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Erste deutsche Verfilmung von Anne Franks Tagebuch

Stefan Dege18. Februar 2015

"Das Tagebuch der Anne Frank" gehört zur Weltliteratur und wurde in 70 Sprachen übersetzt. Die ARD-Produktion "Meine Tochter Anne Frank" ist die erste deutsche Verfilmung. Regisseur Raymond Ley im DW-Interview.

Deutschland Meine Tochter Anne Frank (Spielfilm)
Bild: HR/AVEJanett Kartelmeyer

Das Leben der jüdischen Familie Frank aus einem neuen Blickwinkel: Im Mittelpunkt von Raymond Leys Film stehen nicht nur Annes letzte Lebensjahre in ihrem Versteck in einem Amsterdamer Hinterhaus, ihre Hoffnungen und der Verrat an die Gestapo - sondern auch das Schicksal ihres Vaters Otto Frank. Er überlebte als Einziger den Holocaust und sorgte nach dem Krieg für die Veröffentlichung des Tagebuchs. Es erschien in einer Gesamtauflage von mehr als 30 Millionen Exemplaren und wurde mehrfach verfilmt.

Der Film "Meine Tochter Anne Frank" ist ein sog. Doku-Drama. In ihm sind Spielszenen mit historischen Aufnahmen und Interviews gemischt. Zeitzeugen kommen zu Wort.

Regisseur und Autor Raymond LeyBild: HR/Benjamin Knabe

DW: Herr Ley, Sie erzählen die Geschichte aus der Perspektive des Vaters Otto Frank, der Ausschwitz überlebt hat. Wieso?

Raymond Ley: Ich hätte auch gedacht, es gibt mindestens 52 Fernsehspiele und drei Serien dazu. Aber es war nicht so. Vielleicht liegt es auch ein bischen an der Wertigkeit von Literatur, diese ganze Diskussion um "Mädchen-Literatur". Aber da kann ich nur mutmaßen. Es über Otto zu erzählen, war eine Idee, die zwischen mir, dem Produzenten und der Redaktion entstand. Und so haben wir diese Führung gewählt, um in die Geschichte einzusteigen. Also ein ganz normaler, dramaturgischer Entwurf.

Im März jährt sich der Tod von Anne Frank, die in Bergen-Belsen starb, zum 70. Mal. Was gibt es noch zu erzählen, was wir nicht schon wissen über sie?

Ich glaube, es geht darum, einmal die verschiedenen Täter- und Verräterperspektiven auf diese Geschichte zu zeigen. Es gibt keinen Film, der auch die Zeitzeugen so massiv versammelt und zum Sprechen bringt. Ich hatte das Gefühl, nachdem wir den Film fertig hatten, dass er relativ einmalig ist. Unser Ansatz war es, uns stark um den Text zu kümmern - das Erwachsenwerden von Anne, ihre literarischen Ansätze, das Verhältnis zur Mutter in ein zeitgemäßes Kleid zu fassen.

Ihr Film bebildert aber nicht einfach das Tagebuch von Anne Frank. Sie zeigen vielmehr auch, unter welchen Umständen und in welcher Zeit es entstanden ist.

Das zeigen wir auch, ja. Aber wir können nicht das Amsterdam von 1944 zeigen. Wir können den Druck, der auf die Versteckten geherrscht haben muss, die Verfolgung, den Verrat, der in den Straßen drumherum viele Menschen das Leben kostete, nur ahnen. Wir erzählen das in Form des Kammespiels, in Form der Konfrontation, die die Versteckten untereinander hatten, miteinander auszukommen. Aber immer mit dem großen Lebenswillen von Anne, die das zwar als absolute Zäsur in ihrem Leben betrachten musste, die aber immer Hoffnung hatte. Am Ende sagt sie: "Vielleicht können wir im September, wenn der Krieg aus ist, schon wieder in die Schule gehen."

Das Tagebuch der Anne FrankBild: picture-alliance/dpa

Wir lernen Anne Frank, die von Mala Ende gespielt wird, als fröhlichen Teenager kennen. Streichen Sie, indem Sie das normale Mädchen Anne zeigen, das Besondere ihres Schicksals heraus?

Ich glaube, wir wollten den Verlust herausstellen, den Verlust eines Menschen. Wir wollten den Zuschauer so weit bringen, daß er sich mit ihr beschäftigt und sie besonders findet, dass er um Anne fürchtet. Wir wollten sie, wie Sie sagen, herauslösen aus dem großen Holocaust-Schicksal und als Person erkennbar machen.

Sie haben dafür die Form des Doku-Dramas gewählt. Sie mischen Spielszenen mit historischen Aufnahmen - zum Beispiel vom deutschen Einmarsch in Holland. Und das mischen Sie mit Interviews von Zeitzeugen, der besten Freundin etwa. Warum dieses Collagehafte? Damit es glaubwürdiger, nachvollziehbarer wirkt?

Nein. Natürlich entsteht im Doku-Drama immer eine Collage aus Spielsituationen und Zeitzeugensituationen. Für den Zuschauer, der puristisch ein Schicksal erleben möchte, ist es gewöhnungsbedürftig, auch auf den authentischen Verweis gestoßen zu werden. Ich finde es aber hilfreich, eine Freundin von Anne zu erleben, die sagt: "So war es wirklich." Wenn Sie sagen: Jetzt möchte ich die volle Tragik in großer emotionaler Dichte erleben, dann erlaubt Ihnen der Zeitzeuge eine gewisse Reflexion: Sie steigen aus der Geschichte aus, sehen die Person und steigen wieder in die Geschichte ein. Ich mag das. Und ich hoffe, der Zuschauer mag das auch.

Anne (Mala Emde) am SchreibtischBild: HR/AVEJanett Kartelmeyer

Da tritt zum Beispiel dieser SS-Mann auf, der nach dem Verrat Anne Frank und die anderen verhaftet. Hatten Sie ein klares Bild von der Täterseite, diesem typischen Naziverbrecher?

Überhaupt nicht. Ich wusste, dass es einen Prozess um Karl Josef Silberbauer gab, der Anne Frank und alle anderen dort im Haus verhaftet hat. Ich wusste über diesen Mann relativ wenig. Dieses Interview haben wir durch Zufall entdeckt. Der Journalist Huf hatte das angefertigt - 1962, während der Silberbauer-Prozesse in Wien. Wir haben das dann aus dem Holländischen übersetzen lassen und merkten: Das ist ja eine glasklare Begegnung und zeigt noch einmal, wie die Täter am Ende des Nationalsozialismus über ihre Opfer dachten. Die Form des Doku-Dramas macht es möglich, einige Jahre nach vorne zu springen und auf die zu schauen, die damals die Verhaftung vorgenommen haben.

Es gibt immer wieder Streit über die Art und Weise, wie an Anne Frank erinnert werden soll. In Amsterdam läuft ein Anne-Frank-Musical. Das ZDF hatte Streit mit dem Anne-Frank-Fonds in Basel wegen eines Filmprojekts. Taugt dieses schreckliche Schicksal eigentlich für einen Streit?

Eigentlich nicht. Da gibt es verschiedene, über Jahre gewachsene Verhältnisse, die nie mein Thema waren. Wir haben einen Film für die ARD gemacht, nicht für den Anne-Frank-Fonds. Also musste ich mich frei machen von diesen Dingen, die ich nicht verursacht habe, sondern nur beobachte. Die waren für uns nicht wichtig, sondern eher hinderlich.

Das Gespräch führte Stefan Dege. Raymond Ley, Jahrgang 1958, ist Autor, Film- und Fernsehregisseur. Er wurde vor allem im Bereich Dokufiktion bekannt.

Der Film ist auf den Seiten des Hessischen Rundfunks und bei der ARD-Mediathek abrufbar.

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