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Politik

Schutzlos: Libanons Hausangestellte

Diana Hodali
30. Juni 2020

Die Wirtschaftskrise im Libanon trifft Arbeitsmigrantinnen besonders hart. Weil ihre Arbeitgeber sich ihre Löhne nicht mehr leisten können, setzen sie sie teilweise mittellos vor die Tür. Ihre Lage ist dramatisch.

Beirut | äthiopische Botschaft
Bild: Getty Images/AFP/J. Eid

"An den vergangenen Abenden wurden wieder junge Frauen am Straßenrand gefunden", erzählt Hessen Sayah. "Meist sehen die Anwohner sie, und dann müssen wir schnell handeln", sagt die Leiterin der Abteilung für Migrationsangelegenheiten der Caritas im Libanon. Die Frauen sind Arbeitsmigrantinnen, die in libanesischen Haushalten saubermachen, die Kinder betreuen und Essen kochen.

Weil viele Arbeitgeber sie aufgrund der Wirtschaftskrise im Libanon seit Monaten nicht bezahlen können, wollen sie sie teilweise loswerden und setzen sie auf die Straße. "Wir treffen oft auf sehr verängstigte, verzweifelte, mittellose Frauen", sagt Sayah. "Wir versuchen, ihnen mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen." Auch libanesische Graswurzel-Organisationen, wie die Alliance of Migrant Domestic Workers oder die Anti-Rassismus-Bewegung (ARM) setzen sich seit Jahren für die Rechte der Arbeitsmigrantinnen ein.

Überstunden und kein Gehalt

Insgesamt 120 Frauen betreut die Caritas in einem Frauenhaus, versorgt sie medizinisch, sorgt dafür, dass sie mit ihren Familien in ihren Herkunftsländern sprechen können, und hilft auch in rechtlichen Angelegenheiten. Eine von ihnen ist eine 20-jährige Frau aus Äthiopien, die ihren Namen nicht nennen möchte. "Ich habe in zwei Haushalten gearbeitet, bis 2 Uhr 30 morgens. Und ich musste um 5 Uhr 30 wieder aufstehen“, erzählt die junge Frau in einem Video der Caritas Libanon.

"Meine Chefin hat mich seit Monaten nicht bezahlt, und sie hat mich oft geschlagen. Wasser habe ich heimlich im Badezimmer getrunken - und es gab auch nicht ausreichend zu essen", sagt sie auf Arabisch. "Meine Chefin hatte damals gesagt, sie werde mich nicht verreisen lassen, sie hat auch noch meinen Pass. Ich will aber nach Hause nach Äthiopien." Insgesamt 37 Frauen aus Äthiopien sind bei der Caritas untergebracht, sagt Sayah. Die anderen 83 Frauen kommen aus verschiedenen afrikanischen und asiatischen Ländern, darunter Ghana, Bangladesch und die Philippinen.

Schlafen vor dem Konsulat Äthiopiens

Manchmal, erzählt Sayah, brächten die Arbeitgeber die Frauen auch direkt zur Caritas, weil sie sich nicht mehr zu helfen wüssten. Andere setzen sie vor ihren jeweiligen Botschaften ab, damit diese sich um sie kümmern. Manche Frauen laufen aber auch einfach weg. Seit Wochen schlafen daher Dutzende Arbeitsmigrantinnen vor dem äthiopischen Konsulat in Beirut - in der Hoffnung, Hilfe für eine Rückreise nach Äthiopien zu bekommen.

Makda ist 21 Jahre alt. Ihr Arbeitgeber hat sie gegen ihren Willen samt ihrem Koffer vor dem Konsulat abgeladen. "Madam hat mir mein letztes Gehalt nicht gezahlt. Sie sagte auch, sie könne mir das Ticket nach Hause nicht bezahlen", erzählt sie der Organisation Amnesty International. Die Polizei habe sie vor der äthiopischen Botschaft in Tränen aufgelöst gesehen und habe daraufhin ihre Arbeitgeberin angerufen. "Sie ist dann aber nur gekommen, um mir meine Pässe und meine Dokumente zu geben. Dann war sie wieder weg. Was ich soll ich jetzt machen?"

Die Lage ist dramatisch, eine Krise in der Krise nennt es Hessen Sayah. Zu der Wirtschaftskrise sei die Corona-Krise gekommen - und der Lockdown habe die Probleme zwischen den Arbeitsmigrantinnen und ihren Arbeitgebern teilweise verschärft.

Dutzende Äthiopierinnen schlafen vor der Botschaft in BeirutBild: AFP via Getty Images

Denn das Problem geht schon lange weit über die vor der Botschaft unfreiwillig kampierenden Frauen hinaus. Offiziellen Angaben zufolge sollen gut 250.000 Arbeitsmigrantinnen in libanesischen Haushalten tätig sein. Meist werden sie von Vermittlungsagenturen rekrutiert mit dem Versprechen, ein Gehalt in US-Dollar zu erhalten, das sie an ihre Familien in der Heimat schicken können.

Die Dunkelziffer wird doppelt so hoch geschätzt - viele Arbeitsmigranten sind ohne Papiere im Land und werden daher nicht erfasst. Sie putzen in Privathaushalten, reinigen Gebäude, holen den Müll ab oder verrichten Küchenarbeiten in Restaurants.

#EndKafala - das System muss sich ändern

Dahinter steckt das viel kritisierte sogenannte Kafala-System, das ein Arbeitsvisum der Migraten mit dem Namen ihres oder ihrer Arbeitgeber verbindet. Dieser, der "Kafil", gilt dann als der Bürge und Sponsor. Sobald die Hausangestellten libanesischen Boden betreten, übernehmen die Arbeitgeber die juristische Verantwortung für sie - meist leben die Hausangestellten auch bei ihren Arbeitgebern. Für ihre Tätigkeiten erhalten sie zwischen 150 und 250 US-Dollar Gehalt im Monat.

Manche Arbeitgeber nehmen den Frauen auch die Pässe weg. Schon in der Vergangenheit gab es immer wieder Berichte darüber, dass Gehälter nicht pünktlich bezahlt werden und es für viele maximal einen freien Tag pro Woche gibt. Auch sexualisierte, physische und psychische Gewalt sind in dieser Situation keine Seltenheit.

Sollten die Arbeitgeber oder Arbeitgeberinnen das Arbeitsverhältnis auflösen, droht den Migranten die Illegalität und Abschiebung. Zahlreiche Organisationen kritisieren schon seit Jahren die durch das Kafala-System entstandene Abhängigkeit. Daher hat Caritas Libanon eine Kampagne im Netz gestartet unter dem Hashtag #EndKafala. 

"Wir fordern, dass sich dieses System ändert. Denn genau dieses System bietet die Möglichkeit, die Menschenrechte der Arbeitsmigrantinnen zu verletzen“, sagt Hessen Sayah von der Caritas. Seit einigen Wochen seien sie diesbezüglich im engen Kontakt mit dem Arbeitsministerium, das sich dieses Themas annehmen wolle. Die Caritas, aber auch andere Organisationen, fordern die Durchsetzung eines einheitlichen Standardvertrags, der Arbeitsmigrantinnen das Recht auf ihren Lohn und eine Unterkunft garantiert. Diese Frauen, so Sayah, gehörten zu den am stärksten ausgegrenzten Menschen in der Gesellschaft.

Der Libanon in der Krise

Caritas Libanon und andere Nichtregierungsorganisationen sind auf finanzielle Unterstützung angewiesen, um diesen Frauen zu helfen. Dass die libanesische Regierung sich finanziell für diese Frauen einsetzen wird, ist eher unwahrscheinlich. Denn der Zedernstaat am Mittelmeer steht vor einer Vielzahl von Herausforderungen - einschließlich einer politischen Krise und einer Haushalts-, Banken- und Währungskrise. Das libanesische Pfund befindet sich im freien Fall. Laut dem aktuellen Konsumentenpreisindex sind die Preise für manche Grundversorgungsgüter seit März um über 60 Prozent gestiegen. Und die Inflationsrate schätzt die Regierung für 2020 auf gut 25 Prozent.

Noch sind die Flughäfen weltweit nur eingeschränkt geöffnet - und selbst wenn, ist noch nicht klar, wie die Frauen wieder in ihre Heimatländer kommen. Wer zahlt die Flüge? Bekommen sie ihre noch nicht ausbezahlten Gehälter? Drei Flüge aus dem Libanon in Heimatländer der Migrantinnen sind in den vergangenen Monaten mit Hilfe verschiedener Botschaften organisiert worden. Doch das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. 

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