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Politik

So könnte der deutsche Corona-Alltag aussehen

13. April 2020

Die Nationale Akademie der Wissenschaften - Leopoldina - hat ihre Empfehlungen für eine schrittweise Rückkehr zur Normalität in Zeiten von Corona vorgelegt. Wie könnte das in Deutschland aussehen? Ein Überblick.

Symbolfoto Corona am Hauptbahnhof in Köln
Bild: picture-alliance/Geisler-Fotopress/C. Hardt

Schüler lernen in Kleingruppen, in der deutschen Öffentlichkeit werden Masken teilweise verpflichtend und Apps freiwillig eingesetzt, die wirtschaftlichen Folgen werden europaweit abgefedert - so stellen sich die aus verschiedenen Fachrichtungen stammenden Wissenschaftler der Leopoldina die neue Normalität mit dem Coronavirus vor. Die Empfehlungen der Nationalakademie waren mit Spannung erwartet worden, Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach im Vorfeld von einer "sehr wichtigen Studie". Als am Ostermontag das heißbegehrte 18-seitige Papier hochgeladen wurde, war die Webseite der in Halle an der Saale ansässigen Akademie überlastet und zeitweise nicht erreichbar.

Wie viel öffentliches Leben ist möglich?

Die Lockerung der Einschränkungen machen die Wissenschaftler von drei Faktoren abhängig: Die Neuinfektionen stabilisieren sich auf einem niedrigen Niveau, Kliniken bilden Reservekapazitäten und nehmen die Normalversorgung wieder auf, und die Bürgerinnen und Bürger halten sich an bekannte Schutzmaßnahmen wie Distanzregeln und Maskentragen.

Als erstes könnten dann der Einzelhandel und die Gastronomie wieder öffnen, Behörden und Betriebe wieder ihren Publikumsverkehr aufnehmen. Auch Reisen könnten bei angemessenen Schutzmaßnahmen wieder stattfinden. Dazu empfiehlt die Leopoldina eine Maskenpflicht "in bestimmten Bereichen wie dem öffentlichen Personenverkehr". Bei genügend Distanz könnten auch Kultur- und Sportaktivitäten wieder stattfinden. Dabei sei ein kontinuierliches Monitoring der Infektionszahlen notwendig.

Die Nationale Akademie der Wissenschaften hat ihren Sitz in Halle an der Saale

Ist bald eine Rückkehr in die Schulen denkbar?

Seit einem Monat sind die Schulen im Land geschlossen - und das Homeschooling mit teils eilig zusammengeschusterten Materialien funktioniert von Fall zu Fall unterschiedlich gut. "Die Wiedereröffnung der Bildungseinrichtungen sollte sobald wie irgend möglich erfolgen", heißt es daher im Leopoldina-Papier. Zuerst könnten Grundschulen schrittweise wieder geöffnet werden, beginnend mit den höchsten Klassenstufen. Sofern ausreichend große Klassenräume zur Verfügung stehen, könnten bis zu 15 Kinder pro Gruppe zusammenkommen.

Auf weiterführenden Schulen könnte es ähnlich laufen, Priorität haben dort Abschlussprüfungen. Universitäten und Hochschulen würden die Sommersemester weitestgehend im digitalen Raum durchführen. "Alle Maßnahmen sind auf längere Zeit unter Einhaltung der Vorgaben zu Hygiene, Abstand, Mund-Nasen-Schutz, Testung und die Konsequenz der Quarantäne umzusetzen", schreiben die Leopoldina-Mitglieder.

Wie soll die Ausbreitung beobachtet werden?

Die Wissenschaftler sprechen von einer "Gratwanderung": Jeder noch so dringend geforderte Schritt in Richtung Normalität birgt die Gefahr von Fallzahlen, die das Gesundheitssystem an seine Grenzen bringt. Bisher wurde das Fortschreiten der Pandemie in Deutschland vor allem durch "symptomgeleitete Datenerhebungen" dokumentiert - soll heißen: Getestet wurden vor allem Personen, die Symptome zeigten. Die Wissenschaftler schlagen vor, die Erhebungen durch repräsentative und regionale Testreihen zu ergänzen. Neben der akuten Testung mutmaßlicher Infizierter soll auch überprüft werden, wer bereits immun gegen das Virus ist, also nach überstandener Erkrankung Antikörper gebildet hat. Davon versprechen sich die Wissenschaftler verlässlichere Kurzzeitprognosen, anhand derer die Politik unmittelbarer lernen könnte, welche Auswirkungen bestimmte Maßnahmen haben.

Laut der Wissenschaftler sollten erst die Kinder der höheren Grundschulklassen wieder in die Schulen gehenBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Kommt die Corona-App?

Das Papier erwähnt lobend, wie Südkorea anhand von Handy-Ortungsdaten die Ausbreitung des Coronavirus nachverfolgt hat und fordert ähnliche Projekte auf freiwilliger Basis auch in Deutschland: "Dies würde die Präzision heute verfügbarer Modelle steigern, um insbesondere eine kontextabhängige, örtliche Auflösung und damit eine differenzierte Vorhersage des Pandemieverlaufs zu erlauben", schreiben die Wissenschaftler.

Sie setzen auf die "digitale Datenspende", die noch weit über Bewegungsprofile hinausgehen: In einer App könnten aktuelle Umfragen zur Gesundheit der Bevölkerung gestartet werden, Fitness-Tracker könnten Daten liefern, aus denen sich Rückschlüsse auf eine mögliche COVID-19-Erkrankung ziehen lassen könnten.

Damit die Pandemiebekämpfung nicht in massenhafter digitaler Überwachung mündet, sollen Daten grundsätzlich anonymisiert und nach Ablauf einer Frist wieder gelöscht werden - über den Datenschutz könnten unabhängige Treuhänder wachen.

Wie können psychische Folgen abgemildert werden?

Die Corona-Krise verlangt der Bevölkerung mental viel ab. Deshalb empfehlen die Wissenschaftler, verständliche Kommunikation an den Tag zu legen und einen eigenverantwortlichen Umgang mit der Situation zu fördern. Hotlines und Beratungsdienste sollten ausgebaut werden. Das Papier lobt in diesem Zusammenhang die Maßnahmen in Frankreich, wo in Supermärkten und Apotheken Anlaufstellen für häusliche Gewalt und andere familiäre Notsituationen eingerichtet wurden.

Was wird aus der Wirtschaft?

Zunächst stehen laut der Wissenschaftler Maßnahmen im Vordergrund, die dazu beitragen sollen, dass die anstehende Rezession so milde wie möglich verläuft. Das Papier erwähnt auch Maßnahmen, die die Bundesregierung bereits ergriffen hat, darunter Kurzarbeit, Liquiditätshilfen und Steuerstundungen. Auf europäischer Ebene hat man sich zwar auf ein Corona-Rettungspaket verständigt, aber nicht auf die derzeit heiß debattierten Corona-Bonds

Den Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Corona-Krise bezeichnen die Wissenschaftler als "historische Chance" für mehr Nachhaltigkeit: "Der Aufbau einer klimafreundlichen Wirtschaft und eine konsequente Mobilitäts- und Landwirtschaftswende setzen wesentliche Impulse für Innovation und Wachstum." Als Maßnahmen empfehlen sie CO2-Bepreisung, einen Schwerpunkt auf Wasserstofftechnologien sowie eine Reform des Strommarkts.

Die Leopoldina-Akademie steht unter der Schirmherrschaft des BundespräsidentenBild: Getty Images/Bundesregierung

Wer steckt hinter den Vorschlägen?

Die Leopoldina steht seit 2008 unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten, ein Vorläufer der heutigen Nationalakademie wurde bereits 1652 gegründet. An der nun veröffentlichten dritten Stellungnahme zur Coronavirus-Pandemie haben Wissenschaftler wie der Wirtschaftsforscher Clemens Fuest, der Soziologe Armin Nassehi, der Psychologe Klaus Fiedler und der Leopoldina-Präsident Gerald Haug mitgewirkt. Insgesamt gehörten der Arbeitsgruppe 24 Männer und zwei Frauen an.

Wichtig zu betonen ist, dass es sich erst einmal nur um Vorschläge handelt - die endgültigen Entscheidungen werden von Politikern getroffen und verantwortet. Am Mittwoch wollen die Ministerpräsidenten der Länder gemeinsam mit der Kanzlerin in einer Telefonschalte über das weitere Vorgehen beraten.

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