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PolitikÄgypten

Ägypten: Schwulenhatz per Dating-App

6. April 2023

Laut Menschenrechtlern sind Sicherheitskräfte anonym auf digitalen Plattformen unterwegs, um Lesben, Schwule und weitere Menschen juristisch zu verfolgen. Betroffene haben inzwischen teils Vorsichtsmaßnahmen entwickelt.

Antikes Relief zweier sich küssender Männer, Grab des Nianchchnum, um 2450 vor Christus
Liebende Männer im antiken Ägypten: Relief aus dem Grab des Nianchchnum, um 2450 vor Chr.Bild: Herve Champollion/akg-images/picture-alliance

Gefälschte Facebook-Konten, Fake-Profile auf Dating-Apps: Das sind laut Menschenrechtsorganisationen und internationalen Nachrichtenagenturen inzwischen gängige Instrumente, mit denen Ägyptens Polizei regelmäßig Mitglieder der LGBTQ-Community des Landes ins Visier nimmt. "Die Behörden in Ägypten haben digitale Technologien in ihre polizeilichen Maßnahmen gegen LGBT-Personen integriert", schreibt Rasha Younes, leitende Forscherin für LGBTQ-Rechte bei Human Rights Watch, auf der Website der Organisation.

Damit stehen potenziell alle Ägypter unter Druck, die zu sexuellen Minderheiten gehören. Die digitalen Plattformen hätten LGBTQ-Personen zwar "ermöglicht, sich selbst auszudrücken und ihren Stimmen dadurch mehr Gehör verschafft", so Younes. Das ist nicht gerade unwichtig in einem Umfeld, in dem Homosexualität oft gesellschaftlich tabuisiert wird und teilweise sogar bis heute als Krankheit gilt. Doch dadurch, dass auch Sicherheitskräfte anonym auf diesen Plattformen unterwegs sind, seien diese "zugleich aber auch zu Instrumenten staatlich geförderter Unterdrückung geworden", kritisiert HRW-Vertreterin Younes. 

"Ständige Verhaftungen"

Etwas anders sieht es Ahmed El Hady. Der der in London lebende, in der ägyptischen LGBTQ-Community engagierte Neurowissenschaftler will die These von einem verstärkten digitalen Durchgreifen des Staates nicht bestätigen. "Die Verhaftungen seien vielmehr systematisch und finden in kleinem Rahmen ständig statt", sagte er der DW.

Lobna Darwish, Forscherin für Geschlechterrechte bei der in Kairo ansässigen Egyptian Initiative for Personal Rights (EIPR), bestätigt diese Sicht. "In den vergangenen zehn Jahren wurden systematisch Menschen verhaftet, weil sie auf schwulen Dating-Websites in eine Falle gelockt wurden", sagte sie der DW. Allerdings seien die Zahlen in Ägypten in diesem Zeitraum "mehr oder weniger gleich" geblieben.

Verfolgt und verurteilt: Männer in einem Prozess in Kairo, di​e verdächtigt werden, Sex mit Männern gehabt zu haben (2001)Bild: ANDREW BLACK/AFP/Getty Images

"Im Jahr 2022 leisteten wir Rechtshilfe und dokumentierten 19 Fälle, die sich auf 43 Angeklagte bezogen. Aufgrund ihrer anscheinenden sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität wurden sie von der Sittenpolizei festgenommen, einer auf die Bekämpfung illegaler Sexarbeit spezialisierten Abteilung, und später unter anderem wegen angeblich gewohnheitsmäßiger Ausschweifungen angeklagt", so Darwish. Die meisten Personen wurden jedoch verhaftet, nachdem sie eine der weitverbreiteten Dating-Apps wie Grindr, Tinder oder WhosHere genutzt hatten.

Spitzel bitten um Kondome

Für die Aktivisten besteht kein Zweifel daran, dass die ägyptische Polizei auf diesen Apps gefälschte Konten anlegt. "Dann sprechen deren Beamte die Leute an und flirten tage- oder wochenlang mit ihnen, bis diese sich auf ein Date einlassen", so Darwish. Oftmals bitte der vermeintliche Partner am anderen Ende der digitalen Verbindung vor dem ersten Treffen darum, Kondome mitzubringen.

Schon beim ersten Treffen würden kontaktsuchende Leute oftmals festgenommen. Die von ihnen mitgebrachten Kondome gälten dann als Beweismittel für angebliche Sexarbeit. Zumeist würden sie dann auf Grundlage des Gesetzes Nr. 10/1961 angeklagt. Dieses dient offiziell der Bekämpfung der Prostitution. Häufige Anklagepunkte sind zudem "gewohnheitsmäßige Ausschweifung", "Unmoral" oder "Blasphemie". Neben Kondomen gilt dabei mitunter sogar bereits der Besitz von Bargeld als belastend. "Das Geld wird als Beweis für Sexarbeit verwendet", so Darwish.

Homosexualität ist in Ägypten zwar nicht offiziell verboten. Doch Diskriminierung ist - wie in großen Teilen der Region -  weit verbreitet. In Ägypten hat sie sogar zugenommen.

Erst im vergangenen Jahr erließ das ägyptische Bildungsministerium eine neue Richtlinie zur Bekämpfung von Homosexualität und angeblich damit verbundenem Gedankengut in den Medien. In der Folge förderte sie an Schulen 'Sensibilisierungskampagnen' gegen LGBTQ. Einer Umfrage des unabhängigen Pew Research Center mit Sitz in Washington aus dem Jahr 2019 zufolge ist die Mehrheit der Ägypter außerdem der Ansicht, dass Homosexualität von der Gesellschaft nicht akzeptiert werden sollte.

Jahrzehnt der Unterdrückung

Viele Aktivisten haben zwar in letzter Zeit keine Zunahme digitaler Angriffe beobachtet. Doch die meisten bestätigen, dass diskriminierende Maßnahmen gegen LGBTQ-Menschen seit der Machtübernahme des ägyptischen Präsidenten Abdel-Fattah al-Sisi 2013 zugenommen hätten. Die Regierung verzichte dabei aber offenbar möglichst auf große und aufsehenerregende Aktionen gegen die LGBTQ-Gemeinschaft, sagt Ahmed El Hady: "Damit will al-Sisi eine internationale Aufmerksamkeit, wie nach dem Konzert von Mashrou' Leila im September 2017, vermeiden."

Mashrou' Leila war eine populäre libanesische Independent-Popband. Aufgrund anhaltender, gegen ihre Songs gerichteter Kampagnen wie auch der Diskriminierung ihres schwulen Leadsängers Hamed Sinno löste sie sich im Spätsommer vergangenen Jahres auf. Im September 2017 hatte die Band in Kairo ein Konzert gegeben, in dessen Verlauf einige Aktivisten Regenbogenfahnen zur Unterstützung der LGBTQ-Gemeinschaft in Ägypten schwenkten. Später verbreiteten sich Fotos und Videos der Szene in den sozialen Medien.

Erinnerung an die ägyptische Aktivistin Sarah Hegazi: Szene einer Gay-Parade auf Zypern, 2022Bild: CHRISTINA ASSI/AFP/Getty Images

Daraufhin verhaftete die ägyptische Sittenpolizei sieben Personen, die wegen angeblicher öffentlicher Unsittlichkeit oder Anstiftung dazu zu unterschiedlich langen Haftstrafen verurteilt wurden. Eine der Festgenommenen, die ägyptische Feministin und lesbische Aktivistin Sarah Hegazi, wurde später zu einem tragischen Symbol.

Angeblich auf Anweisung der Polizei wurde Hegazi von anderen weiblichen Gefangenen gefoltert und sexuell missbraucht. Rund drei Jahre, nachdem ihr in Kanada politisches Asyl gewährt worden war, beging die 30-Jährige dort Selbstmord, ausgelöst von schweren, offenbar durch das Trauma der Misshandlung ausgelöster Depressionen. Die Band Mashrou' Leila erinnerte auf ihrem Twitter-Account 2020 an die Aktivistin. 

In Reaktion auf die jüngsten Warnungen von LGBTQ-Aktivisten hat die in den USA ansässige Dating-App Grindr für ihre Nutzer in Ägypten eine Warnung in englischer und arabischer Sprache eingerichtet. "Wir wurden darauf hingewiesen, dass die ägyptische Polizei aktiv Festnamen von Schwulen, Bi- und Trans-Personen auf digitalen Plattformen vornimmt", heißt es in der Warnung. "Sie verwendet gefälschte Konten. Zudem hat sie Konten von echten Community-Mitgliedern übernommen, die bereits festgenommen und deren Handys beschlagnahmt wurden. Bitte seid besonders vorsichtig."

Für die in Berlin lebende ägyptische Aktivistin Nora Noralla, Geschäftsführerin von Cairo 52, einem in Kairo ansässigen Rechtsforschungsinstitut, das Mitglieder der LGBTQ-Community unentgeltlich verteidigt, ist die Warnung allerdings eine reine Alibi-Maßnahme. Aus ihrer Sicht wäre es viel besser, wenn Grindr, wie auch andere Apps, die Nutzer verifizieren und der Polizei zumindest pro forma verbieten würde, dort Profile anzulegen. "Mit einer solchen Warnung erweckt Grindr jedoch nur die Illusion von unternehmerischer Verantwortung", sagt Noralla.

Grindr und andere Plattformen könnten mehr für den Schutz ihrer Nutzer tun - das sieht auch Ahmed El Hady so. Allerdings könne das Unternehmen gegen die Maßnahmen der Regierung nicht aktiv angehen, räumt er ein.

Wenn Grindr zunehmend vom ägyptischen Staat infiltriert werde, müsse es auch darüber nachdenken, seine Tätigkeit in Ägypten ganz einzustellen", meint El Hady. Er berichtet von Fällen, in denen die nachgewiesene Installation dieser App auf einem Telefon ausgereicht habe, um ein Verhör durch die Polizei zu erwirken.

Maßnahmen zum Eigenschutz

Inzwischen habe die LGBTQ-Gemeinschaft aber auch viele Vorsichtsmaßnahmen entwickelt, um die eigene Sicherheit zu erhöhen. "Wenn man jemanden über eine App kennenlernt, prüft man in der Regel auch seine anderen Social-Media-Konten", so El Hady. "Sobald die Identität des neuen Kontakts auf diese Weise bestätigt ist, erfolgt die Kommunikation nicht mehr über die Messaging-Plattformen der App, sondern über verschlüsselte Apps wie Signal."

Erste Treffen finden in der Regel erst statt, nachdem andere Mitglieder der Community die Identität der Person zusätzlich bestätigt haben. "Wir treffen uns in sicheren Häusern von Freunden oder Mitgliedern der Community und nutzen nie zweimal denselben Ort", berichtet er.

Trotz aller Schwierigkeiten wachse die LGBTQ-Gemeinschaft, sagt Nora Noralla. "Zwar ist das Umfeld nicht das beste. Doch wir sind weit davon entfernt, zu zerfallen."

Die DW hat auch Grindr und die ägyptische Staatsanwaltschaft um Stellungnahme gebeten, bis zur Veröffentlichung aber keine Antworten erhalten.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
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