Leere Ränge, gekühltes Stadion, Gluthitze außerhalb, problematische Menschenrechtslage - die Leichtathletik-WM in Doha sorgt nicht nur bei Sportfans für Kopfschütteln.
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Vor dem abschließenden 1500-Meter-Lauf der Zehnkämpfer wurde das Khalifa-Stadion abgedunkelt. Auf die Tartanbahn wurden die Bilder und Namen des späteren Überraschungs-Weltmeisters Niklas Kaul und seiner Konkurrenten projeziert. Anschließend wanderte ein Scheinwerfer-Spot von einem zum nächsten Athleten, das Ganze stimmungsvoll untermalt von Musik.
Mit solchen Showeffekten kaschieren die Veranstalter der WM in Doha seit Tagen, dass das Khalifa-Stadion bestenfalls zur Hälfte mit Zuschauern gefüllt ist - und das, obwohl seit Tagen Freikarten verteilt werden. Wohl noch niemals zuvor hat es eine derart stimmungsarme Leichtathletik-WM gegeben wie die aktuell laufende in Katar.
Marathonstart um Mitternacht
Einer der wenigen, die von der WM in Doha begeistert sind, ist der Brite Sebastian Coe, seit 2015 Präsident des Leichtathletik-Weltverbands IAAF. "Ich kann mich nicht an eine Weltmeisterschaft erinnern, die auf diesem Niveau war", sagte der frühere Weltklasseläufer, der 1980 und 1984 Gold über 1500 Meter gewonnen hatte. "Es war noch nie so schwer, eine Medaille zu gewinnen."
Damit meinte Coe die große Leistungsdichte - nicht jedoch die teilweise haarsträubenden Bedingungen, unter denen die Athleten antreten müssen. So werden die Marathonläufer am Samstag erst um Mitternacht starten, um der Gluthitze zu entgehen. Beim Rennen der Frauen am vergangenen Wochenende waren trotz des späten Starttermins noch 32,7 Grad Celsius und eine Luftfeuchtigkeit von 73,3 Prozent gemessen worden. Nur 40 der 68 Läuferinnen hatten das Ziel erreicht.
"Ökologischer Wahnsinn"
Das Khalifa-Stadion, das auch für die Fußball-WM 2022 in Katar genutzt werden soll, wird über Kaltluft-Düsen an der Unterseite der Tribünen auf 25 Grad heruntergekühlt. Das Stadion hat kein Dach, die kalte Luft wird also quasi durchs offene Fenster in den Wüstenhimmel gepustet. Das sei "ökologischer Wahnsinn", sagt Monika Lazar der DW. Die sportpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag bezeichnet die WM auch auf anderen Ebenen als "Desaster".
Lazar verweist unter anderem auf die Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit der Vergabe der Titelkämpfe an Doha im Jahr 2014 sowie auf die bei der WM erstmals eingesetzten Kameras an den Startblöcken, "die Athletinnen in den Schritt filmen". Es tue ihr besonders leid für die Athletinnen und Athleten, so die Grünen-Politikerin, "denn sie müssen die Fehlentscheidungen der Verbände ausbaden: Sie müssen vor quasi leeren Rängen jubeln. Sie kollabieren teilweise tagsüber aufgrund der Hitze oder müssen ihre Wettkämpfe wegen der TV-Vermarktung und der Hitze zu Nachtstunden antreten."
Eklatante Menschenrechtsverletzungen
Problematisch bleibt auch die Lage der Menschenrechte in Katar, auf die Menschenrechtsorganisationen mit Blick auf die anstehende Fußball-WM seit Jahren hinweisen. Nach wie vor würden in dem Golfstaat Menschenrechte "eklatant" verletzt, erklärt Amnesty International. "Die Lage der Arbeitsmigranten hat sich noch immer nicht signifikant verbessert", sagt Regina Spöttl, Katar-Expertin von Amnesty, der DW.
"Das ausbeuterische Sponsorensystem Kafala existiert unter neuem Namen weiter und trägt nach wie vor zu einer unverhältnismäßig großen Abhängigkeit der Arbeiter von ihren Arbeitgebern bei: Pässe werden nach wie vor einbehalten, Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen nicht verlängert. Die meisten der Arbeiter fristen weiterhin in völlig unzureichenden Camps weit außerhalb der Stadt ihr Leben. Viele von ihnen bekommen ihren Lohn verspätet oder gar nicht ausbezahlt."
Inzwischen könnten die Arbeiter ihre Rechte zwar einklagen, so Spöttl. "Allerdings sind diese Schlichtungsgremien personell stark unterbesetzt, sodass die Verfahren viel Zeit in Anspruch nehmen. Viele Arbeitsmigranten reisen daher mit leeren Händen zurück in ihre Heimatländer." Amnesty beklagt, dass die Regierung inzwischen zwar mit der ILO, der Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen zusammenarbeite, nicht aber mit Menschenrechtsorganisationen. So gebe es eine gemeinsame Initiative von ILO und Katar, um das Arbeitsschutzgesetz in dem Golfstaat zu verbessern, sagt Spöttl: "Reformen bleiben jedoch lückenhaft, neue Gesetze haben Schlupflöcher. Die Mitgliedschaft in Gewerkschaften ist für Arbeitsmigranten noch immer verboten."
"Man ahnt nichts Gutes"
Die Frage steht im Raum, warum Weltsportverbände wie die IAAF oder FIFA überhaupt Großereignisse in einen Wüstenstaat wie Katar vergeben. Mit Ausnahme finanzieller Gründe lassen sich kaum Argumente finden. "Dem Leichtathletik-Weltverband sollte das Desaster eine Lehre sein, nur mit einer Umbenennung des Verbandes [die IAAF nennt sich künftig "World Athletics" - Anm. d. Red.] ist es nicht getan. Das Traurige ist: Viele der Probleme waren absehbar", meint Grünen-Politikerin Monika Lazar und richtet den Blick auf das nächste Großereignis in dem Emirat: "2022 steht mit der Fußball-WM der Männer die nächste Sportgroßveranstaltung in Katar vor der Tür, man ahnt nichts Gutes."
Große Hitze und neugierige Kameras - die Probleme der Leichtathletik-WM
Athleten und Mediziner hatten es schon vor der Leichtathletik-WM in Katar befürchtet: Die große Hitze macht den Sportlern zu schaffen, die Kritik ist laut, die Ränge dagegen leer - und auch sonst stimmt einiges nicht.
Bild: picture-alliance/dpa/O. Weiken
Wettkämpfe im Backofen von Doha
Doha im September: Temperaturen von über 40 Grad Celsius sind normal. Selbst nachts bleibt das Thermometer meist bei über 30 Grad stehen, die Luftfeuchtigkeit liegt bei 73 Prozent. Die Athleten behelfen sich mit Kühlwesten und elektrischen Pillen. Dass die extremen Wetterbedingungen eine große Herausforderung darstellen, war bereits im Vorfeld klar. Aber dass es so extrem wird, wohl nicht...
Bild: picture-alliance/Newscom/J. Mochizuki
Runtergekühltes Stadion
Das Khalifa-Stadion von Doha wird während der WM dank aufwendiger Klimatisierung zwar auf angenehme 25 Grad heruntergekühlt, doch löst auch das nicht alle Probleme. Im Gegenteil: Die extremen Temperaturunterschiede zwischen Stadion-Innerem und Umgebung sind für die Athleten eher eine zusätzliche Belastung. Außerdem finden natürlich nicht alle Wettbewerbe im "Stadion-Kühlschrank" statt.
Bild: picture-alliance/L. Perenyi
Kollaps im 5.000-Meter-Rennen
Zwar finden die 5.000-Meter-Läufe im Innenraum des Khalifa-Stadions statt, doch für Läufer Jonathan Busby sind die extremen klimatischen Bedingungen und der Wechsel zwischen drückender, feuchter Hitze und dem runtergekühlten Stadion mit seiner geringen Luftfeuchtigkeit offenbar zuviel. Zuerst taumelt der Mann aus Aruba, dann fällt er völlig entkräftet auf die Bahn.
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Gemeinsam über die Ziellinie
Braima Suncar Dabo aus Guinea-Bissau zeigt sich als großer Sportsmann und stützt Busby auf den letzten 200 Metern. Die Ziellinie überqueren beide unter dem Jubel der Zuschauer gemeinsam - ein Moment, der die Herzen der Sportfans bei der wohl umstrittensten WM der Geschichte höher schlagen lässt. Das Happy End bleibt aber aus: Busby wird nachträglich wegen "unerlaubter Hilfe" disqualifiziert.
Bild: picture-alliance/dpa/O. Weiken
Schwere Vorwürfe von Athleten
Nicht alle Athleten sorgen für positive Bilder und Schlagzeilen. Geher Yohann Diniz - Weltmeister von 2017 - findet nach dem Wettbewerb über 50 Kilometer Gehen, den er nach 20 Minuten abgebrochen hatte, deutliche Worte: "Da draußen haben sie uns in einen Backofen geschoben. Sie haben aus uns Meerschweinchen gemacht, Versuchstiere", so der Franzose in Richtung der Verantwortlichen.
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Qualen beim Frauen-Marathon
"Es war schrecklich. Ich habe mich noch nie so schlecht gefühlt", sagte die Italienerin Sara Dossena, die nach einem Viertel der Marathon-Distanz abbrechen musste. "Es war beängstigend, einschüchternd und entmutigend", bilanzierte die Kanadierin Lyndsay Tessier nach dem denkwürdigen Rennen in der Hitze von Doha, das nur 40 der 68 gestarteten Athletinnen beenden konnten.
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Alina Reh klappt zusammen
Für die deutsche Hoffnung im 10.000-Meter-Lauf ist ebenfalls vorzeitig Schluss. Alina Reh krümmt sich mit Bauchschmerzen und beendet das Rennen - allerdings spielt hier die Hitze nicht die entscheidende Rolle. Die 22-Jährige kann später Entwarnung geben: "Mein Bauch ist noch etwas flau, aber sonst geht es mir körperlich gut", sagt die mehrfache Junioren-Europameisterin am Tag danach.
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"War ziemlich in Panik"
Die Bilder vom Vorabend bleiben ihr aber wohl genauso im Kopf wie den Zuschauern: Nachdem Reh unter Schmerzen zusammengesackt war musste sie im Rollstuhl von der Laufbahn zur Untersuchung gefahren werden. "Ich wurde gleich gut betreut und habe mich gut aufgehoben gefühlt. Vom Kopf her ist es jetzt schwierig, ich brauche noch ein bisschen, um das für mich zu sortieren", sagte Reh im Anschluss.
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Ärger um Startblockkameras
Eine technische Neuerung in den Startblöcken soll der Leichtathletik weltweit wieder Auftrieb geben. Um spektakuläre, gut vermarktbare Bilder aus Doha zu produzieren, sind in den Startblöcken Kameras eingebaut, die bislang nicht gekannte Nahaufnahmen der Sportlergesichter liefern. Das stößt allerdings nicht bei allen Athleten auf Gegenliebe.
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"Sehr unangenehm"
Deutschlands Sprint-Star ist mit der technischen Neuerung nicht einverstanden: "In den knappen Sachen über diese Kamera zu steigen [...] finde ich sehr unangenehm. War an der Entwicklung dieser Kamera eine Frau beteiligt? Ich glaube nicht", sagte Gina Lückenkemper. Teamkollegin Tatjana Pinto ("sehr fragwürdig, die Kamera da zu platzieren") ließ erkennen, dass auch sie kein Fan davon ist.
Bild: picture-alliance/L. Perenyi
Keiner da
Ein zusätzliches Ärgernis sind die leeren Ränge in der Arena von Doha. Da findet Weltklasse-Leichtahtletik statt und keinen interessiert es. Auch Highlights, wie das 100-Meter-Finale der Frauen (Foto), füllen die Ränge nicht. Gina Lückenkemper findet die Stimmung bei ihrer dritten WM daher auch: "Eher mies!"