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PolitikFrankreich

Leopard: Paris und Berlin ringen um den Panzer-Nachfolger

Andreas Noll
11. Juni 2023

Mit der gemeinsamen Entwicklung eines neuen Kampfpanzers wollten Deutschland und Frankreich ein Zeichen für eine stärkere europäische Verteidigung setzen. Doch sechs Jahre nach dem Start steht das Projekt auf der Kippe.

Bau einer Kanone für den Leopard 2-Kampfpanzer in Unterlüß (Niedersachsen)
Bau einer Kanone für den Leopard 2-Kampfpanzer in Unterlüß (Niedersachsen)Bild: Philipp Schulze/dpa/picture

Vor wenigen Tagen platzte Sabine Thillaye in der Nationalversammlung der Kragen. Wenn die Opposition jetzt das Ende der privilegierten Partnerschaft mit Deutschland fordere, so die sichtlich verärgerte Abgeordnete der Regierungsmehrheit, dann lege sie die Axt an das europäische Einigungswerk. Zuvor hatten Abgeordnete der großen Oppositionsparteien von links- und rechtsaußen den Stopp deutsch-französischer Rüstungsprojekte gefordert. Die Aufregung in Paris ist derzeit groß, das Misstrauen gegenüber den deutschen Partnern ebenso.

Vor sechs Jahren kündigten Angela Merkel und Emmanuel Macron die deutsch-französische Rüstungskooperation anBild: Christian Liewig/abaca/picture alliance

Dabei hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident Emmanuel Macron vor sechs Jahren ein Milliardenprojekt mit großer Strahlkraft versprochen. Wenige Wochen nach Macrons Wahl zum Präsidenten vereinbarten sie im Sommer 2017 die gemeinsame Entwicklung der nächsten Kampfpanzergeneration, des Main Ground Combat Systems (MGCS).

Dritter Versuch

Das MGCS, so der damalige Plan, sollte aus Kampfpanzern, unbemannten Begleitfahrzeugen, Drohnen und einem Informationsnetzwerk bestehen und ab 2035 sowohl den französischen Kampfpanzer Leclerc als auch dessen deutschen Konkurrenten Leopard 2 ablösen. Zusammen mit dem Projekt eines deutsch-französischenLuftverteidigungssystems (FCAS) wollten Paris und Berlin ein klares Signal an die europäischen Partner senden: Die gemeinsame Verteidigungsfähigkeit des Kontinents sollte endlich mit Leben gefüllt werden.

Europaweit im Einsatz: Leopard 2A7 der dänischen Streitkräfte im ManöverBild: Henning Bagger/Ritzau Scanpix/picture alliance

Mit dem MGCS starteten beide Länder den dritten Versuch, gemeinsam einen Kampfpanzer zu entwickeln, der zum Vorbild für ganz Europa werden sollte. Bereits kurz nach Gründung der Bundeswehr 1955 und in den 1970er Jahren gab es Verhandlungen über einen deutsch-französischen Kampfpanzer - doch beide Projekte scheiterten am Ende an nationalen Vorbehalten.

Fehler der Vergangenheit vermeiden

Um den bei internationalen Rüstungsprojekten üblichen Streit zu reduzieren, haben Macron und Merkel das Panzerprojekt mit dem Kampfjet-Projekt FCAS verknüpft. Auch bei den Kampfflugzeugen wollen Deutschland und Frankreich die nächste Generation gemeinsam entwickeln und produzieren. Um die Balance zwischen beiden Nationen zu wahren, sollte Frankreich beim FCAS und Deutschland beim MGCS die Führung übernehmen.

Außerdem wurde vereinbart, dass beide Länder jeweils die Hälfte der Aufträge erhalten sollten. Das schien zunächst unproblematisch, denn der deutsche Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann (KMW) und sein französischer Konkurrent, der Staatskonzern Nexter, hatten 2015 eine gemeinsame Holding gegründet. Doch 2019 stieg auch Rheinmetall beim MGCS ein. Damit bekam das Projekt aus französischer Sicht ein deutsches Übergewicht.

Rüstungsindustrie mit Rekordumsätzen

Von schlechter Stimmung kann bei Rheinmetall in Unterlüß in der Lüneburger Heide keine Rede sein. Hier werden die Kampfpanzer der Gegenwart gebaut. Rund 2400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten in der niedersächsischen Provinz im Dreischichtbetrieb. Die Produktion läuft auf Hochtouren: Leopard 2 für die Ukraine rollen hier ebenso aus den Werkshallen wie Kampfpanzer für die Bundeswehr und ihre Verbündeten. Weil die Auftragsbücher voll sind, will das Unternehmen die Produktion in den kommenden Monaten weiter hochfahren.

Ukrainische Soldaten arbeiten an der Panzerkanone eines Kampfpanzers vom Typ Leopard 1 A5Bild: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa/picture alliance

In der NATO sind die deutschen Kampfpanzer seit Jahrzehnten begehrt - 13 weitere europäische Staaten verfügen inzwischen über die bis zu 70 Tonnen schweren Kolosse. Ralf Raths, Leiter des deutschen Panzermuseums in Munster, nennt den Leopard den "VW Golf des Kampfpanzermarktes". "Er hat einen klassischen Dieselmotor, eine klassische moderne Kanone und eine normale Panzerung auf dem Stand der Technik. Er hat nichts besonders gut gemacht, aber das Paket war perfekt."

Frankreich unter Druck

KMW und Rheinmetall, die den Panzer gemeinsam bauen, möchten die Erfolgsgeschichte des Leopard mit der neuen Version 2A8 fortschreiben. Der 2A8 ist die größte Weiterentwicklung seit 15 Jahren. Mit ihr wird der Leopard künftig in der Lage sein, Panzerabwehrraketen bereits im Anflug zu zerstören. In zwei bis drei Jahren soll außerdem eine nochmals verbesserte Version zur Verfügung stehen, die weitere Lehren aus dem Ukraine-Krieg berücksichtigt. Die Bundeswehr hat vor wenigen Wochen die ersten 2A8 bestellt.

Seit den 1960er Jahren gehört der Leopard-Panzer (im Bild: Modell 2A6) zu den Hauptwaffensystemen der BundeswehrBild: Christoph Hardt/Panama Pictures/picture alliance

In Frankreich beunruhigen die Erfolgsmeldungen aus Deutschland die Politiker. Ein kontinuierlich weiterentwickelter Leopard 2, so die Befürchtung, könnte das deutsch-französische Prestigeprojekt MGCS torpedieren. Sollten der 2A8 und seine geplanten Nachfolger auch bei den Verbündeten in Europa auf Interesse stoßen, bestünde zumindest mittelfristig kein Bedarf mehr an einer weiteren Panzerneuentwicklung. Doch nicht nur die Leopard-Nachrüstung bedroht das Gemeinschaftsprojekt. Im vergangenen Jahr präsentierte Rheinmetall auf einer Rüstungsmesse mit dem Panther einen Kampfpanzer, den der börsennotierte Rüstungskonzern im Alleingang entwickelt hat. Auch das sorgte in Frankreich für Aufregung.

Streit um Auftragsverteilung

Anders als Deutschland steht Frankreich in der Panzerfrage unter Zeitdruck. Während die deutsche Panzerindustrie auf Hochtouren produziert, wurde die Leclerc-Produktion in Frankreich vor 17 Jahren eingestellt. Nach dem Ende des Kalten Krieges hatte Frankreich - ähnlich wie Deutschland - die Zahl seiner Kampfpanzer massiv reduziert. Zudem konnte Frankreich das Modell nur in die Vereinigten Arabischen Emirate verkaufen. Spätestens ab 2035 braucht Frankreich Ersatz für den Leclerc.

Produktionsstopp seit 2006: Frankreichs Kampfpanzer LeclercBild: Vadim Ghirda/AP Photo/picture alliance

Wann und ob der MGCS den Streitkräften zur Verfügung stehen wird, ist derzeit jedoch völlig offen. Die Zulieferindustrie rechnet mit mehrjährigen Verzögerungen - statt 2035 könnte das System erst 2040 oder noch später fertig sein. "Hauptstreitpunkt ist die Verteilung der Aufträge für die verschiedenen Komponenten des Herzstücks des MGCS-Projekts, also des Kampfpanzers der nächsten Generation", sagt Jacob Ross, Frankreich-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). "Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, wer die Kanone für diesen Panzer entwickelt, die auch nach Monaten noch nicht geklärt werden konnte."

Paradigmenwechsel in der Beschaffung

Die Verhandlungen über das MGCS sind seit langem festgefahren, selbst ein mögliches Scheitern des Projekts wird immer offener thematisiert. Aus Sicht deutscher Industrievertreter erscheint die Kooperation mit Frankreich wirtschaftlich und technologisch nicht zwingend. Deutsche Panzerbauer könnten die nächste Generation wohl auch alleine entwickeln. 

Auf der Suche nach einer politischen Lösung: Frankreichs Verteidigungsminister Sébastien LecornuBild: ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/AFP

Entsprechend nervös reagierten die Abgeordneten des Verteidigungsausschusses in Paris, nachdem Verteidigungsminister Boris Pistorius der Truppe vor wenigen Wochen einen Paradigmenwechsel in der Rüstungsbeschaffung verordnet hatte. Marktverfügbare Lösungen seien grundsätzlich zu bevorzugen und dem Faktor Zeit sei höchste Priorität einzuräumen, so der Minister. Der neue Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, sprach vor dem Verteidigungsausschuss in Paris vom "Ende der Goldrandlösungen".

Politische Lösung

Das Thema MGCS wird nun auf höchster Ebene diskutiert. Am Montag kommt der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu nach Berlin, um mit Pistorius über eine Lösung des Kampfpanzer-Dilemmas zu sprechen. "Die Ankündigungen von Verteidigungsminister Pistorius und des Generalinspekteurs haben im Parlament für große Unruhe gesorgt", beschreibt Sabine Thillaye die Stimmung auf französischer Seite. Nicht nur an den politischen Rändern werde die Rüstungskooperation mit Deutschland inzwischen grundsätzlich in Frage gestellt. "Auch in den gemäßigten Parteien", so Thillaye, "wachsen die Vorbehalte".

Sabine Thillaye sitzt für die Regierungsfraktionen im Verteidigungsausschuss der NationalversammlungBild: Victor Joly/abaca/picture alliance

Verteidigungsminister Lecornu hat den Ball inzwischen den Militärs zugespielt. Die beiden Armeechefs in Deutschland und Frankreich sollen sechs Jahre nach Projektstart die militärischen Erwartungen an MGCS definieren. "Um klar zu definieren, was wir von diesem 'Panzer der Zukunft' erwarten: Ist er bemannt oder unbemannt? Kann er einen Drohnenschwarm steuern oder nicht? Und welche Bewaffnung brauchen die Militärs?" Diese Fragen will Lecornu am Montag mit seinem deutschen Amtskollegen besprechen. 

Doch auch der Franzose glaubt offenbar nicht mehr an den ursprünglichen Zeitplan. Im Militärplanungsgesetz für die kommenden Jahre, das vor wenigen Tagen von der Nationalversammlung verabschiedet wurde, ist bereits Geld für die Modernisierung der Leclerc-Panzer vorgesehen. Details zum MGCS enthält das Gesetz nicht.