Libanesische Diaspora in Berlin trauert um Beirut
12. August 2020Dienstagnachmittag letzte Woche. Ramzi Merhej hatte gerade seinen Tag im Homeoffice beendet und wollte Basketball spielen gehen. Als er seine Wohnung in Berlin verlassen wollte, schaute er nochmal kurz bei Facebook rein. Eine Freundin von ihm hatte keine 20 Sekunden zuvor ein Facebook-Live Video gestartet, aus Beirut. Danach war nichts mehr wie zuvor.
"Diese Freundin wohnt in Mar Mikhael, direkt neben dem Hafen. Sie war Live mit ihrem Handy. Ich habe gesehen, wie ihre Hände voller Blut waren, wie ihr Haus zerstört war," erinnert sich Ramzi an den Tag der Katastrophe. "Sie hat geschrien - und direkt danach wurde die Verbindung unterbrochen."
Ramzi wohnt seit 2015 in Deutschland, der Rest seiner Familie lebt im Libanon. Teils in den Gebirgen der Chouf Region, aber zum Großteil im Zentrum Beiruts. Hektisch versuchte Ramzi seine Familie zu erreichen, als Videos von der Explosion und der an einen Atompilz erinnernden Wolke auf sozialen Netzwerken gepostet wurden, gefilmt von verschiedenen Blickwinkeln. Erst nach 30 Minuten voller Sorge bekommt er die erlösende Nachricht: Wenigstens seine Eltern und seine Schwester sind davongekommen.
Bekannte von Ramzi hatte es getroffen. Eine Freundin etwa ist bei der Explosion umgekommen; sie hat in der Nähe des Hafens gearbeitet. Insgesamt ist die Zahl der Toten mittlerweile auf 165 gestiegen. Der Vater eines Freundes wird noch immer vermisst. Ramzi selbst hat seit der Katastrophe letzte Woche nicht mehr richtig schlafen können.
"Ich bin es gewohnt, dass es in Beirut immer wieder Explosionen oder Attentate gibt. Aber das betrifft normalerweise eine Nachbarschaft oder eine Straße. Also weiß man schnell, wer betroffen ist oder nicht. Diesmal ist das anders. Was jetzt in Beirut passiert ist, habe ich bis heute noch nicht begriffen," sagte Ramzi.
Libanons Protestbewegung erreicht Berlin
Während seine Schwester und Freunde durch die zerstörten Vierteln Beiruts liefen - erst um aufzuräumen, danach um zu protestieren - stand Ramzi am Montag mit einer Gruppe Libanesen vor der libanesischen Botschaft in Berlin: unter libanesischen Flaggen, begleitet von Liedern der berühmten Sängerin Fairuz. Wut und Trauer der kleinen Runde von Libanesen waren geradezu greifbar. Sie haben ‘Kilon Yane Kilon' gerufen, ‘alle heißt alle'. Drei Worte, die zum Sturz des Regimes aufrufen. Drei Worte, die seit Anfang Oktober zum Schlachtruf der Protestbewegung im Libanon wurden. Jetzt hat die Protestbewegung auch die libanesische Botschaft in Berlin erreicht.
"Ich wünschte, ich wäre dort, um die Menschen auf der Straße zu unterstützen, die von der Polizei und dem Militär geschlagen, beschossen und gewaltsam angegriffen werden. Andererseits weiß ich, dass ich hier auch helfen kann," erklärt Ramzi. "Deshalb habe ich mich bemüht, die Proteste vor der libanesischen Botschaft zu organisieren. Dies ist das Mindeste, was ich tun kann, um hier in Berlin Druck auf das System und seine Vertreter auszuüben."
Am Montagabend hat der libanesische Premierminister Hassan Diab den Rücktritt der gesamten Regierung angekündigt. Bereits am Wochenende waren sechs Minister zurückgetreten, unter ihnen der Gesundheitsminister und die Justizministerin. Allerdings bleibt die Regierung zunächst weiter geschäftsführend im Amt. Protestierende versammelten sich nach der Rücktrittserklärung vor dem Parlament in Beirut und forderten die Auflösung des Parlaments und den Rücktritt von Präsident Michel Aoun.
"Der Rücktritt der Regierung hat keinerlei Bedeutung", sagt Ramzi. "Solange nicht auch der Präsident der Republik und der Präsident des Parlaments zurücktreten, solange das Parlament nicht aufgelöst wird, wird es keine Hoffnung für den Libanon geben. Regierungen werden kommen und gehen, aber das System wird sich nicht ändern. Wir müssen die Leute zwingen Verantwortung für das zu übernehmen, was sie gemacht haben".
"Keine Hilfsgelder an die Regierung!”
Am Sonntag hat eine Koalition von internationalen Geldgebern auf einer Konferenz Soforthilfen für den Libanon in Höhe von 200 Millionen Euro zugesagt; 20 Millionen davon kommen aus Deutschland. Schon vor der Konferenz hatte Deutschland zusätzliche Hilfslieferungen über das Deutsche Rote Kreuz im Wert von 10 Millionen Euro für humanitäre Hilfe angekündigt.
Diese Gelder sollten allerdings nicht an die libanesische Regierung fließen, fordert Eddy Rizk, der seit mehr als 20 Jahren in Deutschland lebt und ebenfalls am Montag vor der Botschaft demonstriert hat. "Es ist allgemein bekannt, dass die Korruption keine Grenzen hat, das Geld verschwinden wird und sich nur die ohnehin vermögenden Eliten bereichern werden”, warnt Rizk.
Im Zuge der Geberkonferenz hat die internationale Gemeinschaft entschieden, die geplante Unterstützung an Reformen zu binden. Unter anderem wurde die Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung zur Ursache der Explosion gestellt.
Auch Deutschlands Außenminister Heiko Maas (SPD) hat am Mittwoch vor seinem Abflug in den Libanon einen Neufang des Landes nach der Explosionskatastrophe gefordert. Der Libanon brauche jetzt einen "kraftvollen Aufbruch" und "tiefgreifende wirtschaftliche Reformen", erklärte Maas. Nur so werde der Libanon "seine Jugend für eine gute Zukunft gewinnen" und Vertrauen in die politische Führung aufgebaut.
"Ich würde Heiko Maas bitten, das wirklich durchzuziehen und keinen einzigen Cent an die libanesische Regierung zu geben, bevor diese nicht auf die Forderung der Protestierenden eingegangen ist," unterstreicht Aktivist Ramzi. "Diese Leute müssen verantwortlich gemacht werden für die Katastrophe. Es ist ein Verbrechen gegen die Menschheit."