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PolitikLibanon

Libanon: Die Angst vor dem Krieg

Jennifer Holleis | Abbas Al-Khashali
16. Januar 2024

Viele Menschen im Libanon befürchten, der Krieg im Nahen Osten könnte schon bald auf ihr Land übergreifen. Tatsächlich verschärfen sich die Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz von Tag zu Tag.

Eine Frau in einem palästinensischen Flüchtlingslager in Beirut
Viele Menschen im Libanon befürchten eine Ausweitung des Nahost-Krieges. Unser Bild zeigt eine Frau in einem palästinensischen Flüchtlingslager in BeirutBild: Jose Colon/Anadolu/picture alliance

An manchen Tagen scheint es, als herrsche bereits Krieg in der Grenzregion zwischen Libanon und Israel: Unbemannte israelische Drohnen schwirren durch die Luft, während sich die vom Iran unterstützte Hisbollah Gefechte mit der israelischen Armee (IDF) liefert und Ziele in der Grenzregion attackiert.

Derweil haben die meisten Zivilisten die Region auf beiden Seiten der Grenze verlassen. "Ich fürchte, die Hisbollah zieht uns in einen Krieg hinein, mit dem wir Bürger nichts zu tun haben", sagt ein 40-jähriger Libanese aus Beirut der DW.

Aus Angst vor Repressionen will er seinen Namen nicht nennen. "Der Libanon ist nicht bereit für einen Krieg. Nichts im Land ist auf einen solchen Fall vorbereitet, weder die Krankenhäuser noch die Infrastruktur!"

Längst haben sich viele Libanesen mit Vorräten an Lebensmitteln und Wasser eingedeckt - sofern sie sich das angesichts der Wirtschaftskrise und des weiterhin ungebremsten Falls der Währung überhaupt leisten können.

Bereits Tote auf beiden Seiten

Begonnen hatten die immer wieder neu aufflammenden Kämpfe mit Angriffen der Hisbollah auf Israels Norden am 8. Oktober - einen Tag, nachdem die von Deutschland, der EU, den USA und weiteren Staaten als Terrororganisation eingestufte Hamas ihren tödlichen Angriff auf Israel mit rund 1200 Toten und 240 Entführten begonnen hatte.

Nachdem die Scharmützel an der israelisch-libanesischen Grenze über Wochen eher begrenzt waren, scheint die Lage nun zu eskalieren. Bislang wurden mehr als 185 Libanesen getötet, darunter 141 Hisbollah-Mitglieder.

Im Süden von Beirut fiel zudem der stellvertretende Hamas-Chef Saleh al-Aruri einer gezielten Tötungsaktion zu Opfer, die allgemein Israel zugeschrieben wird. Auch 14 Israelis, darunter neun israelische Soldaten, wurden einer Aufstellung der französischen Nachrichtenagentur AFP zufolge getötet.

"In gewissem Maße sehen wir dort bereits eine regionale Konfrontation", sagt Kelly Petillo, Nahost-Forscherin beim European Council on Foreign Relations, im DW-Gespräch.

Hoffen auf eine diplomatische Lösung

Zuletzt liefen die internationalen Bemühungen für eine Deeskalation der Situation auf Hochtouren. In der Hoffnung, einen größeren Krieg im Nahen Osten zu verhindern, besuchten sowohl EU Diplomat Josep Borell als auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock in der vergangenen Woche den geschäftsführenden Premierminister des Libanon, Nadschib Mikati.

Ebenfalls in der vergangenen Woche führte Amos Hochstein, US-Sonderkoordinator für globale Infrastruktur und Energiesicherheit, Gespräche in Beirut. Er hoffe auf eine diplomatische Lösung, damit die libanesische Bevölkerung in ihre Häuser im Südlibanon zurückzukehren könne, sagte Hochstein in Beirut. Auch die Menschen in Israel müssten in ihre Häuser im Norden zurückkehren können, betonte er. 

Die Bemühungen sind jedoch kompliziert: Die Hisbollah - zumindest ihr militärischer Flügel - wird unter anderem von vielen westlichen Ländern als terroristische Vereinigung betrachtet, während sie im Libanon stärker als politische Kraft wahrgenommen wird. Sie war bereits mehrfach an der Regierung beteiligt. Westliche Vertreter sprechen jedoch nicht direkt mit der Schiiten-Miliz, die weitestgehend mit Geldern aus dem Iran finanziert wird.

Feind auf dem Rücken: Ein israelischer Soldat an der Grenze zum Libanon. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah steht hier zumindest symbolisch im VisierBild: Jalaa Marey/AFP/Getty Images

Regierung mit begrenztem Einfluss

Libanons Regierungschef Mikati hat zwar wiederholt erklärt, er wolle einen Krieg in seinem Lande verhindern. Doch das steht nicht wirklich in seiner Macht.

"Was die libanesische Regierung tut oder nicht tut, spielt hier letztlich keine Rolle", sagt Heiko Wimmen, Libanon-Experte bei der nichtstaatlichen Konfliktpräventions-Organisation International Crisis Group, der DW. "Der Akteur, der den Verlauf des Konflikts bestimmt, ist die Hisbollah."

Heiko Wimmen sieht sowohl die Bevölkerung als auch die Regierung im Libanon allenfalls als "Zuschauer". "Die Hisbollah verfolgt ihre eigenen strategischen Interessen, die nicht unbedingt mit den Interessen des Libanon identisch sind", sagt er.

"Sie ist Teil der regionalen - auch 'Achse des Widerstands' genannten - Koalition mit dem Iran und anderen Akteuren. Deren Mitgliedern geht es um anderes als darum, den Libanon zu verteidigen oder dessen Stabilität zu wahren."

Im Gespräch: Deutschlands Außenministerin Baerbock und der libanesische Premier MikatiBild: MOHAMED AZAKIR/REUTERS

"Risiko eines Fehlers ist enorm"

Etwas anders sieht dies der Politikwissenschaftler David Daoud von der in Washington ansässigen Denkfabrik Foundation for Defense of Democracies. Die Hisbollah sei von der libanesischen Gesellschaft keineswegs völlig unabhängig, schrieb er kürzlich in einer Analyse auf der Webseite des Think Tanks Atlanctic Council.

Der Anschlag auf den Hamas-Vertreter Saleh al-Aruri habe die Hisbollah daher in eine schwierige Situation gebracht. Sie müsse sich zwischen ihren Verpflichtungen innerhalb der iranischen geführten "Achse des Widerstands" und der politischen und sozialen Dynamik des Libanon positionieren, so Daoud. 

"Die Hisbollah ist sich der Bedeutung des Rückhalts in der Bevölkerung bewusst", schreibt Daoud. "Lässt sie sich auf ein militärisches Abenteuer gegen Israel ein, und zwar ganz gleich, in welchem Umfang, riskiert sie, diesen Rückhalt - auch bei ihren Anhängern - unnötig zu gefährden."

Bislang allerdings hätten die Hisbollah und der Iran ihre Reaktionen auf die Tötung des Hamas-Führers in Beirut trotz der immer schärfer werdenden Rhetorik und der immer wieder hoch kochenden Eskalation im Grenzgebiet sorgfältig kalkuliert, sagt Expertin Kelly Petillo. Sie setzt darauf, "dass der Iran und die Hisbollah letztlich immer noch nicht an einem weiter wachsenden Krieg interessiert sind". 

Allerdings sei die Situation insgesamt weiterhin äußerst heikel: "Das Risiko eines Fehlers, in dessen Folge das Gleichgewicht kippen könnte, ist enorm."

Mangelndes Vertrauen in die Armee

Im Libanon wächst nun die Befürchtung, dieses fragile Gleichgewicht könnte kippen - zumal viele Libanesen nur geringes Vertrauen in die Fähigkeiten der nationalen Armee haben, die allgemein als schwächer gilt als die Hisbollah. 

"Wir brauchen jemanden, der uns beschützt", meint eine 42-jährige Frau in Beirut der DW. Auch sie bittet darum, ihren Namen nicht zu veröffentlichen. Wie viele Libanesen betrachtet sie Israel als Feind - und ist der Ansicht, die Hisbollah sei wegen ihrer militärischen Stärke am besten geeignet, das Land zu schützen.

Beobachter warnen jedoch: Mit ihren fortgesetzten Angriffen und militärischen Provokationen könnte es die Hisbollah sein, die das Land in einen offenen Krieg führt.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
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