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Libanon: Hartes Vorgehen gegen syrische Flüchtlinge

Diana Hodali
26. Mai 2023

Libanons Regierung macht seit Wochen Stimmung gegen syrische Flüchlinge im Land. Sie macht sie verantwortlich für die Wirtschaftsmisere - und droht mehr denn je mit Abschiebungen in Syriens Regimegebiete.

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Besonders in den ländlichen Gebieten des Libanon leben viele Syrer in ZeltenBild: MOHAMED AZAKIR/REUTERS

An diesem einen Morgen im Mai ging alles ganz schnell: Mouad S. hatte den Checkpoint in der nordlibanesischen Stadt Tripoli bewusst zu Fuß passiert. "Bisher hatte das libanesische Militär nur Syrer auf Motorrädern und in Autos festgenommen, doch ich wurde eines Besseren belehrt", erzählt der 25-jährige Syrer.

Mouad S., das ist nicht sein echter Name, wurde festgenommen, er hatte keine gültigen Papiere dabei. In einem Auto brachten sie ihn an zuerst einen anderen Checkpoint. Dort blieb er eine Nacht, um am nächsten Morgen an eine Gruppe Männer übergeben zu werden, die ihn an die libanesisch-syrische Grenze fuhren und dort in der Nähe in ein Gebäude sperrten. "Ich wusste nicht, wer diese Männer waren, zu wem sie gehören. Sie haben ständig gesagt, dass sie mich nach Syrien abschieben wollen", erzählt er. Die Abschiebung, hieß es, würde in das von Syriens Machthaber Baschar al-Assad kontrollierte Gebiet erfolgen. "Ich hatte große Angst, denn ich weiß nicht, was mir in Syrien drohen würde." 

Schlepper, libanesische Regierung oder syrische Beamte?

Drei Tage später und rund 550 US-Dollar leichter durfte S. schließlich doch zurück nach Tripoli. Ob diese Männer Schlepper waren und zu wem sie gehörten, weiß er bis heute nicht. "Ich weiß nur, sie spielen mit unseren Leben und unserer Sicherheit und machen offenbar Geld damit". Geld, das weder er noch sein Bruder hat. "Mein Bruder hat für mein Freikommen ein Handy der Familie verkauft und sein Erspartes per Bargeldtransfer überwiesen."

Libanons Grenzübergang Masnaa - über diesen Übergang ist auch Mouad 2016 ins Land gekommen. Er floh aus Syrien.Bild: Bilal Hussein/AP Photo/picture alliance

Seit Monaten leben Syrer im Libanon in Angst vor Abschiebungen. Zwar haben die libanesischen Behörden in den letzten Jahren regelmäßig Syrer abgeschoben. Sie berufen sich dabei auf eine Regelung, nach der Syrer, die nach April 2019 ohne legale Genehmigung eingereist sind, zwangsweise zurückgeführt werden können. Doch vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden Wirtschaftskrise im Libanon gehen libanesische Behörden härter denn je gegen syrische Flüchtlinge vor - eine Eskalation, die unter den Syrern im Lande Panik ausgelöst hat. "Ich habe seither immer Angst, einen Checkpoint zu passieren", erzählt Mouad S. Er nehme lieber lange Umwege in Kauf, denn er könnte erneut ins Visier der Behörden geraten.

In den letzten Wochen hat die Armee Razzien in Flüchtlingslagern durchgeführt und Kontrollpunkte eingerichtet, um die Papiere von nicht-libanesischen Staatsbürgern zu überprüfen. Nach Angaben von Geflüchteten und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und dem Access Center for Human Rights (ACHR) wurden Syrer, die keinen legalen Aufenthaltsstatus hatten, verhaftet und in vielen Fällen abgeschoben. 200 bis 700 Syrer sollen bis Mitte Mai nach Angaben des ACHR in syrische Regimegebiete abgeschoben worden sein, auch wenn diese Zahlen nicht eindeutig verifiziert werden könnten. Manche Gemeinden haben zudem Ausgangssperren für Syrer verhängt. Das Innenministerium hat sie Anfang Mai zudem angewiesen, jeden Syrer zu dokumentieren und zu melden, bevor er eine Wohnung bezieht.

Kampagne gegen Syrer soll von Problemen ablenken

Derzeit läuft auch die sogenannte "Nationale Kampagne zur Befreiung des Libanon von der syrischen demografischen Besatzung”, in der radikale Kräfte eine Ausweisung aller Syrer im Libanon fordern. Sozialminister Hector Hadschar warnte kürzlich vor "gefährlichen demografischen Veränderungen", die Libanesen "zu Flüchtlingen im eigenen Land" machen würden.

"Die Stimmung ist extrem angespannt, dieses anti-syrische Narrativ, das es seit Jahren im Libanon gibt - aufgrund der langen gemeinsamen Geschichte - (Anm. der Red.: von 1976 bis 2005 waren syrische Besatzungstruppen im Libanon präsent) - ist eskaliert", beschreibt Anna Fleischer die Atmosphäre. Fleischer leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in der Hauptstadt Beirut.

Libanesische Politiker machen Syrer für die Verschlimmerung der seit 2019 herrschenden Wirtschaftskrise verantwortlich, die das Land in den Ruin geführt hat. Die politische Elite wolle mit der Kampagne gegen syrische Geflüchtete vom eigenen Versagen bei der Bewältigung der verschiedenen Krisen im Land ablenken, sagt Anna Fleischer.

Seit sechs Monaten hat das Land keinen Staatspräsidenten, die für diesen Monat geplanten Kommunalwahlen wurden um ein Jahr verschoben. Die politische Elite stecke in einem absoluten Stillstand, so Fleischer von der Böll-Stiftung. Außerdem finden in der Region gerade Normalisierungsbestrebungen mit Assad statt.

Die Antiflüchtlingskampagne findet auch vor dem Hintergrund der festgefahrenen Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds statt. Dieser fordert weiterhin Reformen.

"Es geht darum, dass dieses politische System, das Finanzsystem und das Bankensystem ohne irgendeine Form von Rechenschaft einfach so weiterlaufen", sagt Fleischer. Deswegen sei es leichter, einen Sündenbock heranzuziehen – in diesem Fall die syrischen Geflüchteten.

"Es geht aber nicht um die Präsenz der syrischen Geflüchteten. Durch sie kommen auch viele internationale Hilfen seit Jahren in den Libanon", so die Expertin. Zudem benötige der Staat in einigen Bereichen auch syrische Arbeitskräfte, besonders in der Landwirtschaft. Dort waren auch schon vor Kriegsbeginn 2011 viele Syrer tätig.

In der Vergangenheit sind nur wenige Syrer freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrtBild: Bilal Hussein/AP/picture alliance

Minister: Flüchtlinge sollen unter Schutz stehen

Schätzungsweise zwei Millionen Syrer sind seit Beginn des Syrien-Krieges in den Libanon geflüchtet, dessen Einwohnerzahl selbst bei nur rund 5 bis 5,5 Millionen liegt.

Rund 805.000 Syrer sind beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, registriert. Eigentlich müssten viel mehr Menschen registriert sein, doch 2015 wies die libanesische Regierung die Vereinten Nationen an, die Neuregistrierung zu stoppen, somit fehlt vielen der Schutz, der mit dem Flüchtlingsstatus einhergeht. Sozialminister Hadschar erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur AP, dass die Regierung durch den Austausch von Daten mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk sicherstellen kann, dass Syrer, die als Flüchtlinge registriert sind, nicht abgeschoben werden. Doch diese Aussage zweifeln viele Beobachter an, denn auch Personen mit legalem Aufenthaltsstatus wurden bereits deportiert.

20 libanesische und internationale Menschenrechtsgruppen haben den Libanon aufgefordert, die Abschiebungen von syrischen Flüchtlingen zu stoppen. Die libanesische Regierung hat zwar die UN-Flüchtlingskonvention nicht in Gänze ratifiziert, wohl aber den Teil der Konvention gegen Folter, und der verbietet es, Menschen dorthin zurückzuschicken, wo ihnen ein derartiges Schicksal drohen könnte. Und in Assads Syrien ist Folter für sogenannte Abtrünnige an der Tagesordnung. Eine neue Umfrage der UN zeigt daher auch: Nur ein Prozent aller syrischen Geflüchteten in der gesamten Region, inklusive in der Türkei, könne sich eine Rückkehr nach Syrien in den kommenden zwölf Monaten vorstellen.

"Vor allem lautes Getöse"

Anna Fleischer geht nicht davon aus, dass die libanesische Regierung mehrere Tausend Syrer abschieben kann. Der Staat schaffe es nicht einmal, seinen Kernaufgaben nachzukommen. Auch Baschar al-Assad wolle nicht alle Syrer zurück. Nach Angaben des Action Center for Human Rights haben die syrischen Behörden bereits Schmuggler bezahlt, um einige Abgeschobene wieder zurück in den Libanon zu bringen. "Es ist vor allen Dingen lautes Getöse, um von anderen Problemen abzulenken."

Doch dieses Getöse zeigt seine Wirkung. Die Angst vieler Syrer im Land hat dazu geführt, dass viele nicht einmal mehr das Haus verlassen, um arbeiten zu gehen. Mouad S. geht weiter zur Arbeit, aber geschützt fühle er sich im Libanon nicht mehr. "Dabei will ich nur ein Leben in Sicherheit", sagt er.

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