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Legasthenie: Dresdner Forschende finden Ursache im Gehirn

10. September 2024

Einstein hatte es, Hemingway auch. Die Lernstörung bleibt oftmals ein Leben lang. Die Forschenden konnten jetzt die verantwortliche Gehirnregion lokalisieren. Dies öffnet den Weg für neue Therapieansätze.

Kind mit Dyslexie vor Whiteboard in Schule (Symbolbild)
Legastheniker kämpfen nicht nur mit Buchstaben, Worten und Sätzen - sondern vor allem mit VorurteilenBild: Zoonar.com/Robert Kneschke/Zoonar/picture alliance

Die Zuordnung von Lauten und Buchstaben fällt schwer. Der Lesefluss ist stockend und monoton, Laute werden nicht miteinander verschmolzen und Buchstaben nur als Einzellaute gelesen. Buchstaben, Silben oder ganze Wörter werden beim Lesen und Schreiben ausgelassen, vertauscht oder hinzugefügt. Die Texte sind voller Fehler und die Handschrift ist oftmals sehr unleserlich.

Legasthenie tritt bei circa fünf bis zehn Prozent der Menschen weltweit auf und ist damit die häufigste Lernstörung. Die Symptome zeigen sich bereits im Kleinkindalter. Jungen sind zwei- bis dreimal häufiger betroffen als Mädchen.

Lebenslange Schwierigkeiten durch Lernschwäche

Legasthenikern fällt es schwer, den Inhalt eines gelesenen Textes wiederzugeben. Diese Schwierigkeiten treten auch in anderen Schulfächern auf, wo Lesen und Schreiben gebraucht wird: bei Fremdsprachen oder Mathematik, wenn dort Textaufgaben zu lösen sind. 

Personen mit einer solchen Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) kämpfen nicht nur mit Buchstaben, Worten und Sätzen. Vor allem kämpfen sie mit Vorurteilen, denn LRS begleitet die meisten ein Leben lang. Erst in der Schule, dann im Beruf und im Alltag. Über den Intellekt der Betroffenen sagt die Schwäche allerdings nichts aus, wie berühmte Legastheniker wie Einstein, Beethoven, Darwin oder Hemingway zeigen. 

Beim Lesen und Schreiben werden einzelne Buchstaben, Silben oder ganze Wörter ausgelassen, vertauscht oder hinzugefügtBild: Erwin Wodicka/+/picture alliance

Lange Suche nach den Ursachen von Legasthenie

Die Ursachen der Lese-Rechtschreib-Schwäche sind noch nicht vollständig geklärt. Aber Forschende aus Dresden konnten jetzt erstmals zeigen, dass Legasthenie mit Veränderungen in der Funktion und Struktur eines bestimmten Teils des menschlichen Gehirns, dem visuellen Thalamus, zusammenhängt.

Der visuelle Thalamus gilt als Schlüsselregion, welche die Augen mit der Großhirnrinde verbindet. Die visuellen Informationen der Augen werden in zwei separaten Teilen mit unterschiedlichen Aufgaben verarbeitet: Im kleineren Teil werden Bewegungen und sich schnell verändernde Bilder erkannt. Im größeren Teil werden vor allem Farben verarbeitet.

Allerdings sind die Strukturen im visuellen Thalamus mit der herkömmlichen Magnetresonanztomographie (MRT) nur sehr schwer zu untersuchen, denn der visuelle Thalamus liegt tief im Gehirn und ist winzig, der beschrieben kleine Teil ist gerade mal so groß wie ein Pfefferkorn.

Veränderungen im Pfefferkorn

Dank eines speziellen MRT-System am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI-CBS) in Leipzig konnte der visuelle Thalamus in einer bisher nicht gekannten Detailgenauigkeit am lebenden Menschen untersucht werden.

Laut Studie zeigen sich bei Menschen mit Legasthenie Veränderungen in der Funktion und der Struktur des bewegungsempfindlichen Teils des visuellen Thalamus. Besonders deutlich sind die Veränderungen bei männlichen Legasthenikern. An der jetzt in der Fachzeitschrift "Brain" veröffentlichten Studie nahmen 25 Menschen mit Legasthenie und 24 Kontrollpersonen teil.

Die Forschenden sprechen von einem Durchbruch im Verständnis dieser wichtigen Schlüsselregion. "Diese Erkenntnis ebnet den Weg für weitere Forschungsstudien, die darauf abzielen, ein umfassenderes Verständnis der der Legasthenie zugrunde liegenden Gehirnmechanismen zu erlangen", erläutert Katharina von Kriegstein, Professorin für Kognitive und Klinische Neurowissenschaft an der TU Dresden. 

Lokalisation eröffnet neue Behandlungsmethoden

Perspektivisch könne dieser Durchbruch auch neue Behandlungsmethoden ermöglichen, so Dr. Christa Müller-Axt, Wissenschaftlerin an der Professur für Kognitive und Klinische Neurowissenschaften der TU Dresden, im Interview mit der DW. "Dies könnte Möglichkeiten für nicht-invasive Neurostimulationstechniken als vielversprechende therapeutische Methode eröffnen, um die Aktivität dieser Hirnstrukturen zu modulieren und dadurch einige Legasthenie-Symptome zu lindern."

Zwar wird es dauern, bis entsprechend wirksame und nachhaltige therapeutische Ansätze entwickelt sind, so Müller-Axt im DW-Podcast Science Unscripted. Entscheidend sei aber, dass nun der entsprechende Bereich im Gehirn lokalisiert wurde: "Ich denke, dass wir ein neues Ziel im Gehirn gefunden haben, das direkt mit den Leseschwierigkeiten bei Legasthenie verbunden ist. Und wenn wir auf dieses Gebiet abzielen und seine Aktivität modulieren, könnte das diesen Menschen in der Zukunft tatsächlich helfen."

 

Quellen:

Technischen Universität Dresden (TUD)

https://tu-dresden.de/tu-dresden/newsportal/news/thalamic-brain-dysfunction-in-dyslexia-a-breakthrough-in-understanding-the-most-common-learning-disorder

Neurologen und Psychiater im Netz

https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/kinder-jugendpsychiatrie-psychosomatik-und-psychotherapie/stoerungen-erkrankungen/lese-rechtschreibstoerung-/-legasthenie/ursachen/

Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V. 

https://www.bvl-legasthenie.de/legasthenie/ursachen.html

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