1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Gesellschaft

Libanon: Der Kampf der Frauen

Sina Schweikle Beirut
21. September 2020

Proteste gegen Politiker, Rettungsaktionen nach der Beiruter Explosion: Die Krise im Libanon macht Bürger wütend und lässt sie aktiv werden - darunter bemerkenswert viele Frauen, berichtet Sina Schweikle aus Beirut.

Reportage | Frauen im Libanon | Laila Zahed
"Die Revolution war und ist weiblich": Aktivistin Laila Zahed in BeirutBild: Sina Schweikle/DW

Wo sonst der Verkehr tobt, bewegt sich eine Menge wütender Menschen durch Beirut. Die Innenstadt ist in Tränengas getaucht. Am sogenannten Märtyrer-Platz fliehen Menschen vor gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften und ziehen sich aufgewühlt zurück. "Wir sind Unterdrückte im eigenen Land", schallt es aus der Menge. Es ist eine Frauenstimme. 

Den Slogan kennt und versteht jeder im Libanon. Vor allem versteht ihn jede Frau.

Bauchfrei in knappen Jeans

Wirtschaftskrise, Proteste gegen Korruption und das herrschende Klientelsystem - dann auch noch die große Explosion am Hafen von Beirut vor einem Monat: Der Libanon steckt inmitten vieler Krisen und Katastrophen. Die Menschen stemmen sich dagegen, so gut sie können. Auffällig dabei ist immer wieder der hohe Anteil von Frauen. Gerade auf Seiten der Protestbewegung zeigen viele Frauen Mut und Stärke und stehen bei zahlreichen Aktionen mit in vorderster Reihe. 

Szene aus einer Schulung für Frauen im LibanonBild: Sina Schweikle/DW

Auch nahezu die Hälfte der Demonstranten am Märtyrerplatz sind Frauen. Sie treiben den Aufstand voran, viele Jüngere in knappen Jeans und bauchfrei. "Die Revolution war und ist weiblich", sagt Laila Zahed und grinst. Sie ist 60 Jahre alt und erzählt stolz, dass es Frauen waren, die sich schon mehrfach zwischen schussbereite Soldaten und wütende Demonstranten gestellt hätten, damit keine Gewalt ausbricht. Seit Beginn der Proteste am 17. Oktober 2019 geht Laila zu nahezu jeder Demo.

Beherztes Eingreifen

Szenenwechsel: Mit ähnlichem Selbstbewusstsein steht die 42 Jahre alte Aktivistin Melissa Fathallah vier Wochen nach der Explosion am Hafen von Beirut inmitten Hunderter Schaulustiger und brüllt einer Gruppe von Soldaten entgegen: "Ihr schafft es nicht mal einen Kran aufzutreiben?! Gut, dann besorge ich euch den Kran!"

Ein chilenisches Rettungsteam hatte im Trümmerhaufen eines zusammengestürzten Hauses Herztöne wahrgenommen. Ganz Beirut hoffte auf ein Wunder. Doch als ein Kran gebraucht wurde, wollte das Militär abbrechen und lieber bis zum nächsten Tag warten. 

Hat beherzt versucht, ein Wunder zu ermöglichen: Melissa FathallahBild: Sina Schweikle/DW

Melissa Fathallah wollte dies nicht einsehen und organisierte den Kran privat - binnen weniger Stunden konnte die Arbeit der Lebensretter fortgesetzt werden, auch wenn sie am Ende vergeblich blieb und keine weiteren Überlebenden gefunden wurden. Über die Verantwortlichen in Militär und Politik - fast durchweg Männer - regt Melissa sich täglich auf: "Libanons Armee und der Staat sind zu nichts zu gebrauchen, seit der Explosion machen sie nur eines: Herumsitzen und schlau daherreden!" 

Dass Frauen im patriarchalisch geprägten Libanon nach aktiver Beteiligung streben, dafür gab es schon vor den jüngsten Krisen Anzeichen. So hatten sich laut einem UN-Bericht bei der Parlamentswahl 2018 insgesamt 113 Frauen als Kandidatinnen registrieren lassen - bei den Wahlen zuvor waren es gerade einmal zwölf gewesen. Sechs Frauen schafften es 2018 sogar in die Regierung.

Wegfliegen oder Kämpfen?

"Erst wenn mehr von uns gesehen und wahrgenommen werden, können wir etwas ändern!“, meint Randa Yassir, Gründerin der Organisation "Smart-Center" und leidenschaftliche Verfechterin von Frauenrechten. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Hana Nasser möchte sie die Frauen im Land weiter stärken. "Viele Frauen wissen oft gar nicht, was möglich ist, bis wir ihnen eine Option aufzeigen“, sagt die ehemalige Journalistin. Randa Yassir kennt sich aus, sie war früher in einem Beiruter Ministerium als Beraterin für Frauenthemen tätig. Mit Schulungen und Trainings will sie libanesischen Frauen nun Wege aufzeigen, um wirtschaftlich möglichst unabhängig zu werden und vermeintlich unverrückbare politische oder gesellschaftliche Hindernisse zu überwinden. 

Hana Nasser (l.) und Randa Yassir wollen weitere Frauen ermutigenBild: Sina Schweikle/DW

Organisationen wie diese spielen derzeit mit ihrer Aufklärungsarbeit eine nicht zu unterschätzende Rolle. Denn viele junge Libanesen - Frauen wie Männer - sehen aufgrund der krisenhaften Situation keine Zukunft mehr für sich im Libanon und würden das Land lieber heute als morgen verlassen. "Momentan heißt es für viele 'Flight or Fight' (zu deutsch etwa: "Fliege (ins Ausland) oder Kämpfe!"), sagt Hana Nasser. "Wir möchten jedoch, dass gerade Frauen lernen zu kämpfen und Teil eines neuen Systems werden, anstatt die Regierung nur zu beschimpfen und dann das Land zu verlassen. Das ist unsere Chance!"

"Überrascht, was wir erreichen können"

"Wir haben nichts zu verlieren": Aktivistin Cynthia Maria AramounieBild: Emma Freiha

Cynthia Maria Aramounie ist den umgekehrten Weg gegangen. Die 31 Jahre alte Illustratorin und Fotografin gehört zu jenen Libanesen, die ihrer Heimat längst den Rücken gekehrt hatten. Nun ist sie aus den USA zurückgekehrt, um sich an den Protesten gegen korrupte Politiker und konfessionelle Klientelpolitik zu beteiligen. "Wir haben nichts zu verlieren", sagt sie, "es geht um die Hoffnung".

Cynthia kämpft wie viele Jüngere im Libanon für einen säkularen Staat - die bisherige Machtaufteilung nach einem festen Verteilungsschlüssel zwischen Schiiten, Sunniten, diversen christlichen Konfessionen und weiteren Gruppen soll abgeschafft werden. Cynthia ist stolz, dass viele Frauen dabei mitmachen. "Männer sind es eigentlich gewohnt, dass wir Frauen still sind – aber nun sprechen wir. Und sind manchmal selbst überrascht, was wir damit erreichen können."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen