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LGBTQ in Chinas Sport: Geduldet, mehr nicht

Stefan Nestler | William Yang
19. Januar 2022

Die Zahl chinesischer Topsportler, die ein Coming-Out wagten, lässt sich bisher an einer Hand abzählen. Sexuelle Vielfalt wird in China toleriert - solange sie privat bleibt und nicht LGBTQ-Rechte eingefordert werden.

Li Ying | chinesische Fußballspielerin
Li Ying war die erste Topsportlerin Chinas, die ihre gleichgeschlechtliche Liebe öffentlich machteBild: Photoshot/picture alliance

Li Ying ist wieder zurück bei den "Steel Roses". Die neue Nationaltrainerin Shui Qingxia, die erste Frau an der Spitze der chinesischen Frauenfußball-Nationalmannschaft, berief die 29 Jahre alte Stürmerin in den Kader für den anstehenden Asien-Cup in Indien (20. Januar bis 6. Februar). Auf den ersten Blick wirkt dies nicht verwunderlich. Bei der letzten Auflage des Turniers 2018 in Jordanien gewann Li schließlich den "Goldenen Schuh" als beste Torjägerin: sieben Treffer in fünf Spielen. China belegte bei dem Turnier den dritten Platz.

Auch bei der WM 2019 in Frankreich war auf die Offensivspielerin Verlass: Beim 1:0-Vorrundensieg gegen Südafrika erzielte sie das einzige Tor der "Stählernen Rosen" im Turnier, die Chinesinnen scheiterten im Achtelfinale. Vor den Olympischen Spielen in Tokio jedoch wurde Li, die bereits deutlich über 100 Länderspiele und 30 Tore auf dem Konto hat, aussortiert. Nicht wenige mutmaßten, dass es mit ihrem Coming-Out zusammenhing.

"Du bist die Quelle und das Ziel all meiner Zärtlichkeit." Mit dieser Botschaft machte Li Ying im Juni vergangenen Jahres auf dem chinesischen Portal Weibo ihre Liebe zu Influenzerin Chen Leilei öffentlich - kurz nach dem ersten Jahrestag ihrer Beziehung. Der Post ging viral und wurde vielfach kommentiert. "Es ist kein Geheimnis, dass es im Frauenfußball Homosexuelle gibt ", schrieb Zhao Zen, ein Fußballjournalist und Blogger mit über fünf Millionen Followern, "aber Li Ying ist die erste, die sich traut, ihre sexuelle Orientierung und ihre Freundin öffentlich bekannt zu geben. Ich gratuliere ihr zu ihrem Mut." Doch es gab nicht nur zustimmende, sondern auch homophobe Kommentare. Kurz nachdem Li den Post online gestellt hatte, verschwand er wieder von ihrem Account. Auf Druck von außen?

"Ja, ich bin schwul"

Dass Topsportlerinnen oder -sportler in China offen darüber reden oder schreiben, der LGBTQ-Szene anzugehören, ist äußerst selten. Die Fälle lassen sich noch an einer Hand abzählen. Nach Li Ying wagte im vergangenen September auch Volleyballerin Sun Wenjing ihr Coming-out, allerdings erst zwei Jahre nach dem Ende ihrer Karriere.

2018 hatte der Profisurfer Xu Jingsen das Schweigen von Sportlerinnen und Sportlern aus der LGBTQ-Szene gebrochen, als er auf Weibo verkündet hatte, dass er an den Gay Games in Paris teilnehmen werde. "Ja, ich bin schwul" schrieb Xu damals zu einer Fotomontage, die ihn auf einem Surfbrett zeigte, dahinter eine Regenbogenfahne: "Wir haben das Recht, die Liebe zu wählen und geliebt zu werden. Geschlecht, Alter und Hautfarbe sind keine Fesseln."

Xu startete später tatsächlich bei den Gay Games und trug bei der Eröffnungsfeier in Paris die chinesische Flagge für die damals 69 Aktiven aus Festland-China. Die nächsten Gay Games sollten ursprünglich 2022 in Hongkong ausgetragen werden, wurden jedoch wegen der Corona-Pandemie auf November 2023 verschoben. LGBTQ-Sportlerinnen und -Sportler aus Taiwan haben bereits angekündigt, dass sie aus Sorge um ihre Sicherheit nicht an den Spielen teilnehmen werden.

Social-Media-Accounts geblockt

Taiwan hatte 2019 als erster Staat Asiens die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert. In Festland-China ist sie weiterhin verboten. Sexuelle Vielfalt wird von den kommunistischen Machthabern zwar geduldet, jedoch nur, solange sie im Privaten bleibt. Wird sie öffentlich eingefordert, gibt es Gegenwind. So wurde 2020 die "Shanghai Pride" eingestellt, die älteste und größte LGBTQ-Veranstaltung in China mit Fahrrad-Paraden, "Pride"-Läufen, Partys, Foren und Ausstellungen. Vor allem die Zensoren hatten die Veranstalter zuvor immer mehr gegängelt.

Läuferinnen und Läufer beim "ShanghaiPride"-Rennen im Juni 2015Bild: Johannes Eisele/AFP/Getty Images

Im Juli 2021 blockierte und entfernte das Ministerium für zivile Angelegenheiten Hunderte von Webseiten und Social-Media-Nutzerkonten der LGBTQ-Szene, vor allem an den Hochschulen. "Es ist unmöglich, dass China in diesem Zusammenhang eine Vorreiterrolle einnimmt", verteidigte Hu Xijin, Chefredakteur der staatlichen "Global Times", in seinem Blog das Vorgehen der Behörden: "Unsere gewisse Konservativität ist notwendig und vernünftig." Im vergangenen September wurden auf Weisung von Präsident Xi Jingping "verweichlichte Männer" aus dem Fernsehen verbannt.

Szene ist vorsichtiger geworden

Die LGBTQ-Szene hat sich auf die härtere Gangart eingestellt. "Seitdem die Behörden in China hart gegen Organisationen vorgehen, die sich für LGBTQ-Rechte auf dem Campus einsetzen, sind wir sehr vorsichtig und versuchen, Veranstaltungen nicht zu sehr auf LGBTQ auszurichten", sagt Robin der DW. Aus Furcht vor Repressalien will der chinesische LGBTQ-Aktivist nicht seinen vollen Namen nennen: "Die Regierung hat zwar die Kontrolle über LGBTQ-Organisationen verschärft, aber die Mitglieder der Gemeinschaft werden immer noch Wege finden, Aktivitäten zu organisieren, bei denen die queeren Elemente nicht so im Vordergrund stehen. Wir passen uns an das neue, unauffälligere Klima in China an."

Die Zahl der Menschen in China, die lesbisch, schwul, bisexuell, transgender oder queer sind, wird auf rund 70 Millionen geschätzt. Von einem offenen Umgang mit sexueller Vielfalt ist das Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern noch weit entfernt. "Menschen, die einer sexuellen oder geschlechtlichen Minderheit angehören, leben in China immer noch im Verborgenen", hieß es 2016 in einer Studie des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP). "Nur fünf Prozent von ihnen sind bereit, ihre Diversität offen auszuleben." Diskriminierung, so das UNDP, koste LGBTQ-Personen "nach wie vor Arbeitsplätze, mindert ihre Karriereaussichten und ihr Lernpotenzial an Schulen."

Weitere Spielerinnen zurückgeholt

Der vorübergehende Karriereknick der Topspielerin Li Ying in der Nationalmannschaft kann, muss aber nicht mit ihrem Coming-Out zusammenhängen. Bereits Ende Januar hatte sie ihre Liebe zu Chen Leilei auf Facebook öffentlich gemacht - in China ist dieses soziale Netzwerk allerdings seit mehr als einem Jahrzehnt gesperrt. Dennoch dürfte dieser Post der staatlichen Zensur nicht entgangen und der Fußball-Verband sowie der Trainerstab dementsprechend informiert worden sein. Im Februar bestritt die Stürmerin in der Olympia-Qualifikation noch drei Länderspiele, bei denen sie insgesamt drei Tore erzielte. Für die entscheidenden Playoff-Spiele gegen Südkorea im April wurde Li jedoch nicht mehr berücksichtigt und fehlte auch im Olympia-Kader für Tokio.

Li Ying (l.), hier im WM-Achtelfinale 2019 gegen Italien, gehört zu den torgefährlichsten Spielerinnen ChinasBild: Laurence Griffiths/Getty Images

Das galt jedoch auch für andere Topspielerinnen wie Angreiferin Tang Jiali, die bei Tottenham Hotspur spielt, und Mittelfeldspielerin Shen Mengyu, die bei Celtic Glasgow unter Vertrag steht. Das Olympia-Experiment ohne Li und Co. ging gründlich schief: Die junge, unerfahrene Mannschaft Chinas schied nach einer 0:5-Pleite gegen Brasilien, einem 4:4 gegen Zambia und einer krachenden 2:8-Niederlage gegen die Niederlande als Vorrundenletzter aus. Nationaltrainer Jia Xiuquan musste seinen Hut nehmen.

Nachfolgerin Shui Qingxia hat die vor Olympia aussortierten Spielerinnen wieder ins Team zurückgeholt. Li Ying wird also beim Asien-Cup in Indien erneut auf Torejagd gehen. Die Spielerin schreibt auch wieder auf Weibo - vorwiegend über Fußball, nicht mehr über ihre lesbische Liebesbeziehung.