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Interview Miller

Michal Jaranowski30. April 2013

Leszek Miller war Premierminister, als Polen am 1. Mai 2004 EU-Mitglied wurde. Maßgeblich unterstützt wurde Polen dabei vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, sagt er im Interview mit der DW.

Polen Leszek Miller, Vorsitzende der polnischen Alianz der Demokratischen Linken (Foto: Michal Jaranowski)
Polens Ex-Premierminister Leszek MillerBild: Michal Jaranowski

DW: Herr Premierminister. Enden politische Freundschaften mit dem Abschied aus dem politischen Leben? Früher wurde viel über Ihre freundschaftliche Bande mit Kanzler Gerhard Schröder gesprochen. Wie ist Ihre Beziehung zueinander heute?

Miller: Kontakte werden gewöhnlich aufrechterhalten, nur ihre Dynamik schwächt sich selbstverständlich ab. Ich traf mich mit Schröder ziemlich oft in den drei, vier Jahren nach dem Regierungswechsel. Jetzt treffen wir uns nur gelegentlich, jedoch nur aus dem Grund, weil er aus der Politik definitiv ausgeschieden ist. Ich bin dagegen noch immer mitten drin. Ich habe ihn nach Polen unter anderem zu Treffen und Konferenzen eingeladen. Einmal bekam er eine Einladung zum Vortrag an der Breslauer Universität. Veranstalter war die Friedrich-Ebert-Stiftung und Schröder sprach über die Lage der Europäischen Union und ihren Reformbedarf. Und das war, wie immer, sehr interessant.

Ist er immer noch verletzt durch den offenen "Brief der acht EU-Länder", in denen sie sich auf die Seite der USA im Konflikt mit dem Irak stellten?

Nein. Ich glaube, die Gerüchte darüber sind etwas überzogen. Ich telefonierte mit Schröder schon einen Tag nach der Unterzeichnung des Briefes. Er war selbstverständlich nicht davon begeistert, machte jedoch kein großes Problem daraus. Der Brief war die diplomatische Reaktion auf den deutsch-französischen Schulterschluss. Das Duo wollte der EU die Richtung und den Charakter der transatlantischen Beziehungen aufdrücken. Das geschah noch vor dem Militäreinsatz. Wir trafen uns später mehrmals bei mir oder bei ihm zu Hause... Es trennten uns nur die Ansichten zum Thema Irak. Sie prägten jedoch in keiner Weise unsere Beziehungen negativ.

Sind Sie der Ansicht, dass der Vorgänger von Angela Merkel in Polen zu Unrecht negativ beurteilt wird?

Gerhard Schröder ist ein herausragender Politiker und hat große Verdienste für die deutsch-polnischen Beziehungen. Ohne Schröders Engagement - aber auch das Engagement von einem anderen Sozialdemokraten Günther Verheugen - bei unseren EU-Beitrittsverhandlungen, ohne Schröders Druck auf die Regierungen anderer EU-Länder, wäre unser Weg in die Gemeinschaft ganz anders gewesen. Wir bestritten den Weg nach Westen über Deutschland - in jeder Hinsicht! Und diesen Weg haben uns Schröder und Verheugen geebnet. Kanzler Schröder hatte damals eine starke politische Position in Europa. Einige Monate vor meinem Abdanken lud ich ihn zu Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes ein. Er kam und legte einen Kranz nieder, dann hielt er eine bewegende Rede.

Zwei, die sich mögen: Schröder 2005 bei Miller in WarschauBild: picture-alliance/dpa

Das war in der Tat vom Inhalt her bahnbrechend - eine Art einseitiger völkerrechtlicher Rechtsakt. Demnach hatten die Vertriebenen kein Recht auf irgendeine Art Entschädigung, auch von Polen nicht. Und das hat der deutsche Kanzler zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte ausdrücklich gesagt.

Ja. Und wer bemühte sich dann um die Entschädigungen für Zwangsarbeiter? Selbst der so respektierte und geehrte Kanzler Helmut Kohl ging das nie an. Das tat sein Nachfolger. Seine Rolle wird unterschätzt und er wird nur als Gasprom-Kanzler charakterisiert. Wir beide stritten nur beim Thema der Militärintervertion im Irak. Schröder und Chirac, mit Putin, waren entschieden dagegen.

Wenn Sie jetzt zurückblicken, was denken Sie? Hatten sie recht?

Ich bin mir sicher, dass der Irak ohne Sadam Hussein besser dran ist als mit ihm.

Jeden Tag sterben Menschen. Millionen verlassen das Land.

Ja, das ist wahr. Jeden Tag sterben Menschen, jedoch zu Regierungszeiten von Hussein starben sie auch und er zögerte nicht, Chemiewaffen gegen irakische Kurden einzusetzen. Ich erinnere mich noch an meinen Besuch im Irak am 11. November. Ich stand den Soldaten gegenüber, nicht nur den polnischen. Neben mir stand der Gouverneur, ein Iraker. Er sagte an diesem Tag, Iraker werden eines Tages, wie die Polen am 11. November, den Unabhängigkeitstag feiern können. Und er bedankte sich bei den polnischen Soldaten dafür, dass er und seine Familie, Freunde nach den Überresten ihrer Toten in den Massengräbern in der Wüste endlich suchen können. Das prägte sich in unser Gedächtnis ein. Krieg ist selbstverständlich nichts, was angenehm ist. Präsident Kwaśniewski und ich machten uns viele Gedanken über die Beteiligung Polens im Irak. Wir hielten diesen Einsatz für notwendig. Nicht nur wegen eines Beschlusses des Sicherheitsrates. Wir wollten Partei ergreifen. Wir hatten zur Wahl die deutsch-französisch-russische Koalition, was im Kern anti-amerikanisch war, oder konnten uns an die Seite von Großbritannien, Spanien und Dänemark und der USA stellen. Als ich vor dem Parlament das vorgetragen habe, stimmten hinterher alle "dafür", selbst die politische Opposition von PO und PiS. Irgendwann saßen wir zusammen mit Schröder beim Wein und ich fragte ihn, warum Deutschland damals so reagierte. Er sagte mir: "Weißt Du, wir Deutsche sind schon so oft marschiert, so dass wir das nicht mehr tun sollten.“

Und wie war das mit der Nordstream-Pipeline?

Als ich zu Besuch im Kreml war, hörte ich von Putin, die Russen wollten den kürzesten Weg für eine Gas-Pipeline nach Deutschland nutzen. Und sie entschieden sich dafür, weil Polen den früheren Vorschlag einer Verbindung über Polen an der Ukraine vorbei ablehnte. So war das. Die damalige Regierung lehnte das ab - als eine Geste der Solidarität mir der Ukraine. Und so entstand die Idee der Ostsee-Pipeline. Ich wies gegenüber Putin darauf hin, das Projekt sei schlecht und unökonomisch. Jedoch im Westen, in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien fand es Unterstützung. Und es fanden sich auch Finanzquellen.

Zu den Zeiten vom Premierninister Marcinkiewicz und dem stellvertretenden Außenminister in seinem Kabinett, Ryszard Sznepf, gab es ausdrückliches Interesse an dem russischen Vorschlag...

… und Sznepf wurde sofort entlassen. Er hatte absolut recht. Aber man konnte nichts tun. Die negative Position des Nordstream-Vorstands hat sich verhärtet. Für uns endete das alles fatal. Die Ostsee-Pipeline ist gebaut worden und wir sind nicht daran angeschlossen. Ich habe kein Verständnis für diese hausgemachte Tragödie.

Der ehemalige polnische Premierminister Leszek Miller (2001-2004), jetzt Partei- und Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten im polnischen Parlament Sejm, war im Amt, als Polen am 1. Mai 2004 Mitglied der EU wurde.

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