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Politik

LGBTIs in türkischer Haft: Doppelt bestraft

7. September 2019

Sexuelle Minderheiten sind in türkischen Haftanstalten homophoben Schikanen ausgesetzt - eine Studie dokumentiert dramatische Einzelschicksale. Doch die Vorschläge der türkischen Regierung sind bislang versandet.

Bild: Reuters/M. Sezer

Die 44-jährige Transsexuelle Buse Aydin ist seit 24 Jahren "aus politischen Gründen" in türkischer Haft. Für sie fühlt es sich so an, als sei sie in zwei Gefängnissen gleichzeitig einsperrt: Zum einen hinter den Gittern des westtürkischen Hochsicherheitsgefängnisses von Tekirdag - zum anderen gefangen im "falschen Körper".

Die türkische Menschenrechtlerin Eren KeskinBild: imago/H. Rudel

Im Knast wird auf diese Befindlichkeit keine Rücksicht genommen: Fünf Jahre wartete sie auf eine geschlechtsangleichende Operation. Schließlich lehnte das Gesundheitsministerium ihre Anfrage ab - "nicht notwendig", lautete die knappe Begründung. In ihrer Verzweiflung versuchte sie zunächst durch einen Hungerstreik die für sie so wichtige Operation zu erzwingen. Als auch das nichts an der Entscheidung änderte, schnitt sie sich selbst auf der Gefängnistoilette ihren Penis ab. Ihre Anwältin Eren Keskin sagte der Deutschen Welle: "Die Gesetzeslage ist eigentlich klar: Der Staat müsste die Kosten für ihre Operation tragen." Sie geht davon aus, dass die Ablehnung der Operation "auf der homophoben Haltung der Entscheidungsträger" beruhe.

Der Fall Aydin wurde von der Forschungseinrichtung "Zivilgesellschaft für den Strafvollzug" (CISST) im August veröffentlicht - die Geschichte verbreitete sich rasch in der türkischen Öffentlichkeit und sorgte für Bestürzen. CISST untersucht die Situation in türkischen Gefängnisse, zu diesem Zweck stehen die Mitarbeiter in ständigem Briefkontakt mit Strafgefangenen. Besonders häufig erreichen sie Beschwerden von Personen wie Aydin: Häftlinge, die einer sexuellen Minderheit angehören.

Transsexuelle in Isolationshaft

Für die CISST-Mitarbeiterin Hilal Basak Demirbas ist dieser Fall keine Ausnahme, sondern nur ein Beispiel für ein strukturelles Problem in türkischen Gefängnissen. In der von ihr veröffentlichten Studie "LGBTI-Häftlinge in der Türkei" wertete sie einige Beschwerdebriefe von LGBTI-Gefangen aus. 

"Eines der schwerwiegendsten Probleme ist, dass LGBTIs in Einzelhaft untergebracht werden - vor allem dann, wenn sich in dem Gefängnis keine anderen LGBTIs befinden". Ein anderer Grund für die Einzelhaft sei aber auch die derzeitige Überfüllung der Gefängnisse. "Vor zwei Jahren gab es in einem Gefängnis bei Alanya mehrere LGBTI-Gefangene, doch das Gefängnis war so überfüllt, dass keine Zelle für die Gruppe bereitgestellt werden konnte. Die LGBTI-Gefangenen kamen also allesamt in Isolationshaft". Laut der Studie können LGBTIs mehr als acht Monate in Isolationshaft verbringen - eine Dauer, die eigentlich nur für Schwerverbrecher vorgesehen ist.

CISST-Mitarbeiterin Hilal Basak DemirbasBild: Privat

Erniedrigungen und Beleidigungen

Um Lesben, Schwule oder Transsexuelle vor Übergriffen und Diskriminierung zu schützen, werden sie laut der Studie zwar meistens von heterosexuellen Häftlingen räumlich getrennt. Zudem mache sich langsam eine höhere Sensibilität der Vollzugsbeamten in den Gefängnissen bemerkbar. Doch die Berichte über Erniedrigungen und Beleidigungen seien nach wie vor zahlreich. "So werden einige Transfrauen provokativ mit ihrem Geburtsnamen angesprochen statt mit dem Frauennamen, den sie sich selbst gegeben haben." Auch käme es regelmäßig zu sexueller Belästigung. Die Studie erwähnt einen Fall von sexuellem Missbrauch an einer Transsexuellen durch einen Gefängniswärter in der Schwarzmeerstadt Samsun. Doch obwohl das Sperma dem Beamten zugeordnet worden konnte, wurde der Vorfall, als sie sich beschwerte, als "einvernehmlicher Sex" eingestuft.

Die Rechtanwältin Aylin Kirikcu verteidigt mehrere LGBTI-Gefangene und verweist auf ein weiteres Problem, dass sich von ihren Mandanten hört: "Beim Haftantritt wird von transsexuellen Frauen häufig der Wunsch geäußert, dass die medizinische Untersuchung von einer Frau durchgeführt wird." Dem werde selten nachgekommen, so Kirikcu. "Es kann zu ungewünschten körperlichen Berührungen kommen, die von meinen Mandantinnen als sexuelle Folter wahrgenommen wird." Auch beschwerten sich einige über sexuelle Übergriffe durch männliche Beamten bei ihrem Haftantritt.

"Rosa Gefängnisse" die Lösung? 

Bereits 2014 hat die türkische Regierung vorgeschlagen, sogenannte "rosa Abteilungen" für LGBTIs in türkischen Gefängnissen einzurichten. Durch die speziellen Trakte sollte die Sicherheit der homosexuellen oder transsexuellen Häftlinge gewährleisten werden. Das Thema steht seither zwar immer wieder auf der Tagesordnung, doch passiert ist bislang nichts. LGBTI-Aktivisten und die Opposition kritisierten den Vorschlag scharf - damit würde die Ausgrenzung von sexuellen Minderheiten aus der Gesellschaft nur weiter vorangetrieben werden, lautete schon damals ihr Einwand. Auch Demirbas steht dem Vorschlag der türkischen Regierung skeptisch gegenüber. "So ein Gefängnis ist nichts anderes als eine Institutionalisierung der bestehenden Diskriminierung". Sinnvoller sei es, mehr Bemühungen zu zeigen, die bestehenden Probleme direkt zu lösen.

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