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Letzte Chance Telekom

29. Juli 2010

Viele Unternehmen klagen, es gäbe zu wenige qualifizierte Bewerber für ihre Ausbildungsplätze. Gleichzeitig finden 200.000 Jugendliche keine Stelle. Die deutsche Telekom gibt nun auch schwierigen Fällen eine Chance.

Ein Mann putzt das T der Telekom
Nicht nur gut für das Image: Der Konzern überdenkt seine KriterienBild: AP

Viele Ausssichten hatte Emre Ergenekon nicht mehr. Seine Note im Fachabitur genügte nicht für das Studium, das er sich vorgestellt hatte. Weil zur gleichen Zeit sein erstes Kind geboren wurde, beschloss er erst einmal zu jobben - vorläufig, dachte er. Fünf Jahre wurden daraus. „Auch während ich gearbeitet habe, habe ich immer Bewerbungen geschickt. Aber gescheitert ist es immer an den Bewerbungsgesprächen.“

"Ich glaube, du willst nicht arbeiten"

Emre Ergenekon macht jetzt eine AusbildungBild: Deutsche Telekom

Ergenekon jobbte als Pizzafahrer, Barmann, Lagerarbeiter. Mit seinem ersten Fallmanager in der Arbeitsagentur kam es immer wieder zum Streit. Dann zog er um und bekam einen neuen Betreuer. "Er war auch schon am Verzweifeln. Er hat gesagt: 'Ich glaube, Du willst nicht arbeiten'." Warum der Betreuer beschloss, ihm doch eine Chance zu geben, weiß er nicht. Vielleicht hat sich seine Hartnäckigkeit einfach ausgezahlt. "Ich bin ein Mensch, der sehr impulsiv sein kann und ich habe ihm gesagt: Ich will nicht einfach so arbeiten. Ich will eine Ausbildung.“

Es war wohl seine letzte Chance auf einen Ausbildungsplatz, als der Fallmanager ihn an einem Freitag vor einem Jahr anrief, um ihn für den nächsten Montag zu einem Vorstellungstermin zu laden. Die Deutsche Telekom wollte ein Experiment wagen. Sie lud 300 Jugendliche ein, die wie Ergenekon seit längerer Zeit keinen Ausbildungsplatz finden. 61 von ihnen sollten in einem einjährigen Praktikum Gelegenheit haben, zu beweisen, dass sie für eine Ausbildung geeignet sind.

Durch das Raster gefallen

„Unter normalen Bewerbungsprozessen, auch bei der Telekom, wären diese jungen Menschen durch das bisher gültige Talentraster gefallen, bis wir uns entschieden haben, dieses Projekt zu starten", sagt Thomas Sattelberger, Personalvorstand der Telekom. "Wir wollten unsere Verfahren mal auf den Prüfstand stellen."

Seit Jahren klagen Unternehmen nämlich, dass sie nicht mehr genug geeignete Bewerber für ihre Ausbildungen finden. Gleichzeitig bleiben viele Lehrstellen unbesetzt, weil die Arbeitgeber nicht mehr genug Bewerber finden, die die Voraussetzungen erfüllen. In den nächsten Jahren wird sich die Situation weiter verschärfen, denn in absehbarer Zeit machen geburtenschwache Jahrgänge ihren Schulabschluss.

„Die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt wird sich komplett drehen", sagt Heinrich Alt von der Bundesagentur für Arbeit. "Und dann müssen wir auf Entdeckungsreise gehen und schauen, wo es bei den Jugendlichen Talente gibt, wo es Goldkörnchen gibt, aus denen man etwas machen kann. Wir müssen die Wirtschaft dafür gewinnen, auch auf vermeintlich Leistungsschwächere zuzugehen.“

Nicht von Brüchen im Lebenslauf beeindrucken lassen

Telekom Personalvorstand Thomas SattelbergerBild: Deutsche Telekom

Seit einigen Jahren gibt es bei der Arbeitsagentur ein Programm zur betrieblichen Einstiegsqualifikation, das Jugendliche für ein Jahr probeweise in die Betriebe bringt. Bisher sind vor allem kleine und mittelständische Betriebe beteiligt gewesen, die Telekom ist der erste Großkonzern, der sich auf das Experiment einlässt.

Renommierte Unternehmen wie die Telekom sind als Ausbildungsbetriebe beliebt genug, dass sie unter genügend Bewerbern auswählen können. Dennoch habe man sich frühzeitig auf Veränderungen einstellen wollen, sagt Personalvorstand Sattelberger. "Ich habe unseren Ausbildern und Ausbilderinnen mit auf den Weg gegeben, sie sollten sich von Brüchen, Einbrüchen und Tälern in Lebensläufen nicht beeindrucken lassen", bilanziert er die Erfahrungen aus dem Projekt. "Wir werden auch unsere Testverfahren anschauen und unsere Interview-Leitfäden überarbeiten.“

Vom Praktikant zum Auszubildenden

Von den 61 Jugendlichen, die im vergangenen Jahr an dem Programm teilgenommen hatten, setzen 50 ihre Ausbildung als reguläre Auszubildende fort. Emre Ergenekon wird direkt im zweiten Lehrjahr weitermachen. „Es ist eine große Änderung, wenn man sagt, jetzt lernt man wieder, jetzt muss man sich wieder bemühen. Das ist eine große Umstellung, aber es macht Spaß. Ich gehe lieber hierhin, als auf einer Arbeit zu sitzen, unterbezahlt zu sein und einfach keine Lust zu haben.“

Wenn alles gut geht, wird er in zwei Jahren ausgebildeter IT-Netzwerkelektroniker sein - anstatt Pizza auszufahren bei der Telekom oder anderen Firmen, die Computer-Netzwerke einrichten und pflegen.

Autor: Mathias Bölinger

Redaktion: Andreas Becker