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Libanon: Eine Krise jagt die nächste

Diana Hodali
19. Juni 2021

Der Libanon bewegt sich seit Monaten gefährlich nahe am Staatsbankrott. Dem Land gehen die Devisen aus und damit auch der Kraftstoff, die Medikamente und der Strom. Das hat auch massive Auswirkungen auf die Bildung.

Libanon | Lange Schlangen vor der Tankstelle in Rashaya
Schlangen an einer Tankstelle in Rachaya im Libanon Bild: Taghreed Talk

Viele Klassenzimmer im Libanon bleiben dieser Tage leer. Schüler und Lehrer können nicht zum Unterricht kommen - und das hat derzeit nicht unbedingt etwas mit der Corona-Pandemie zu tun. "Es wird von Tag zu Tag schwerer, zur Arbeit zu kommen, da wir kaum noch an Benzin kommen", sagt Taghreed Taki. Sie ist Lehrerin an der weiterführenden staatlichen Schule in der Stadt Rachaya im Libanon, zwei Stunden Autofahrt entfernt von der Hauptstadt Beirut.

"Wenn man tanken will, muss man unendlich viel Zeit einplanen - und meist kommt man zu spät zum Unterricht, wenn überhaupt." Wenn man es dann geschafft habe, fehlten oft viele Schüler. "Es ist nicht leicht für mich, in eine Klasse zu kommen und zu sehen, dass meine Schüler nicht kommen konnten, weil ihre Eltern kein Geld haben, um zu tanken oder kein Geld haben, um den Bus zur Schule zu bezahlen", sagt die 40-Jährige am Telefon.

Viele ihrer Schüler können sich den Schulbus nicht mehr leisten, erzählt Lehrerin Taghreed TakiBild: privat

Keine Busse, keine Benzin

Fernab der Hauptstadt Beirut gibt es kaum öffentliche Transportmittel. Wer kein eigenes Auto hat, kann meist nur Sammeltaxis nutzen. Und selbst in der Hauptstadt gibt es nur ein paar wenige Busse, die den öffentlichen Nahverkehr ausmachen. Und auch Sammeltaxis und Busse müssen zur Nutzung betankt werden. Eine Straßenbahn oder Schienenverkehr gibt es im ganzen Land nicht, auch Fahrradwege sind gar nicht erst vorgesehen.

Im Libanon jagt eine Krise die nächste. Und die Treibstoff-Knappheit ist ein Symptom der Wirtschaftskrise, denn das Land schlingert gefährlich nahe am Staatsbankrott entlang: Das libanesische Pfund, das seit dreißig Jahren an den Dollarkurs gekoppelt ist, hat ungefähr neunzig Prozent seines Wertes eingebüßt; die Weltbank spricht in ihrem neuesten Bericht, dem Lebanon Economic Monitor, von einer der schwersten Wirtschaftskrisen weltweit in der neueren Geschichte. Dazu kommen die Corona-Pandemie und die schwere Explosion am Hafen von Beirut im August 2020, bei der über 200 Menschen ihr Leben verloren haben. Vier von zehn Libanesen sind arbeitslos, viele Betriebe mussten bereits dicht machen und die Menschen kommen aufgrund der Wirtschaftskrise nicht an ihre Ersparnisse.

Dazu kommt: Der Libanon ist seit August 2020 ohne reguläre Regierung; dem designierten Ministerpräsidenten Saad Hariri gelang es seit seiner Nominierung im Oktober nicht, ein Kabinett aufzustellen.

Kein Strom, kein Online-Unterricht

Der Libanon muss Kraftstoffe importieren. Doch dem Land fehlen dafür die Devisen, alle Reserven sind so gut wie aufgebraucht. Und ohne Kraftstoff können die Kraftwerke nicht betrieben werden. Daher - und auch wegen der grassierenden  Vettern- und Misswirtschaft - ist auch Strom Mangelware. Auch der in der Corona-Pandemie vorgesehene Online-Unterricht ist oft eine Herausforderung, denn das Internet bricht dauernd weg. Den Libanesen geht nicht nur sprichwörtlich das Licht aus. "Alles hängt zusammen", sagt Lehrerin Taghreed Taki. "Es ist ein Teufelskreis."

Die Treibstoff-Knappheit und die Wirtschaftskrise hätten auch massive Auswirkungen auf den Bildungssektor, sagt Diana Menhem, Geschäftsführerin der libanesischen Organisation "Kulluna Irada" in Beirut, die allein von In- und Auslandslibanesen finanziert wird. "Viele Eltern mussten ihre Kinder aus den Privatschulen nehmen und in schlechter ausgestattete staatliche Schule schicken, weil sie die Gebühren nicht mehr zahlen konnten", sagt sie. Die Schule, an der Taghreed Taki unterrichtet, gehört immerhin zu den staatlichen Vorzeigeschulen und ist gut ausgestattet. Es gibt Computerräume, Wissenschaftslabore und auch WLAN.

Alltag in Beirut: Viele Bürger versuchen, so viel Benzin wie möglich zu ergattern - und nehmen dafür stundenlanges Warten in KaufBild: Bilal Jawich/Xinhua/picture alliance

Schlechte Ausstattung vieler Schulen

Doch insbesondere öffentliche Grundschulen sind schlecht ausgestattet und mittlerweile auch überlaufen. Der Staat hätte eigentlich schon längst massiv in das öffentliche Bildungssystem investieren müssen. Doch der Staat ist pleite.

Auch die Hochschulen sind von der Krise betroffen. Nicht nur, dass das Papier für Abschlussprüfungen ausgeht, weil der Libanon es nicht mehr importieren kann. Immer mehr libanesische Studenten kämen auch aus dem Ausland zurück, da die Eltern sich die Kosten des Studiums dort nicht mehr leisten könnten, erzählt ein Universitäts-Dozent. Und wer sich die Gebühren noch leisten könne, stoße auf ein anderes Problem: "Die Banken können und dürfen gerade keine Dollar-Beträge ins Ausland transferieren und noch ist nicht klar, ob das in naher Zukunft gestattet wird", sagt er.

Es gibt aber auch eine umgekehrte Bewegung: Immer mehr Menschen, die es sich leisten können, verlassen das Land, weil sie dort kaum noch ein angemessenes Einkommen finden. Darunter sind viele Ärzte, aber auch Lehrer. Das Land verliere auf mehreren Ebenen sein menschliches Kapital, sagt Diana Menhem. Das sei besonders tragisch. Bei einer von Frankreich einberufenen Geberkonferenz haben die Länder nun zumindest finanzielle Hilfen für die libanesische Armee beschlossen.

Denn in fünf Monaten kann der Staat wahrscheinlich die Gehälter nicht mehr zahlen. "Die Geldgeber sehen in der Unterstützung der Armee auch ein Gegengewicht zu den bewaffneten Gruppen außerhalb des Staates. Sie wollen sicherstellen, dass die Armee ihre Rolle so effizient wie möglich wahrnehmen kann", sagt Diana Menhem von "Kulluna Irada".

Tankstelle in Rachaya: Falls die Subventionen fallen, könnten nur die Wenigsten noch tanken gehenBild: Taghreed Talk

Schmuggel nach Syrien

Der Libanon ist eine Importnation. Viele Produkte werden zudem auch subventioniert - darunter Mehl, Medikamente und eben Benzin. Subventionen kosteten die Regierung bisher sechs Milliarden US-Dollar jährlich. Knapp die Hälfte davon sind bisher für die Kraftstoff-Subventionen ausgegeben worden. Der Sprit war daher für die gesamte Bevölkerung über Jahrzehnte bezahlbar.

Das knappe Gut wird derzeit auch in das Nachbarland Syrien geschmuggelt. Einige Bürger werfen Tankstellen-Betreibern zudem vor, sie hielten bewusst Kraftstoff so lange zurück, bis die Subventionen fielen, um ihn dann zu einem höheren Preis zu verkaufen. Denn derzeit verdienen Tankstellen-Betreiber so gut wie nichts am Verkauf ihres Sprits, sagt ein Tankstellenbetreiber aus Rachaya. Während man zu wirtschaftlich besseren Zeiten noch 1,30 US-Dollar an 20 Litern Kraftstoff verdiente, seien es heute nur noch ungefähr 20 US-Cent. "Es gibt aber auch Tankstellen-Betreiber, die es teurer auf dem Schwarzmarkt verkaufen und die dann Kunden bevorzugt behandeln, die mehr dafür zahlen können", sagt er. Er selbst tue dies aber nicht, fügt er hinzu. 

Das Ergebnis sind lange Schlangen und Ärger bei der Suche nach den wenigen verbliebenen Tankstellen mit aktiven Zapfsäulen. Wer es schließlich schafft, darf immerhin ein paar Liter tanken und sich beim nächsten Mal wieder hinten anstellen. 

Subventionen könnten fallen 

Der derzeit noch amtierende Energieminister Raymond Ghaja schwört derweil die Bevölkerung darauf ein, dass die Subventionen für Kraftstoff bald fallen könnten - und dass die Bürger sich deshalb nach alternativen Transportmöglichkeiten umsehen sollten. Doch welche das sein könnten, sagte er nicht.

Energieminister Ghajar schlägt den Bürgern "alternative" Transportmöglichkeiten vor. Welche das sein könnten, verrät er allerdings nichtBild: Hassan Ammar/AP Photo/picture alliance

Er schlug vor, den Kraftstoff zu einem etwas höherem als dem offiziellen Satz zu subventionieren. Dies würde die Treibstoffpreise zwar insgesamt steigen lassen. Die Kosten würden aber deutlich unter dem bleiben, was die Einwohner zahlen müssten, wenn die Subventionen komplett ausliefen, so Ghajar.

Viele Libanesen versuchen, ihre Autos derzeit nur noch für dringende Angelegenheiten zu nutzen, um das kostbare Benzin zu sparen. Sollte die Subventionierung komplett fallen, können sich nur noch wenige Menschen volle Tanks leisten - und kämen noch weniger Schülerinnen und Schüler in die Schule.

Der Direktor der Rachaya-Schule, Rabih Khodr, befürchtet, dass viele junge Libanesen in Zukunft gar keinen Sinn mehr in einem Schulabschluss sehen würden. Viele würden beruflich ohnehin kaum noch attraktive Entwicklungschancen für sich sehen. Khodr hat zudem Sorge, dass sie in der Not Aushilfsjobs annehmen, um ihre Familien zu unterstützen, anstatt in den Unterricht zu kommen.

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