ein, verspeisen ihren wohlverdienten Grünkohl - und feiern weiter.

Epizentren dieses Volkssports sind heute Bremen und das benachbarte Oldenburg (Niedersachsen). Die Städte liegen in ewigem Wettstreit um den Titel "Kohl-Metropole".

Jeder, der Grünkohlessen wenigstens mal als Zaungast erleben möchte, findet zum Beispiel auf den Webseiten der Hansestadt Bremen zahlreiche Tipps, wo man einkehren kann. Das gilt natürlich auch für Oldenburg - und viele andere größere und kleinere Städte und Gemeinden in Norddeutschland. Viele Restaurants haben in den Wintermonaten dann spezielle Angebote.

Das Bremer Rathaus ist Schauplatz des jährlich stattfindenden SchaffermahlsBild: picture-alliance/dpa/I. Wagner

Eine Frage der Ehre

In Bremen wird der Grünkohl - der hier übrigens Braunkohl heißt - noch auf eine sehr seriöse Weise geehrt.  Er hat neben Stockfisch, Bremer Hühnersuppe und Rigaer Butt einen festen Platz auf dem Speiseplan der traditionellen Schaffermahlzeit.

Die Schaffermahlzeit gilt als das älteste, jährliche Brudermahl der Welt. Das Festessen feiert seit 1545 die enge Verbindung zwischen der Schifffahrt und den Kaufleuten, die Bremen zu einer mächtigen Hansestadt aufsteigen ließ. Neben jeweils 100 Kaufleuten und 100 Seeleuten nehmen 100 ausgewählte Personen aus Wirtschaft, Politik und Kultur teil.

Mehr zum Thema Lecker Deutschland: Schwarzwälder Kirschtorte

Grünkohlessen als gesellschaftliches Ereignis hat sich auch außerhalb Deutschlands etabliert. Überall dort, wo heimwehkranke Nordlichter ihre Traditionen pflegen - zu denen Grünkohl selbstverständlich dazu gehört. Selbst in Taipeh, der Hauptstadt von Taiwan treffen sich deutsche Ex-Pats einmal im Jahr, schlemmen, trinken und feiern - internationale Gäste sind willkommen! Seit 20 Jahren lädt dort das "Grünkohlkomitee" - alles ehrenamtliche Grünkohlfans - zu einem zünftigen Grünkohlessen ein, im Anschluss Party! Auch in Singapur und Tokio heißt es Grünkohl-Partytime. Nur Kohlfahrten sind in diesen Metropolen bisher noch nicht gesichtet worden. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Schauen Sie weiter unten auf unser Rezept (Download)!

Elisabeth Yorck von Wartenburg Autorin, Redakteurin, Planerin, Social Media Managerin
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen