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Politik

Lesbos: "Die Menschen hausen immer noch in Zelten"

Jannis Papadimitriou
8. September 2021

Am 9. September 2020 brannte das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos nieder. Die Lebensbedingungen der Migranten auf der griechischen Insel haben sich seitdem kaum verbessert.

Griechenland Lesbos | Lager Moria neue Brände
Migranten fliehen in der Nacht zum 9.09.2021 aus dem brennenden Flüchtlingscamp MoriaBild: picture-alliance/dpa/AP/P. Giannakouris

Es war nicht das erste Mal, dass es im größten Flüchtlingscamp Europas brannte - aber so schlimm war es noch nie: In der Nacht zum 9.09.2020 zerstörten die Flammen das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos völlig. Kurz vor Wintereinbruch wurden über 12.000 Menschen obdachlos.

Das Feuer hatten einige der Bewohner selbst gelegt, vermutlich aus Frust und Verzweiflung. In der "Hölle", wie das Camp von seinen Bewohnern genannt wurde, wollten sie nicht länger bleiben. Die griechischen Behörden zeigten keine Nachsicht: Vier junge Migranten wurden verhaftet und zu jeweils zehn Jahren Gefängnis wegen Brandstiftung verurteilt.

Zugleich versprach die konservative Regierung von Premier Kyriakos Mitsotakis allerdings einen Neuanfang in der griechischen Flüchtlingspolitik: Überfüllte Camps wie Moria, die "Schande Europas", würden geschlossen werden, neue Camps seien bereits in Planung. Doch zunächst wurde einmal am Strand von Mavrovouni, unweit der Inselhauptstadt Mytileni, ein Notfall-Lager errichtet. Dort sollten die Flüchtlinge und Migranten aus Moria übergangsweise die nächsten Monate verbringen.

Doch wie ein griechisches Sprichwort sagt: Nichts hält länger als ein Provisorium. Bis heute verharren die Menschen im Zeltlager von Mavrovouni. Die benachbarte Unterkunft von Kara Tepe, die zumindest einigen von ihnen bessere Lebensbedingungen bieten könnte, wurde im April 2021 auf Anweisung der Regierung in Athen geschlossen. Dafür soll in naher Zukunft ein neues, geschlossenes Lager für mehrere tausend Menschen in der abgelegenen Bergregion Plati entstehen. Athen hat für die Errichtung moderner Camps EU-Gelder in Millionenhöhe erhalten.

Bürokratische Hindernisse

Ursprünglich hieß es, das Lager von Plati wäre im Herbst 2021 bezugsfertig. Doch dieser Zeitplan ist nicht mehr einzuhalten. Angeliki Dimitriadis, Migrationsforscherin vom Athener Think-Tank ELIAMEP, sagt der DW, die Verzögerung sei auf den Unmut der Bevölkerung, aber auch auf bürokratische Hindernisse zurückzuführen. "Genehmigungen für Strom- und Wasserleitungen, der Transport von Baustoffen oder auch die gesetzlich vorgesehenen Ausschreibungen brauchen viel Zeit, nicht nur auf Lesbos", erläutert die Politikwissenschaftlerin.

Das Notfall-Lager am Strand von Mavrovouni im April 2021Bild: Nicolas Economou/NurPhoto/picture alliance

Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) in Griechenland leben derzeit auf der Insel Lesbos rund 3500 Asylsuchende. Die meisten stammen aus Afghanistan. Vor dem Brand in Moria waren es über 17.000. Seitdem hat sich einiges getan: Tausende Migranten wurden auf das griechische Festland verlegt - entweder weil ihr Asylantrag genehmigt worden war oder weil sie als "vulnerable Personen" mit besonderen Schutzbedarf anerkannt wurden.

Der Druck der Lokalpolitiker

Lokalpolitiker auf Lesbos hatten viel Druck ausgeübt, damit die Neuankömmlinge nicht mehr so lange auf der Insel bleiben. Zudem konnten unbegleitete Minderjährige und weitere vulnerable Personen aus Lesbos im Rahmen eines von der EU finanzierten Resettlement-Programms in anderen europäischen Ländern Zuflucht finden, darunter auch in Deutschland.

Unbegleitete minderjährige Migranten aus Lesbos bei ihrer Ankunft in Hannover im April 2021Bild: Ronny Hartmann/AFP/Getty Images

"Schon allein die Tatsache, dass nicht mehr so viele Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht werden, hat die Lebensbedingungen auf Lesbos verbessert", meint die Migrationsforscherin Dimitriadis. Doch die Grundprobleme blieben gleich: "Die Menschen hausen immer noch in Zelten, direkt am Meer. Bei Regen wird das provisorische Camp überschwemmt, im Sommer ist die Hitze unerträglich".

"Effektiver Grenzschutz" geht vor

Die UNHCR-Sprecherin Stella Nanou sagt der DW: "Da die Zahl der Flüchtlinge auf Lesbos ohnehin deutlich zurückgeht, wäre es jetzt an der Zeit, mit den Bau- und Reparaturarbeiten im Camp von Mavrovouni voranzukommen, damit die Aufenthaltsbedingungen für Migranten bis zum Wintereinbruch weiter verbessert werden." Derzeit hat die Politik in Griechenland allerdings andere Prioritäten. "Effektiver Grenzschutz", so lautet das oberste Ziel.

8.06.2021: Griechische Grenzpolizisten am Zaun, den die Regierung in Athen an der Grenze zur Türkei errichten ließBild: Sakis Mitrolidis/AFP

Anfang Juli erklärte der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis im Parlament, die Neuankömmlinge auf Lesbos und den anderen Inseln der östlichen Ägäis sei in den vergangenen zwölf Monaten um 96 Prozent zurückgegangen. "Diese Regierung hat die Kontrolle über die Flüchtlingskrise wieder erlangt", bekräftigte der konservative Politiker, der selbst von der ostägäischen Insel Chios stammt. Diese Aussage war nicht zuletzt ein Seitenhieb gegen die bis 2019 regierende Linkspartei Syriza, der die Konservativen eine naive Politik der offenen Grenzen vorwerfen.

Politik der Härte

Doch wie lässt sich die "Kontrolle über die Flüchtlingskrise" wiedererlangen? Bereits im Juni 2017 - lange vor dem Regierungswechsel in Athen - hatte die linksgerichtete "Zeitung der Redakteure" über widerrechtliche Zurückweisungen von Asylbewerbern seitens der griechischen Behörden an den Landesgrenzen berichtet, sogenannte "Pushbacks". Seitdem mehren sich entsprechende Hinweise und Berichte. Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge hält einige dieser Hinweise für glaubwürdig und empfiehlt der griechischen Regierung, einen unabhängigen Kontrollmechanismus einzurichten.

Athen dementiert sämtliche Vorwürfe. Nun droht Brüssel, weitere Gelder für die griechische Küstenwache zu blockieren. Die Migrationsforscherin Dimitriadis meint, Geldentzug sei in der Tat das einzige Druckmittel, das die EU-Kommission habe. Sie glaubt aber auch: "Ohne Rückendeckung aus Europa wäre die griechische Politik der Härte wohl nicht möglich. Im Grunde genommen sind die anderen Europäer wohl froh, dass die Griechen diese undankbare Arbeit an der Außengrenze erledigen."