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Letztes Gespräch vor der Schwerelosigkeit

26. Oktober 2021

Der deutsche Astronaut Matthias Maurer fliegt zum ersten Mal zur ISS. Sechs Monate wird er dort leben, 400 Kilometer über der Erde. Wie liefen die letzten Vorbereitungen, was erwartet ihn?

ESA-Astronaut Matthias Maurer
Es ist der erste Raumflug des 51-Jährigen, der seit Juli 2015 Teil des ESA-Astronautenkorps istBild: Allison Bills/dpa/NASA/ESA/picture alliance

DW: Hallo Herr Maurer! Es ist nicht mehr lange hin, dann steigen Sie in die Raumkapsel und starten zur ISS. Die letzten zwei Wochen mussten Sie ja nun in Quarantäne verbringen, um keine Krankheiten mit zur Raumstation zu nehmen. Wie nutzten Sie diese Tage?

Matthias Maurer: Ja, in der Quarantäne stand ein bisschen Sport an. Und es gab ein paar Meetings, bei denen wir nochmal Informationen erhielten, wie der Start genau abläuft. Wir haben die Choreografie geübt: Wie gehen wir zur Tür raus? Wer geht zuerst vorne links? Wer steigt wo in das Auto ein? 

Klar, das muss alles geübt sein.

Genau, damit wir nicht über unsere Füße stolpern.

Sind Sie denn aufgeregt vor dem Start?

Die Frage höre ich momentan 50 Mal am Tag. (lacht)

Das glaube ich.

Vorher war mir das gar nicht so bewusst, dass alle immer fragen: "Bist du aufgeregt?". Ich glaube, die Leute um mich rum fiebern alle total mit. Für sie ist das alles so neu, da kommen plötzlich so viele Fragen auf. Aber weil ich mich jetzt seit Jahren damit beschäftige, weiß ich eigentlich genau, was auf mich zukommt. Und ich glaube, die Aufregung setzt erst ein, wenn wir in die Kapsel einsteigen. Dann geht die Luke zu.

ESA-Astronaut Matthias Maurer wird in einer Dragon Crew-Kapsel von SpaceX zur ISS fliegen.Bild: SpaceX/Getty Images

Bis dahin ist das ja immer noch wie im Training. Aber wenn dann plötzlich die Rakete anfängt, Geräusche zu machen. Schon beim Betanken soll die Rakete ganz laut sein und klappern und krachen und knacken. Ich glaube, das ist der Moment, wenn ich dann wirklich merke: Oh, heute ist etwas anders, heute geht es wahrscheinlich doch richtig los.

Party auf der Internationalen Raumstation

Werden Sie denn irgendetwas für die Crew da oben mitnehmen? Ein Mitbringsel von der Erde?

Ich habe ein paar Weihnachtsgeschenke eingepackt für meine Crew-Kollegen. Geburtstag hatten alle schon vor der Mission. Nur mein Geburtstag wird oben sein. Es wäre ganz nett, wenn ich auch eine kleine Überraschung zum Geburtstag bekommen würde. Schwarzwälder Kirschtorte wäre mir am liebsten. Aber ich glaube, das gibt es nicht. (lacht)

Am 18. März ist Ihr Geburtstag, richtig? Wie werden Sie ihn denn feiern?

An dem Tag kommt eine Sojus-Kapsel oben an. Das heißt, drei russische Kollegen kommen dazu. Das sind meine Partygäste. Und am Tag davor wird mein Kollege Marc den Rekord gebrochen haben, als US-Amerikaner am längsten im Weltall gewesen zu sein. Das heißt, wir werden an diesen Tagen drei gute Gründe haben zu feiern. Und dann werden wir einfach mal gucken, was es da oben so gibt, um Party zu machen. Wahrscheinlich laute Musik, alkoholfreie Getränke und der Rest wird improvisiert.

Höllenritt in der SpaceX-Raumkapsel zur ISS

Worauf freuen Sie sich denn am meisten, wenn Sie an deine Zeit da oben denken?

In die Rakete einzusteigen und dann diesen Höllenritt in 9,5 Minuten von 0 auf 28.000 Kilometer pro Stunde. Das ist sehr spektakulär. Das sagen auch Profi-Astronauten, die vorher Testpiloten waren - also die gewohnt sind, schnelle Kisten zu fliegen.

Nach neuneinhalb Minuten ist die Beschleunigung dann schon vorbei. Und dann ist das Schweben angesagt, für ein halbes Jahr. Dann freue ich mich darauf, alle 90 Minuten eine Weltreise zu machen. Mit einem super tollen Blick auf die Erde. Und ich freue mich total, unseren Planeten von oben zu genießen.
Und was werden Sie da oben am meisten vermissen?

Die ISS fliegt in 400 Kilometern über die Erde. Der Blick nach unten ist für viele Astronauten der Höhepunkt ihrer Reise.Bild: Reuters/NASA-JSC/Handout

Durch den Wald zu joggen, die frische Luft im Gesicht zu spüren. Dann die Kräuter, die Natur an sich über alle Sinnesorgane in mich aufzusaugen. Das wird mir fehlen. Auch ins Wasser zu springen, zu schwimmen und das alles auf der Haut zu spüren. Freunde, um mich zu haben.

Sicher, all das wird fehlen. Aber mittlerweile geht es recht gut, Kontakt zu halten - viel besser als noch vor 20 Jahren, wo die Astronauten nur ab und zu mal einen Funkspruch runter schicken konnten.

Im September 2018 erhielt Maurer seine Graduierung zum Astronauten - und damit die Erlaubnis für einen Flug ins WeltallBild: Reuters/R. Orlowski

Was denken Sie, wie Sie die sechs Monate in der Schwerelosigkeit körperlich mitnehmen wird?

Mit dem Körper passiert sehr viel in der Schwerelosigkeit. Zuerst einmal entspannt er sich total. Es ist wie im Wasserbett zu liegen. Stell dir vor, du liegst sechs Monate im Wasserbett, dann würde dein Körper auch denken: Oh, ich brauche hier gar nicht so viele Muskeln. Ich brauche eigentlich auch gar nicht so starke Knochen. Weg damit, alles abbauen. Und in der Schwerelosigkeit ist es so, wie im Bett zu liegen - aber mit einer sieben Grad-Schieflage. Wir liegen also nicht flach im Bett, sondern sozusagen sieben Grad nach unten. Und dann fließt die Flüssigkeit in den Kopf.

Das heißt, man hat am Anfang einen dicken, angeschwollenen Kopf, ganz dünne Beinchen und der Körper muss sich darauf erst einmal einstellen. Er muss dem Körper Flüssigkeit entziehen. Das führt auch dazu, dass wir einen trockenen Blutverlust haben. Wir verlieren oben circa einen Liter Blut - ohne dass wir  bluten. Der Körper baut es einfach ab.

Wenn wir nachher zurückfliegen auf die Erde, dann fehlt uns natürlich dieser Liter Blut. Und deswegen sind die Astronauten bei der Landung so blass. Die Flüssigkeit schießt dann wieder in die Beine runter und wir haben Probleme mit dem Gleichgewichtssinn.

Der menschliche Körper in Schwerelosigkeit

Stimmt, Astronauten sehen immer sehr wackelig aus, wenn sie nach der Landung aus der Raumkapsel gehievt werden. Was passiert sonst noch mit dem Körper in der Schwerelosigkeit?

Das Immunsystem wird schwächer, die Augen werden schlechter. Also es passiert richtig viel - und alles in die falsche Richtung. Aber was mit uns da oben passiert, läuft analog zu Krankheiten, die auf der Erde bei Menschen vorkommen. Bei uns passieren diese Änderungen nur viel, viel schneller.

Ohne die richtige Ernährung, Medikamente und Fitness würden sich meine Knochen 30 Mal schneller abbauen als auf der Erde. Ich bin ein Versuchskaninchen im Zeitraffer. Was mit mir auf der ISS passiert, passiert auch bei älteren Menschen mit Osteoporose. Das heißt, was wir an den Astronauten im Zeitraffer lernen können, kann den Menschen auf dem Boden helfen. Auf der ISS machen wir Sport dagegen:  Eine Stunde Fitness und eine Stunde Krafttraining pro Tag - um dem Körper vorzulügen, dass er noch seine Muskeln braucht.

Die erste im Weltraum blühende Zinnie. Experimente wie diese sind die Hauptbeschäftigung von Astronauten auf der ISSBild: picture-alliance/dpa/NASA

Einen Großteil Ihrer Zeit werden Sie auch dafür nutzen, wissenschaftliche Experimente durchzuführen. Für welche interessieren Sie sich besonders?

Ich bin ja Wissenschaftler und ich freue mich auf jedes Experiment. Experimente zu machen war für mich der Antrieb, Astronaut zu werden. Ich dachte, wenn ich da hoch fliege, kann ich in einer extrem außergewöhnlichen Position Wissenschaft machen. 3D-Druck im All zum Beispiel würde vieles ermöglichen in der Raumfahrt. Wir müssen sehr viele Ersatzteile zur ISS hochfliegen und diese Ersatzteile nehmen natürlich Platz weg.

Da wäre es ideal, einen 3D-Drucker dabei zu haben. Wenn dann etwas kaputt geht, kann ich mir das Ersatzteil einfach drucken. Danach kann ich das kaputte Teil klein schreddern und dann wieder in ein neues Produkt drucken. Das probieren wir schon auf der ISS.

Die ISS ist auch ein schwebendes Labor. Vor allem wird die Wirkung der Schwerelosigkeit erforscht.Bild: NASA

100 Experimente im Weltall

Aber Sie betreuen ja über 100 Experimente auf der ISS. Da können Sie doch nicht in jedes wirklich einsteigen, oder?

Ja, da haben Sie natürlich recht. Es gibt Experimente, die stecken einfach in einer kleinen Kiste, die ich nur in die Experimenthalterung klicken muss. Da muss ich im Zweifelsfall nicht mal wissen, was dort im Detail drin ist. Das sind unsere kleinen Schnell-Experimente, die in kleinen Boxen hochgebracht werden und vollautomatisch ablaufen.

Dann gibt es aber auch die komplexen Experimente, bei denen ich viel aufbauen muss, oder bei denen ich sogar selbst Teil des Experiments bin. Und dann muss sich Schritt für Schritt alles wirklich genau nach Anleitung abarbeiten, damit das Experiment dann auch funktionieren kann.

Ich wünschte mir sehr, ich würde jedes Experiment im Detail kennen und verstehen. Ich bin total begeistert von dieser Wissenschaft, die wir da oben machen und von den Ideen, die die Menschen da hoch schicken. Bei manchen Projekten denke ich: Wow, das ist aber mal ein Knüller. Das ist ja ein Genie, der auf diese Idee gekommen ist. Leider erfahre ich das nicht von allen Experimenten bis ins letzte Detail, was ich dort oben alles dann umsetzen darf.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Maurer, und eine gute Zeit auf der ISS!

Matthias Maurer, 51, wird als zweiter ESA-Astronaut im Rahmen des Commercial Crew Programme der NASA zur ISS fliegen. Maurer ist promovierter Werkstoffwissenschaftler und stammt aus dem saarländischen St. Wendel.

Das Interview führte Lea Albrecht.

 

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