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PolitikNahost

LGBTQ-Gemeinschaften in Nahost massiv unter Druck

Cathrin Schaer
24. Juli 2022

LGBTQ-Gemeinschaften im Nahen Osten sehen sich steigender Repression ausgesetzt, teils auch wie im Irak von staatlicher Seite. Gay- und Queer-Aktivisten sehen dahinter teilweise auch politische Ablenkungsmanöver.

Proteste der LGBTQ-Bewegung in Beirut, Juni 2020
Proteste der LGBTQ-Bewegung in Beirut, Juni 2020Bild: Hassan Ammar/AP/picture alliance

Dass er sich als "queer" identifiziere, wüssten die meisten Menschen aus seinem Umfeld nicht, sagt Haiden (Name von der Redaktion geändert), ein 20-jähriger irakischer Student, im Gespräch mit der DW. Dennoch sei das Leben für ihn in der vergleichsweise konservativen Stadt Nadschaf im Süden des Landes gefährlich.

"Einmal trug ich ein rosafarbenes Hemd und wurde schikaniert, und zwar nur wegen der Farbe", so Haiden. "Manchmal werden Menschen belästigt und sogar getötet, nur weil sie nicht so aussehen wie die anderen."

Die Situation für LGBTQ-Gemeinschaften im Irak werde immer schwieriger, so Haiden. "Wir sind bereits allen Arten von Schikanen ausgesetzt und werden täglich angegriffen. Und das, noch bevor das angekündigte neue Gesetz zur Kriminalisierung von Homosexualität in Kraft getreten ist."

Schwere Strafen

In diesem Juli gab die irakische Regierung bekannt, dass sie ein Gesetz zum Verbot von Homosexualität plane. Bislang war der Irak neben Jordanien und Bahrain eines von nur drei mehrheitlich arabischen Ländern im Nahen Osten, in denen gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht ausdrücklich kriminalisiert werden.

Sollte das neue Gesetz nun aber verabschiedet werden, würde der Irak mit dem Rest der Region gleichziehen. In den meisten anderen Ländern des Nahen Ostens ist gleichgeschlechtliche Intimität verboten und wird mit Geld- oder Gefängnisstrafen geahndet - in Saudi-Arabien sogar mit der Todesstrafe.

"Wir sind ein muslimisches Land"

"Das neue Gesetz wird Homosexuelle zur Rechenschaft ziehen und schwerste Strafen gegen sie verhängen", sagte Aref al-Hamami, ein Abgeordneter, der im Rechtsausschuss des Parlaments sitzt, gegenüber der DW. Zwar müsse das Parlament über das Gesetz erst noch abstimmen. Das werde trotz der Kritik in- und ausländischer Menschenrechtsorganisationen aber auch geschehen, versichert al-Hamami. "Wir sind ein muslimisches Land. Wir haben Bräuche und Traditionen - und der Islam verbietet diese Handlungen." Auch andere Politiker äußern sich homophob: So hatte der einflussreiche Kleriker und Politiker Muktada al-Sadr im März 2020 erklärt, die Heirat von Homosexuellen sei für die Corona-Pandemie verantwortlich. 

Erbe des Kolonialismus

Das Argument, gleichgeschlechtliche Beziehungen seien nicht Teil der Kultur des Nahen Ostens, wird häufig von Gegnern homosexueller Beziehungen vorgebracht. Zutreffend ist es allerdings nicht. Denn obwohl der Koran ebenso wie die Bibel Homosexualität wiederholt missbilligt, sind gleichgeschlechtliche Beziehungen ein regelmäßiges Thema in der Poesie und Kunst der islamisch geprägten Welt.

So wird etwa der irakische Dichter Abu Nawas aus dem achten Jahrhundert mit einer Statue im Zentrum von Bagdad geehrt. Abu Nawas war ein berüchtigter Lebemann, der unter anderem die Freuden des örtlichen Badehauses - arabisch "Hamam" - besang, wo er schöne Männer nackt betrachten konnte - zumindest "bis die Handtuchträger hereinkamen und den Spaß verdarben", wie es überliefert ist.

Einigen Forschern zufolge zeigte sich die arabische Kultur jahrhundertelang gleichgeschlechtlichen Beziehungen gegenüber sogar freizügiger als die europäische Kultur. "Im vormodernen arabisch-islamischen Denken gab es keinen Begriff für das Konzept der Homosexualität, wie es heute verstanden wird", so Sultan Alamer, Gastwissenschaftler am Center for Middle Eastern Studies der Harvard University, im Juni in einem Essay für die Zeitschrift New Lines.

Dies änderte sich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Das viktorianische Zeitalter verbreitete die Vorstellung, sexuelles Vergnügen sei sündhaft oder schändlich. 1885 erließen die Briten dann Gesetze, die Sex zwischen Männern unter Strafe stellten.

Auch die Araber übernahmen damals die konservativen europäischen Einstellungen, so Sultan Alamer. Er beschreibt in seinem Essay, wie ein arabischer Besucher in Paris im frühen 19. Jahrhundert die Franzosen dafür lobte, dass sie "nicht dazu neigen, männliche Jugendliche zu lieben und sie in Gedichten zu preisen". Zuvor akzeptierte Vorstellungen über homosexuelles Begehren und Gedichte über männliche Schönheit galten nun als unschicklich. Da europäische Rechtssysteme auch in den europäischen Kolonien gültig waren, wurden auch einige der ersten Gesetze gegen Homosexualität importiert.

Angaben der britischen Rechtsorganisation Human Dignity Trust zufolge sind die meisten modernen Gesetze gegen Homosexualität in der arabischen Welt zwar religiös begründet. Einige haben jedoch auch heute noch Wurzeln im historischen Recht Großbritanniens. Dies trifft auf den Sudan und Ägypten zu: Als die beiden ehemaligen Kolonien unabhängig wurden, behielten sie die alten Vorschriften bei.

Regenbogen-Arrangement aus Blumen: Im Libanon wurden LGBTQ-Kundgebungen im Juni verboten, entsprechende Symbole im öffentlichen Raum wurden zerstörtBild: ANWAR AMRO/AFP/Getty Images

"Kulturelles Schlachtfeld"

Der Streit um gleichgeschlechtliche Beziehungen sei längst zu einem "kulturellen Schlachtfeld" geworden, schreibt Katerina Dalacoura, Professorin für internationale Beziehungen an der London School of Economics, in einem Essay für die Zeitschrift "The Third World Quarterly".Allerdings sei die Identifizierung von Heterosexualität mit kultureller Authentizität in den Gesellschaften des Nahen Ostens "eine Verzerrung der historischen Tatsachen."

Dalacoura zufolge schüren autoritäre Regierungen und religiöse Fundamentalisten die öffentliche Stimmung gegen LGBTQ-Gemeinschaften vor allem aus einem Grund: Sie wollen ihre Macht sichern. "Ihre Autorität wird durch den Ruf nach dem Schutz einer 'authentischen' Kultur untermauert, die, falls sie jemals existierte, schon vor langer Zeit ausgelöscht wurde", so die Forscherin.

Die Taktik hat Erfolg: In vielen Ländern des Nahen Ostens verschlechtert sich die Situation von LGBTQ-Gemeinschaften. "Im Moment gibt es offenbar in der gesamten Region eine Fülle von Homophobie und Transphobie", so Andrew Delatolla, Dozent für Nahoststudien an der Universität Leeds in Großbritannien.

Diese werden auch seitens einzelner Staatsführungen gefahren. So hat die in Sachen Meinungsfreiheit sehr strikte Regierung Saudi-Arabiens etwa Spielzeug in Regenbogenfarben aus den Regalen entfernen lassen; im Libanongeht der Staat gegen queere Aktivisten ebenso vor wie eine militante christliche Gruppe, die die dortigen LGBTQ-Gemeinschaften bedroht. In Ägypten tritt eine Hashtag-Kampagne mit dem Begriff "fetrah", "Instinkt" - für die Überzeugung ein, es könne nur zwei Geschlechter geben.

"Ich habe dergleichen noch nie gesehen", sagt Delatolla. "Mir scheint, das liegt zum Teil daran, dass es in der Gesellschaft so viele Fortschritte in Bezug auf Sexualität im Allgemeinen und queere Beziehungen im Besonderen gegeben hat. Aus der Sicht vieler konservativer Menschen stellt dies eine Bedrohung ihrer moralischen Werte dar. Diese helfen ihnen wiederum, sich in Staat und Gesellschaft zurechtzufinden."

Gay-Hochzeiten als angebliche Ursache der Corona-Pandemie: Der schiitische Geistliche und Politiker Muktada al-Sadr bei einem Auftritt im Südirak, November 2021Bild: Ali Najafi/AFP/Getty Images

Politische Ablenkungsmanöver

In der Zeitschrift "New Lines" kommt Sultan Alamer zu dem Schluss, dass autoritäre arabische Führer "demokratische Legitimität" oftmals durch "moralische Autorität" ersetzten. "In den vergangenen fünf Jahrzehnten wurde diese moralische Autorität durch die Regulierung der Religion und die Unterwerfung der arabischen Frauen ausgeübt", so Alamer. "Wenn Sie ein arabischer Diktator sind und moralische Legitimität anstreben, diese aber nicht vom Islam oder vom Geschlecht ableiten wollen, was ist dann die bequemste Quelle, die zu Ihrer neuen säkularen, konservativen Agenda passt? Die Antwort ist wohl die Übernahme des Anti-Homosexualitäts- und, in geringerem Maße, des Anti-Atheismus-Diskurses".

Dies ist offenbar auch der Grund für die Entwicklung im Irak - sagen jedenfalls dortige Aktivisten. "Politiker, die es versäumt haben, die Angelegenheiten des Staates zu regeln, lenken die Menschen mit Gesetzen ab, die große Auswirkungen auf der Straße haben", sagt Sam (Name von der Redaktion geändert), ein Berater von IraQueer, einer irakischen LGBTQ-Organisation.

Es gibt weitere aktuelle Beispiele für ähnlich aufsehenerregende Gesetze im Irak. Diese befassten sich mit Pornografie, väterlichem Sorgerecht - aber auch mit einer bei vielen staatlichen und politischen Eliten offenbar unerwünschten Normalisierung der Beziehungen zu Israel, so Sam, der dies als Ablenkungsmanöver wertet.

"Der Irak lebt im Schatten einer politischen Klasse, der es nicht gelungen ist, eine Regierung zu bilden, und die versucht, ihre eigene Korruption zu vertuschen", so Sam. "Sie tut dies, indem sie den Menschen vorgaukeln, diese Gesetze bewahrten die islamischen Prinzipien."

Mitarbeit: Azhar Al-Rubaie, Bagdad.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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