Letzter Friede unter Bäumen
19. Juli 2006Sie hat ihren Baum gefunden. Die alte Eiche ist hoch gewachsen, steht etwas frei und das Sonnenlicht fällt auf die Baumrinde. Ursula Engberg ist aus dem Allgäu in ihre Heimat bei Berlin gekommen, um einen Baum auszusuchen. Hier möchte die gebürtige Berlinerin einmal begraben werden. Auch ihr bereits verstorbener Mann soll hier seine letzte Ruhe finden. Er liebte die Natur. Frau Engberg hat sich für eine Bestattung im Friedwald entschieden. In einem gewöhnlichen Wald werden Urnen mit der Asche Verstorbener unter Bäumen beigesetzt: "Also ein Friedhof war für mich immer schon irgendwie nie das Wahre. Mein Mann war naturliebend und wollte ursprünglich einmal Förster werden. Der Friedwald ist überhaupt das Ideale."
Mit Namen oder ohne
Die Möglichkeit einer Beisetzung im Wald gibt es in Deutschland seit fünf Jahren. Bis dahin wurden die Menschen vorwiegend auf ausgewiesenen kirchlichen oder staatlichen Friedhöfen bestattet. Ein Friedwald ist ein ganz normaler Laubwald. Es gibt einen Parkplatz für die Besucher, Waldwege und gekennzeichnete Bäume. An den Bäumen sind kleine Markierungsplaketten oder Namensschilder für die Verstorbenen angebracht. Es gibt keine Grabsteine wie auf einem Friedhof mit den Namen und Daten der Verstorbenen. Besonders die christlichen Kirchen in Deutschland setzen sich für Namensschilder an den Bäumen ein, weil die Menschen nicht anonym bestattet werden sollen. Entscheiden kann aber jeder selbst.
Dreizehn Friedwälder gibt es in Deutschland, es sollen noch mehr hinzukommen. Allein die Friedwald-GmbH hat bisher 54.000 Verträge abgeschlossen, darunter sind auch 150 Menschen, die im Ausland leben und ihren Baum in der Heimat schon zu Lebzeiten gepachtet haben.
Fast 100 Jahre
99 Jahre lang, ab dem Eröffnungstag des Friedwaldes, wird der Baum aus der forstlichen Nutzung heraus genommen. Die Friedwald-Kunden zahlen für ihre Bäume je nach Größe und Schönheit des Baumes. Besonders beliebt ist ein "Familienbaum" oder der "Freundschaftsbaum", unter dem bis zu zehn Familienmitglieder oder Bekannte ihren Platz finden. Einen solchen Baum gibt es ab 3350 Euro. Ein einzelner Platz unter einem "Gemeinschaftsbaum" kostet 770 Euro, unter einem besonders schönen "Prachtbaum" 1250 Euro.
Viele Menschen möchten ihren Nachkommen nicht zur Last fallen. Es wird vorher gezahlt und die Grabpflege im Friedwald übernimmt die Natur. Renate Meyer ist zwar erst 57 Jahre alt, kauft aber jetzt schon ihren Baum: "Wir müssen selber auch Gräber pflegen und wissen, wie schwer das ist. Und das wollen wir unseren Kindern auch nicht zumuten."
Praktische Gründe
Wälder können aber für Trauernde auch einsam und abgelegen sein - im Gegensatz zum Friedhof, auf dem sich die Leute traditionell begegnen, so die Kritiker des Friedwalds. Das sehen die Interessenten im Friedwald bei Berlin bei ihren praktischen Überlegungen anders. Für viele ist entscheidend, dass sie sich um ein Grab im Wald nicht kümmern müssen.
Auch Jenny Bischoff hat für ihren Mann vor vier Jahren eine Grabstelle ausgesucht. Der Förster hat sie dabei beraten. Sie findet, dass der Baum zum verstorbenen Menschen passen muss. Ein Achtzehnjähriger zum Beispiel könne auch einen jungen frischen Baum bekommen. Jenny Bischoffs Mann war bei seinem Tod 59 Jahre alt, sie hat für ihn eine alte Eiche ausgewählt. Sie freut sich darüber, wie der Baum sich in den verschiedenen Jahreszeiten verändert. Mehrmals im Jahr, am Hochzeitstag, am Sterbetag ihres Mannes und wenn ihr danach ist, fährt sie aus Berlin in den 370 Kilometer entfernten Friedwald zu ihrem Baum: "Das ist nicht nur ein Spaziergang, sondern wir machen da meistens ein Picknick drunter. Wir nehmen eine Decke mit und ein Fläschchen Sekt. Im Wald kann man das ja machen, im Friedhof würde man wahrscheinlich komisch angeguckt werden."