1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Xi Jinping geht gegen “nackte Beamte” vor

Gabriel Dominguez12. Juni 2014

Xi Jinpings Anti-Korruptionskampagne hat jetzt die "nackten Beamten" ins Visier genommen. So werden Staatsdiener bezeichnet, deren Angehörige im Ausland leben. China-Expertin Rebecca Liao erläutert die Hintergründe.

Rebecca Liao (Foto: privat)
Bild: privat

Vor allem die Provinz Guangdong geht gegen sogenannte "nackte Beamte" vor. Man vermutet, dass deren Familien in korrupte Machenschaften verwickelt sind. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Xinhua haben rund 200 Staatsbedienstete der mittleren Ebene sich bereit erklärt, ihre Familien zurück nach China zu holen. 866 haben eine Strafe in Form einer Herabstufung akzeptiert, neun davon waren Bürgermeister. Die DW sprach über diesen jüngsten Vorstoß der Anti-Korruptionskampagne von Präsident Xi Jinping mit der in Kalifornien lebenden China-Kennerin Rebecca Liao.

Deutsche Welle: Warum geht die Führung unter Xi Jinping gerade jetzt gegen diese Gruppe von Beamten vor?

Die sogenannten "nackten Beamten", also solche, deren Ehepartner und Kinder im Ausland leben, sind seit über einem Jahrzehnt ein heikles Thema. Jedermann fragt sich, wie loyal und interessiert an Chinas Zukunft Staatsdiener sein können, deren Familien nicht im Lande leben. Solche doppelten Haushalte zu führen ist sehr teuer, mit einem normalen Gehalt vom Staat eigentlich nicht zu finanzieren – der Verdacht der Korruption liegt also nahe.

Natürlich ist es möglich, dass die betreffenden Familien ganz legal an ihr Geld gekommen sind und ein solches Arrangement bevorzugen. Wenn also eine Kampagne gegen "nackte Funktionäre" losgetreten wird, muss dahinter die Überzeugung der Behörden stehen, dass die Vermögen dieser Familien auf illegale Weise zustande gekommen sind. Präsident Xi wird abgewogen haben, ob solch ein Generalverdacht plausibel ist.

Warum wurden speziell Beamte aus der Provinz Guangdong ins Visier genommen?

Guangdong hat die größte Wirtschaftsleistung aller chinesischen Provinzen. Es ist Handels- und Produktionszentrum und spielt eine große Rolle in der Lieferkette multinationaler Unternehmen. Schließlich liegt Guangdong in unmittelbarer Nachbarschaft Hongkongs, traditioneller Zwischenstopp vor der Ausreise aus China. Mit anderen Worten, Guangdong bietet wie keine andere Provinz Möglichkeiten zur Anknüpfung von Beziehungen zum Ausland, und deshalb ist die Konzentration von "nackten Beamten" hier besonders groß. Die Regierung will wahrscheinlich mit ihrem Durchgreifen in Guangdong eine Warnung an "nackte Beamte" in anderen Provinzen aussenden, beziehungsweise an solche, die darüber nachdenken, Familienangehörige ins Ausland zu schicken, um sie vor Korruptionsermittlungen zu schützen.

Über welche Mittel muss ein KP-Funktionär verfügen, um Familienmitglieder auf Dauer ins Ausland schicken zu können?

Sie müssen über enge persönliche Beziehungen ins Ausland verfügen sowie über ein erkleckliches Vermögen. Solche Beziehungen mögen sich im Zuge der dienstlichen Tätigkeit ergeben, aber mit einem staatlichen Gehalt kann man keine Reichtümer anhäufen. Das nötige Geld für ein solches Arrangement kommt also normalerweise von Familienangehörigen der betreffenden Funktionäre: Durch legitime Geschäftstätigkeit, durch Erbschaften oder durch Geschäfte, die durch das Versprechen behördlicher Vergünstigungen "erleichtert" wurden, also durch Korruption. Es ist nun Pflicht des "nackten Beamten", nachzuweisen, dass das benötigte Geld für sein Familienarrangement ausschließlich aus den beiden erstgenannten Quellen stammt.

Warum ist die Führung so besorgt wegen der "nackten Beamten"?

Es ist nichts Neues in China, dass korrupte Funktionäre zunächst ihre Familien ins Ausland schicken, bevor sie sich durch ihre Flucht dem Zugriff der Behörden entziehen. Präsident Xi will auf jeden Fall verhindern, dass korrupte Beamte und Funktionäre ihrer Strafe entgehen. Auch will er China nicht in Auslieferungsverfahren verwickeln, bei denen die Gefahr besteht, dass der Flüchtige für die Regierung peinliche Informationen preisgibt.

Xi Jinpings Anti-Korruptionskampagne gilt als eine der umfassendsten in der Geschichte des modernen China. Welche Wirkung hat sie bis jetzt auf die chinesische Gesellschaft?

Die meisten Chinesen sind sicherlich von der Breite der Anti-Korruptionskampagne überrascht. Sie sind davon ausgegangen, dass angesichts der weitverbreiteten Korruption kein Funktionär allzu hart bestraft werden würde, denn dann müsste man alle so bestrafen. Dass Xi dennoch eine kompromisslose Haltung einnimmt, zeigt, wie gefestigt seine Machtposition ist. Ob die Chinesen von der Wirksamkeit der Kampagne überzeugt sind, steht auf einem anderen Blatt. Allgemein herrscht der Eindruck vor, dass es doch mehr die "Fliegen" als die "Tiger" sind, gegen die sich die Kampagne richtet.

Rebecca Liao ist Anwältin und Expertin für chinesisches Recht und lebt in Kalifornien