Klima-Aktivisten kleben sich in Elbphilharmonie fest
Sarah Hucal
24. November 2022
Zuletzt hatten Klima-Aktivisten und Aktivistinnen der "Letzten Generation" mehrere Kunstwerke angegriffen. Nun haben sie ein Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie gestört - indem sie sich ans Dirigentenpult klebten.
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In den vergangenen Monaten haben Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten die Aufmerksamkeit der Welt auf sich gezogen. Etwa indem sie Meisterwerke von van Gogh, Vermeer und Monet mit Kartoffelbrei bewarfen oder sich an Bilderrahmen klebten. Und Aufmerksamkeit zu erregen ist genau das, was diese radikale Art von Klimaaktivismus bezwecken soll.
Die radikalen Klimaretter der "Letzten Generation"
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Die jüngste Demonstration gegen eine kulturelle Einrichtung fand am Abend des 23. November in der Hamburger Elbphilharmonie statt.
Gerade als die Sächsische Staatskapelle ihr Konzert beginnen wollte, betraten eine Frau und ein Mann der Gruppe "Letzte Generation" die Bühne und klebten sich ans Dirigentenpult. Sie riefen zum Widerstand gegen die ihrer Meinung nach unentschlossene Klimapolitik der deutschen Regierung auf.
Ein Video, das auf dem Twitter-Feed der Gruppe geteilt wurde, zeigt das Aktivistenpaar, wie es in Sicherheitswesten auf die Bühne kommt und sich dann mit Sekundenkleber an einer Reling vor dem Dirigentenpult festklebt.
"So wie es nur ein Violinkonzert von Beethoven gibt, haben wir nur diesen einen Planeten, dessen Grenzen wir so sehr missachten, dass klimabedingte Katastrophen immer häufiger und tödlicher werden", sagte die Frau auf der Bühne.
Sie wies auch darauf hin, dass bei einem weiteren Anstieg des Wasserspiegels die Elbphilharmonie selbst, die am Hamburger Hafen liegt, gefährdet sei.
Wie die Nachrichtenagentur dpa meldete, wurden die beiden nach kurzer Zeit von der Reling gelöst und in Gewahrsam genommen.
Nicht der erste Vorfall seiner Art
In den vergangenen Wochen haben Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten in ganz Europa prominente Kunstwerke ins Visier genommen, um ihre Botschaft für den Umweltschutz zu verbreiten.
Am 21. November wurde die Statue "Pferd und Reiter" des US-Künstlers Charles Ray in Paris mit orangefarbener Farbe übergossen. Dem Reiter legten sie ein Hemd mit der Aufschrift "We have 858 days left" (Wir haben noch 858 Tage) an, was sich auf die Dreijahresfrist für die Reduzierung der CO2-Emissionen bezieht.
Kartoffelbrei auf Gemälde: Die Aktionen der Klimaaktivisten
Von Monets "Heuhaufen" bis hin zu van Goghs "Sonnenblumen" - Aktivistinnen und Aktivisten greifen weltberühmte Meisterwerke an, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Künstler Jonathan Meese findet dafür harte Worte.
Bild: Historical Views/IMAGO
Attacke gegen Mailänder Scala
Diesmal traf es die weltberühmte Mailänder Scala. Am 7. Dezember verunstalteten Klima-Aktivisten die Fassade des Opernhauses. Man wolle die Politiker auffordern, ihre Vogel-Strauß-Politik zu beenden und sich für die Rettung der Bevölkerung einzusetzen, so ihr Statement. Der Künstler Jonathan Meese verurteilt das "ständig befeuerte Geschrei vom Weltuntergang". Rache an Kunst sei "superscheiße".
Bild: Piero Cruciatti/AFP/Getty Images
Erste Verurteilung in Großbritannien: drei Wochen Haft
Im Juni 2022 klebten sich zwei Aktivistinnen von "Just Stop Oil" an das Gemälde "Blühender Pfirsichbaum" von Vincent van Gogh in der Londoner Courtauld Gallery. Rund fünf Monate später wurden die jungen Frauen zu kurzen Haftstrafen verurteilt, eine von ihnen auf Bewährung. Das Gericht bezifferte den entstandenen Schaden auf 2000 Pfund (2300 Euro).
Bild: Historical Views/IMAGO
Charles Rays "Pferd mit Reiter"
Wenige Tage vor dem Urteil in London überschütteten Klima-Aktivisten am 18. November in Paris ein Standbild des US-Bildhauers Charles Ray mit orangener Farbe. Frankreichs Kulturministerin Rima Abdul Malak kritisierte die Farbattacke gegen die "ungeschützte Skulptur" und fügte hinzu: "Kunst und Ökologie sind keine Gegensätze."
Bild: Alain Jocard/dpa/AFP/picture alliance
Andy Warhols "Art Car"
Auch in Italien traf es einen US-Künstler: Aktivistinnen bewarfen am 18. November im Kulturzentrum Fabbrica del Vapore in Mailand ein bemaltes Auto des Pop-Art-Künstlers Andy Warhol mit acht Kilogramm Mehl. Offenbar wollten sie sich auch an den Scheiben festkleben, wurden aber abgehalten. Warum sie nicht Erdölfirmen oder Mega-Schiffe in Venedig anschreien würden, schimpfte ein Museumsbesucher.
Bild: Ultima Generazione/dpa/picture alliance
Andy Warhols "Campbell's Soup Cans"
Schon am 9. November hatten Aktivisten der Gruppe "Stop Fossil Fuel Subsidies" (Stoppt Subventionen für fossile Brennstoffe) ein Andy Warhol-Werk ins Visier genommen und Buchstaben auf "Campbell's Soup Cans"-Drucke gesprüht. Die Serie ist in der National Gallery of Australia in Canberra ausgestellt. Ein Aktivist rief: "Wir befinden uns im Klimanotstand", bevor er seine Hand aufs Schutzglas klebte.
Bild: Stop FF Subsidies
Gustav Klimts "Tod und Leben"
Auch das Wiener Leopold-Museum hat es getroffen: Aktivisten der Gruppe "Letzte Generation" haben ein berühmtes Klimt-Gemälde mit einer öligen Flüssigkeit überschüttet, zudem klebte sich einer von ihnen mit der Hand an die Schutzscheibe vor dem Gemälde. Wie Klimts Figuren auf dem Bild würden sie die tödliche Bedrohung nicht wahrhaben wollen, so die Erklärung der Aktivisten zur Symbolik der Aktion.
Bild: LETZTE GENERATION ÖSTERREICH/dpa/picture alliance
Francisco Goyas bekleidete und nackte Maja
Am 5. November klebten sich Aktivisten an den Rahmen zweier klassischer Gemälde von Francisco Goya im Prado-Museum in Madrid. Die Aktivisten malten "+1,5°C" an die Wand des Museums und bezogen sich damit auf das Ziel des Pariser Klimaabkommens zur Begrenzung der globalen Erderwärmung. Die Gruppe Futuro Vegetal (Zukunft der Pflanzen) übernahm die Verantwortung.
Bild: Extinction Rebellion/AFP
Johannes Vermeers "Das Mädchen mit dem Perlenohrring"
Belgische Aktivisten von "Just Stop Oil" nahmen Ende Oktober in Den Haag ein Meisterwerk des niederländischen Malers Johannes Vermeer ins Visier. Eine Person klebte ihre Hände an "Das Mädchen mit dem Perlenohrring", das sich hinter Glas befindet, eine andere an die angrenzende Wand, während eine dritte das Werk mit Suppe bewarf. Zwei Aktivisten wurden zu zweimonatigen Haftstrafen verurteilt.
Bild: Peter Dejong/AP/picture alliance
Vincent van Goghs "Sonnenblumen"
Im Oktober warfen zwei Frauen außerdem Tomatensuppe auf Vincent van Goghs "Sonnenblumen" in der Londoner National Gallery. Anschließend klebten sie ihre Hände an die Galeriewand. Wie bei all diesen Aktionen wurde das Ölgemälde selbst dank einer Schutzhülle aus Glas nicht beschädigt, allerdings wurden die Demonstranten festgenommen und später angeklagt.
Bild: Victoria Jones/PA Wire/picture alliance
Claude Monets "Heuhaufen"
Zwei Aktivisten der deutschen Gruppe "Letzte Generation" bewarfen am 23.10.2022 Claude Monets "Heuhaufen" im Museum Barberini in Potsdam mit Kartoffelpüree. Der Monet war durch einen Glasrahmen geschützt. "Menschen hungern, Menschen frieren, Menschen sterben. Wir befinden uns in einer Klimakatastrophe", rechtfertigte ein Aktivist die Aktion.
Bild: Last Generation/ABACA/picture alliance
Peter Paul Rubens' "Der bethlehemitische Kindermord"
Ende August klebten sich in München zwei Männer an einem Rubens-Gemälde fest. Museumsmitarbeiter und Polizisten setzten Lösungsmittel ein, um die Aktivisten von dem Rahmen aus dem 17. Jahrhundert zu trennen. Er wurde ebenso in Mitleidenschaft gezogen wie die Wandbespannung, der Schaden beläuft sich laut Staatsanwaltschaft auf 11.000 Euro. Mitte November hat das Amtsgericht Strafbefehl erlassen.
Zwei Mitglieder des italienischen Ablegers von "Letzte Generation" klebten sich am 18.8.2022 in den Vatikanischen Museen an die antike Statue des Priesters "Laokoon". Der hatte seine trojanischen Mitbürger davor gewarnt, das von den Griechen vor den Stadttoren zurückgelassene Holzpferd anzunehmen. Auch die Appelle der heutigen Klimaforscher stießen auf taube Ohren, sagten die Aktivisten der DW.
Bild: Last Generation
John Constables "Der Heuwagen"
Anfang Juli 2022 überklebten Aktivisten von "Just Stop Oil" dieses Gemälde des englischen Malers John Constable mit einem Poster, das anstelle der idyllischen Flusslandschaft eine asphaltierte Straße, abgestorbene Bäume, Fabrikschornsteine und Flugzeuge zeigt. Ein Kunstrestaurator hatte ihnen zuvor gesagt, dass die Farb- und Lackschichten des Gemäldes einem leichten Klebstoff standhielten.
Bild: CARLOS JASSO/AFP
Leonardo da Vincis "Das letzte Abendmahl"
Es ist zwar nur eine Kopie von da Vincis unbezahlbarem Meisterwerk "Das letzte Abendmahl", die in der Royal Academy in London ausgestellt ist. Trotzdem klebten sich - ebenfalls im Juli - Aktivisten am Rahmen fest. Simon Bramwell von "Just Stop Oil" sagte der DW, dass das Werk ausgewählt wurde, weil es thematisch im Zusammenhang mit dem Klimawandel stehe.
Bild: James Manning/PA Wire/empics/picture alliance
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Anfang dieses Monats übergossen zwei Klimaaktivisten das Gustav-Klimt-Gemälde "Tod und Leben" aus dem Jahr 1915 im Leopold-Museum in Wien mit Öl. Einer von ihnen klebte aus Protest seine Hand an den Rahmen des Bildes. Solche Methoden, die sich der Kunst als Medium bedienen, finden in der Tat weltweit Beachtung.
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Verständnis und Ehrung durch ein Kunstmagazin
Nach der Störaktion in der Elbphilharmonie äußerte ein Sprecher des Konzerthauses gegenüber der dpa Verständnis: "Selbstverständlich wünschen wir uns störungsfreie Konzerterlebnisse für unser Publikum. Wir verstehen aber auch die von den jungen Protestierenden friedlich zum Ausdruck gebrachte Sorge um unsere natürlichen Lebensgrundlagen."
Einige Konzerthäuser denken nun über besondere Sicherheitsmaßnahmen nach. Das Konzerthaus Berlin jedoch nimmt den Vorfall in Hamburg gelassen: Da es sich um eine gewaltfreie, aktivistische Aktion gehandelt habe, sehe das Haus keine persönliche oder körperliche Gefahr für die Besucherinnen und Besucher. "Wir leben inmitten der Klimakrise. Aktionen, die Missstände im Umgang mit der Krise aufzeigen, müssen und sollen in einer meinungsfreien und demokratischen Gesellschaft möglich sein", hieß es beim Konzerthaus.
Das deutsche Kunstmagazin "Monopol" hat die Klimaaktivisten in seine jährliche Liste der hundert wichtigsten Akteure der zeitgenössischen Kunstwelt aufgenommen und sie auf Platz 19 gelistet.
Das "Monopol"-Magazin erklärte, dass es nicht immer mit ihrer Taktik einverstanden sei, kam aber zu dem Schluss, dass die Aktivisten "den Wert der Kunst für die Gesellschaft betonen".
An erster Stelle der Liste steht die US-amerikanische Fotografin Nan Goldin, während das indonesische Kunstkollektiv Ruangrupa, das die umstrittene Documenta-Ausstellung 2022 kuratierte, den zweiten Platz belegt.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen übersetzt und mit dpa-Informationen ergänzt.