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Letzte Abfahrt Galtür

16. März 2020

Den Skitag genießen, in der Skihütte entspannen, einen Germknödel bestellen. Das war der Plan. Doch dann wird Tirol Corona-Risikogebiet. Unser Autor Peter Koppen schildert Szenen einer überstürzten Heimreise.

Wintereinbruch in Österreich
Bild: picture-alliance/dpa/APA/picturedesk.com/D. Liebl

Rund 35 Kilometer können sehr lang sein. Vor allem, wenn tausende Wintersportler ganz schnell durch das schmale Paznauntal im österreichischen Tirol wollen. Denn es herrscht Panik: Das Tal soll abgesperrt werden – wegen des Corona-Virus.

Ich bin mit einer Gruppe von Freunden in Galtür, hinter uns liegen wunderschöne Urlaubstage im Schnee. Natürlich ist auch das Corona-Virus ein Thema am Frühstückstisch, beim Abendessen. Unsere Gastwirtin erzählt von ersten Corona-Fällen in Ischgl: der Skiort ist bekannt für seine Après –Ski- Szene, für Skizirkus pur, für sein internationales Publikum. Weit weg, denken wir, obwohl wir keine zehn Kilometer entfernt sind. Galtür liegt ganz am Ende des Paznauntals, ist still, beschaulich, gelassen - eine andere Welt, weniger fiebrig, weniger Party.

DW-Autor Peter Koppen (links), bevor Corona die Skiwelt von Galtür überschatteteBild: DW/P. Koppen

Erster Corona-Fall im Paznauntal

Aber die Einschläge kommen näher. Erst schließen in Ischgl alle Aprés-Ski-Bars. Mitarbeiter wurden positiv auf das Virus getestet. Dann wird erst die Schließung des Skigebietes Ischgl zum Wochenende angekündigt. Dann sollen alle Skigebiete in Tirol schließen – also auch das von Galtür. Die Wintersaison ist damit praktisch zu Ende.

An unserem letzten Skitag wird es brenzlig. Als ich wieder einmal oben auf der Bergstation ankomme, werfe ich einen Blick auf mein Handy: Acht verpasste Anrufe. Ich rufe zurück und habe die aufgeregte Stimme meiner Tochter im Ohr, die schon unten im Tal ist: "Österreichs Kanzler Sebastian Kurz hat unser Skigebiet ab sofort isoliert". Unsere Gastwirtin habe bereits alles für den sofortigen Auszug aus dem Hotel vorbereitet, erklärt sie atemlos weiter. "Du hast eine Stunde Zeit." Wer nicht sofort abreise, dem drohe eine zweiwöchige Quarantäne. Zwei andere Skifahrer hören das Gespräch auf der Bergstation mit. Der eine flucht laut und rast hinab ins Tal.

Corona-Lockdown: Geschlossene Apres-Ski Bar in IschglBild: Getty Images/AFP/APA/J. Gruber

Panik im Gepäck

Auch ich stürze mich in die Abfahrt. Diese Fahrt ins Tal gehört sicher zu den schnellsten in meiner Skilaufbahn. Die Nachricht von der bevorstehenden Sperrung hat sich anscheinend schnell herumgesprochen. Immer mehr Wintersportler hetzen Richtung Talstation. Dort wird das Warten auf den Skibus zur Nervenprobe. Gerüchte machen die Runde: Die Landesgrenzen seien zu, Quarantäne-Lager würden aufgebaut. Im Bus dann Entwarnung von einem Einheimischen: Alle ausländischen Gäste dürfen das Tal verlassen, nur Österreicher müssen bleiben. Doch stimmt das?

Als wir im Hotel ankommen, sind die meisten Gäste schon abgereist. Auch von den Freunden ist kaum noch einer da. Es ist wohl nicht die Zeit für lange Verabschiedungen. Wir stopfen schnell unsere Taschen, beladen das Auto. Zurück bleibt unsere Gastwirtin, in einem leeren Hotel und mit zwei Wochen häuslicher Quarantäne.

Die Skisaison in den Alpen ist wegen Corona schon Mitte März vorbeiBild: picture-alliance/dpa/A. Riedl

Jetzt aber Tempo!

Auf der Straße scheint sich jeder selbst der nächste zu sein. Ein SUV schießt an uns vorbei, dann noch einer. An den Haltestellen des Linienbusses stehen Urlauber mit gepackten Koffern. Viele wirken verzweifelt. Ein Mann rennt mit einem Rollkoffer in der Hand die Straße runter. Bis zum Bahnhof in Landeck sind es noch viele Kilometer. Die Strecke führt an Ischgl vorbei. Skifahrer sind dort kaum noch zu sehen. Stattdessen Autos mit laufendem Motor und offenem Kofferraum. Hektisch werden Skier, Helme, Taschen verstaut. Einige steigen in Wintersportmontur in den Wagen. Unwillkürlich hält man den Atem an: Hier also ist das Epizentrum der Corona-Epidemie in Tirol.

An einer Polizeikontrolle werden wir angehalten. Ich bekomme Angst, befürchte, dass wir zurückgeschickt werden. Der Polizist mit Schutzmaske möchte unsere Gästekarten sehen. Ausländische Gäste werden durch gewunken. Für österreichische Touristen, Einheimische und Saisonmitarbeiter, egal welcher Nationalität, heißt es dagegen: umkehren.

Alle wollen nur eins: raus

Wir schalten das Navigationsgerät ein. Dabei führt ohnehin nur eine Straße aus dem Tal. Das Gerät weckt Zweifel, ob wir überhaupt herauskommen: Der Navi sagt eine gesperrte Straße voraus und will uns umleiten. Die Hoffnung siegt über die Technikgläubigkeit: Wir bleiben auf der Straße. Weil es alle anderen auch tun. Doch mit jedem Stopp, mit jedem weiteren Stau wächst die Sorge, nicht rechtzeitig aus dem Tal zu kommen. Wir atmen erst auf, als wir an St. Anton vorbeifahren – ein Gebiet, das auch unter Quarantäne gestellt wurde. Von hier ist es nur noch eine knappe Stunde bis zur deutschen Grenze.

Inzwischen hat Deutschland seine Grenzen zu Österreich geschlossen. Das deutsche Robert-Koch-Institut hat das österreichische Bundesland Tirol zum Risikogebiet erklärt. Auf der Weiterfahrt nach Köln lesen wir einen Tweet von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: Er rät jedem, der innerhalb der letzten 14 Tage in Österreich war, für zwei Wochen zu Hause zu bleiben - unabhängig davon, ob sich Symptome zeigen oder nicht. Ich habe Glück: Ich kann von zu Hause aus arbeiten, mein Arbeitsleben geht weiter. Für die meisten Menschen in Galtür, in Ischgl und den anderen Skiorten in Tirol gilt das nicht. Sie sind auf den Tourismus angewiesen, auf Gäste. Ihre Zimmer bleiben leer, Bars und Restaurants sind geschlossen, der Skibetrieb steht still.

In Köln wird sich jetzt wird sich zeigen, wie sehr die Pandemie auch meine Heimat verändern wird.

 

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