Wenig Wirkung
8. Dezember 2011Als Leitzins wird der Zinssatz bezeichnet, zu dem sich die Geschäftsbanken bei der Zentralbank gegen Hinterlegung von Wertpapieren Geld leihen können. Die Idee dahinter ist simpel: Ist der Leitzins niedrig, geben Banken die günstigere Finanzierung an ihre Kunden weiter, die wiederum nehmen mehr Kredite auf, investieren in die Wirtschaft, die schließlich floriert. Umgekehrt hingegen erhöht die EZB den Leitzins, wenn sie ihr wichtigstes Ziel - die Preisstabilität - in Gefahr sieht. Die Idee: Eine Zinserhöhung verteuert die Kredite, Unternehmen und Verbraucher investieren weniger, die Nachfrage sinkt, Preise fallen, die Inflation wird bekämpft.
Soweit die Theorie. Doch ob eine Zinssenkung von 25 Basispunkten ausreicht, um die drohende Rezession in Europa zu bekämpfen, bleibt fraglich. Nicht umsonst haben viele Volkswirte im Vorfeld der Sitzung eine Senkung um 50 Basispunkte auf dann 0,75 Prozent gefordert, um dem konjunkturellen Impuls mehr Kraft zu geben. Wenn es denn überhaupt einen konjunkturellen Impuls geben wird.
Schlechte Wachstumsaussichten
Eine Zentralbank kann nämlich mit einer Zinserhöhung die Konjunktur recht wirkungsvoll dämpfen, wie mit einem Strick, dessen Schlinge enger gezogen wird. Ob sie aber mit diesem Strick die Konjunktur anschieben kann, ist höchst umstritten. Denn Unternehmer investieren nicht, bloß weil das Geld bei den Banken zufällig billig zu haben ist, sie investieren, wenn sie sich gute Absatzchancen versprechen.
Und damit sieht es zur Zeit düster aus. Die OECD sagt der Wirtschaft in Europa im nächsten Jahr nur ein Wachstum von 0,2 Prozent voraus, andere Institute sprechen von Stagnation, wieder andere sogar von leichten Minusraten. So ist es kein Wunder, dass zum Beispiel Vertreter der mittelständischen deutschen Industrie den Zinsschritt zwar begrüßen, für ihr eigenes Geschäft davon aber keine allzu großen Impulse erwarten.
Signal an die Banken
Allerdings: Wenn auch die EZB in Sachen Konjunktur vermutlich wenig bewirken kann - viel Schaden anrichten kann sie damit auch nicht. Es ist zwar richtig, dass sie mit der Leitzinssenkung, mit dem Ankauf von Staatsanleihen klammer Euro-Länder auf dem Sekundärmarkt und mit der Ausweitung der Ausleihefristen von drei auf drei Jahre viel Liquidität in die Märkte pumpt, was unter normalen Umständen die Inflation anheizen würde.
Doch bei den momentan trüben Wachstumsaussichten würde es den Unternehmern vermutlich schwerfallen, Preiserhöhungen bei ihren Kunden durchzusetzen. Zwar lag die Inflationsrate in Euroland im November noch bei drei Prozent, Experten sind sich aber einig, dass der Höhepunkt überschritten ist und der Preisdruck nun stetig abnehmen wird. So rechnet die EZB selbst im kommenden Jahr mit einer Inflationsrate zwischen 1,5 und 2,5 Prozent - was ihrem Ziel, die Preiserhöhungen knapp unter zwei Prozent halten zu wollen, recht nahe käme.
Wenig Wirkung, wenig Schaden - wozu also das ganze Manöver? Nun, vermutlich ist der Adressat dieser Maßnahme nicht unbedingt die europäische Wirtschaft, sondern das Bankensystem. Den Banken, die zuletzt wenig Neigung gezeigt haben sich untereinander Geld zu leihen, soll signalisiert werden: Wir stellen genügend Liquidität zur Verfügung, um das europäische Bankensystem am Leben zu erhalten und zu stabilisieren - auch und gerade in der Eurokrise.
Autor: Rolf Wenkel
Redaktion: Dirk Ulrich Kaufmann