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Letzte Chance: Radikaler Entzug

Nina Werkhäuser6. Juni 2002

Die meisten Drogenabhängigen versuchen heute mit legalen Ersatzstoffen und "sanften Ausstiegsprogrammen" von der Spritze wegzukommen. Es gibt aber nach wie vor Leute, die den radikalen Entzug befürworten.

Weg von der DrogeBild: Bilderbox

Die Berliner Suchtselbsthilfe Synanon arbeitet seit 30 Jahren mit einem radikalen Entzug. Ehemalige Drogenabhängige helfen bei Synanon anderen, auch von der Droge wegzukommen und stattdessen ein sinnvolles Leben aufzubauen.

Die Tür steht allen offen

Einer von ihnen ist Peter Elsing. Er hat 15 Jahre lang Heroin gespritzt und saß im Gefängnis. Er galt als Altfixer, als hoffnungsloser Fall und wurde vom Gericht zu Synanon geschickt, wo er absolut nicht hinwollte. Heute ist er Vorsitzender der Stiftung Synanon: "Synanon hat mir das Leben gerettet, das ist gar keine Frage. Ich bin froh, dass ich zu Synanon gekommen bin, weil ich von mir weiß, dass ich in den ersten zweieinhalb bis drei Jahren keine Chance gehabt hätte, ohne eine solche Einrichtung nüchtern leben zu können."

Für viele Drogenabhängige ist Synanon die letzte ChanceBild: AP

Zum Synanon-Haus in Berlin-Kreuzberg kann jeder Süchtige kommen, egal welche Drogen er nimmt und welche Therapien er schon hinter sich hat. Niemand muss warten, ein Attest zeigen oder Geld auf den Tisch legen - Vorbedingungen gibt es nicht. Das unterscheidet Synanon von anderen Suchthilfeeinrichtungen.

Bier und Zigaretten sind verboten

Dafür erlegt Synanon den Süchtigen strenge Regeln auf: Keine Drogen, keine Gewalt. Mit "Drogen" sind nicht etwa nur Heroin oder Kokain gemeint, auch Bier und Zigaretten sind strikt verboten. So hat es auch Peter Elsing erlebt: Entzug auf die rabiate Methode, ohne Ersatzdrogen und ohne Therapeuten. Die Betreuung übernehmen die, die es schon geschafft haben. Sie sollen Vorbild für den Süchtigen sein.

Von heute auf morgen keine Drogen mehr nehmen, für drei Monate keinen Kontakt nach außen - viele schaffen das nicht und verlassen das Haus. Es ist einfach, zu Synanon zu kommen, aber schwer zu bleiben. Von den 570 Süchtigen, die im letzten Jahr aufgenommen wurden, waren zwei Drittel am Ende des Jahres nicht mehr da. "Jemand, der gegen die drei Regeln verstößt, muss bei Synanon in der Hierarchie wieder ganz unten anfangen. Da zählt die Kontaktpause wieder dazu, Kartoffelschälen in der Küche, Tisch decken und abdecken und alles, was dazu gehört", erzählt Elsing.

Arbeit spielt eine wesentlich Rolle

Die Stiftung Synanon Suchthilfe Gemeinschaft in BerlinBild: synanon

Heute leben rund 120 Menschen in den Einrichtungen von Synanon. Hans Schorr kam vor viereinhalb Jahren: "Am Anfang ist das sehr schwierig, aber mit der Zeit kann man hier Sachen machen, die ein Drogenabhängiger braucht, um ein gewisses Selbstwertgefühl zu erlangen. Das kann man bei Synanon sehr gut. Gleich am Anfang kriegt man das Gefühl, ich werde gebraucht, ich kann was machen. Das ist hier nicht eine Strohhalm-Flechttherapie, sondern wir arbeiten quasi für unser täglich Brot."

Sinnvolle Erwerbsarbeit anstelle von dumpfer Beschäftigungstherapie, das ist das Konzept von Synanon. Die Suchtselbsthilfe betreibt in Berlin unter anderem ein Umzugsunternehmen, ein Cafe, eine Bäckerei und eine Druckerei. Auf dem freien Arbeitsmarkt haben die ehemaligen Süchtigen kaum eine Chance, auch wenn sie schon ein paar Jahre drogenfrei gelebt haben.

"Lebensschule" Synanon

Durch die Ausbildungs- und Arbeitsstellen kann Synanon die ehemaligen Süchtigen in ein selbständiges Leben außerhalb der Einrichtung entlassen - nach spätestens drei Jahren sollte das geschafft sein.

Synanon will eine "Lebensschule" für die Süchtigen sein und nicht mehr wie früher eine Art Dauerwohngemeinschaft. Doch nicht nur das Konzept der Suchtselbsthilfe hat sich weiterentwickelt, sondern auch die Struktur. Nach einer finanziellen Krise Mitte der 1990er Jahre ist Synanon jetzt eine Stiftung mit soliden Rücklagen. Was geblieben ist, ist die Kritik von außen an der rigorosen Methode des Entzugs. "Diese Methode passt sicher nicht für alle Süchtigen", sagt dazu Peter Elsing, "aber für einige ist sie die letzte Chance."