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PolitikNahost

Libanon: Traumwährung Dollar

Luisa Meyer Beirut
13. August 2021

Die libanesische Lira hat massiv an Wert verloren, zugleich steigen die Preise. Während die meisten Libanesen einen zähen Überlebenskampf führen, profitieren einige vom Wechselkurs des Dollars. Aus Beirut Luisa Meyer.

Armut in Libanon - Ruinen in Beirut
Leben in Ruinen: Armut ist im Libanon sehr weit verbreitetBild: picture-alliance/Bildagentur-online/Rossi

Ewige Schlangen vor Tankstellen, leere Regale in Apotheken und teilweise über 20 Stunden Stromausfall am Tag, das sind die großen Symptome der Krise. Noch deutlicher wird das Leid aber gerade in kleinen, alltäglichen Momenten. Die ältere Frau, die abends an der Straßenecke um Geld bittet: Sie wirkt nicht so, als hätte sie je zuvor in ihrem Leben betteln müssen. Der Taxifahrer, der seine Katze abgeben muss, weil er sich das Futter nicht mehr leisten kann. Die Frau, die im Laden Joghurt kaufen will und es sich anders überlegt, als sie den Preis hört.

Die Krise trifft nicht alle

Durch den veränderten Wechselkurs trifft die Krise jedoch nicht alle im gleichen Maße, einige wenige profitieren sogar. Und zwar nicht nur wohlhabende Politiker – wie ein Hisbollah-Politiker, dessen Tochter kürzlich trotz Wirtschaftskrise eine luxuriöse Hochzeit feierte und der dafür in den sozialen Medien so hart kritisiert wurde, dass er vorübergehend seine Tätigkeiten in der Partei ausgesetzt hat. Nicht zuletzt profitieren durch den veränderten Wechselkurs auch diejenigen, die Zugang zu amerikanischen Dollars haben.

Nachdem 1997 der Wechselkurs der libanesischen Lira an den US-Dollar gekoppelt wurde, war die libanesische Währung recht stabil. Ein Dollar entsprach seitdem rund 1.500 Lira. Waren und Dienstleistungen konnte man problemlos zur Hälfte in Dollar und zur Hälfte in Lira bezahlen. Doch dann schlug die Wirtschaftskrise zu - und die Lira verlor rund 90 Prozent ihres Wertes. Inzwischen bekommt man in den Wechselstuben für einen Dollar bis zu 23.000 libanesische Lira.

Not in einem ehemals vergleichsweise wohlhabenden Land: Obdachloser in BeirutBild: Getty Images/AFP/J. Eid

"Wer Zugang zu US-Dollars hat - entweder aus dem Ausland oder durch den Schwarzmarkt, kann sich jetzt einen besseren Lebensstil leisten", sagt Bassel Salloukh, Politikwissenschaftler an der Lebanese American University in Beirut.

In einem guten Restaurant essen gehen - das kostet umgerechnet inzwischen nur noch ein paar Dollars. Eine Fahrt im Taxi? Zwischen 40 Cent und zwei Dollar.

An "frische" Dollars in bar kommen allerdings vergleichsweise wenige Menschen - etwa die, die Wohnungen in Dollar vermieten. Dollars sind inzwischen so begehrt, dass die meisten Vermieter und Vermieterinnen die Miete in Dollars verlangen - und so viele Mieter und Mieterinnen zum Ausziehen zwingen.

Das Ersparte schmilzt dahin 

Yara gehört zu den wenigen, die Zugang zu frischen Dollars haben. Die junge Frau, die wie einige andere Interviewpartner nur ihren Vornamen veröffentlicht sehen will, hat einen Job im NGO-Sektor und bekommt ihr Gehalt bar in der US-Währung. Obwohl sie sich damit deutlich mehr leisten kann als diejenigen, die ihr Gehalt in Lira verdienen, fühlt sie sich nicht besonders gut dabei. "Wenn ich zu einem teuren Ort gehe, poste ich davon kein Foto auf Social Media."

Allerdings hat auch sie unter der Krise gelitten: Sie hat einen Großteil ihrer in den letzten Jahren gesparten Dollar-Rücklagen verloren. Denn anders als früher ist es jetzt nicht mehr möglich, sie in den Banken abzuheben. Hebt Yara Dollars von ihrem Sparkonto ab, wird es automatisch zu einem Wechselkurs von 3.900 in libanesische Lira umgerechnet, viel weniger als der marktübliche Kurs in den Wechselstuben. Damit ist ihr Erspartes nur noch einen Bruchteil wert.

Auch Hilfsorganisationen sind gezwungen, Hilfszahlungen zu von der Regierung festgelegten, unvorteilhaften Wechselkursen umzutauschen, derzeit zu einem Kurs von 15.000 Lira. Dadurch haben sie der Nachrichtenagentur Reuters zufolge bislang 250 Millionen Dollar verloren, die eigentlich für Flüchtlingshilfe und die Bekämpfung von Armut im Libanon vorgesehen waren.

Die Schwächsten der Schwachen: syrische Flüchtlinge. Szene aus dem Lager Bar EliasBild: M. al-Ahmed

Die UN-Hilfswerke würden die Hilfsgelder für Geflüchtete und bedürftige Libanesinnen und Libanesen am liebsten direkt in Dollars auszahlen. Das Verhältnis zwischen der libanesischen Bevölkerung und den syrischen Geflüchteten ist jedoch seit Jahren angespannt. Bekämen die Geflüchteten Geldzahlungen nun in "frischen" Dollars, dürfte dies die Spannungen noch verstärken.

Handel auf dem Schwarzmarkt floriert

Politikwissenschaftler Bassel Salloukh rechnet damit, dass die Krise die libanesische Gesellschaft drastisch verändern wird. Bereits jetzt sind viele Menschen von den Städten zurück in die Dörfer gezogen, da sie sich das Leben in Beirut nicht mehr leisten könnten. Massenhaft versuchen die Menschen trotz internationaler Hilfe , den Libanon ganz zu verlassen - insbesondere die gut ausgebildeten.

Die informelle Wirtschaft boomt hingegen. "Viele, die vor der Krise nicht gearbeitet oder nur wenig verdient haben, haben jetzt neue Arbeit erfunden", sagt Salloukh. "Sie verkaufen Benzin auf dem Schwarzmarkt oder helfen, an Medikamente zu kommen, die es sonst nirgendwo mehr gibt - vorausgesetzt, man zahlt für ihre Dienste." Diejenigen, die es schafften, aus der Situation Profit zu schlagen, seien jedoch eine kleine Minderheit. "Der Rest der Bevölkerung erlebt einen furchtbaren Zusammenbruch."

"Wir überleben so gerade", sagt Marwa. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer achtjährigen Tochter in einer Wohnung in Dahieh, einem südlichen Vorort von Beirut. "Ich habe Angst, über die Zukunft nachzudenken. Wir leben von einem Tag auf den anderen. Vielleicht kann ich morgen nicht mehr weitermachen, vielleicht auch erst übermorgen." Im Wohnzimmer stehen moderne, hellblaue Sofas, ein Ventilator kämpft gegen die Beiruter Sommerhitze an. Schon vor der Krise musste sich Marwa ab und an für Anschaffungen wie ihr Handy oder die Sofas Geld leihen, konnte die Schulden aber immer gerade so abbezahlen. Jetzt schlittert ihre Familie in die Armut, wie viele Mittelschichtsfamilien.

Vegetarische Ernährung aus Not heraus

Marwas Mann arbeitet als Hochzeitsplaner, er verdient 1.100.000 libanesische Lira im Monat. Das entsprach vor zwei Jahren umgerechnet 730 Dollar - heute sind es umgerechnet weniger als 60 Dollar. Ein großer Teil davon geht für die Miete und einen Stromgenerator drauf. Für das Essen bleibt kaum etwas übrig. "Früher habe ich ein Kilo Reis für 2.000 libanesische Lira gekauft. Jetzt kostet das Kilo mindestens 15.000 Lira", sagt Marwa. Schnitzel oder Huhn zum Abendbrot, das war einmal. Jetzt kocht sie meistens Reis und Linsen aus Essenspaketen von Hilfsorganisationen. Joghurt und Käse kauft sie nur noch in kleinen Portionen. Selbst Tampons und Binden sind viel zu teuer, wie die Agentur Reuters kürzlich berichtete - sie werden auch anders als Rasierer und viele Lebensmittel nicht vom libanesischen Staat subventioniert. 

Für viele Frauen unerschwinglich: Binden und Tampons. Eine Initiative macht auf den Missstand aufmerksamBild: Luisa Meyer/DW

Die Schulgebühren für ihre Tochter, umgerechnet etwa 10 Dollar im Monat, sind unbezahlbar geworden. Marwa weiß nicht, ob sie sie nach den Sommerferien wieder in dieselbe Schule schicken kann oder ob das Kind auf eine staatliche Schule wechseln muss.

15 Prozent der Familien im Libanon haben laut UNICEF die Ausbildung ihrer Kinder abgebrochen, jedes zehnte Kind musste zum Gelderwerb der Eltern beitragen. 77 Prozent der Haushalte haben UNICEF zufolge nicht genug Geld, um ausreichend Essen zu kaufen - bei den Haushalten syrischer Flüchtlinge sind es laut einem Reuters-Bericht 99 Prozent. 

Profiteure der Krise

Vor einigen Tagen hatte Marwas Tochter schlimme Magenschmerzen. Marwa ging mit ihr zur Apotheke. Der Apotheker behauptete, er habe kein passendes Medikament. Marwa wurde wütend, ihre Tochter krümmte sich vor Schmerzen. Schließlich rückte der Apotheker doch ein Medikament heraus. Marwa war fassungslos - ihre Tochter leidet vor seinen Augen und er hatte die ganze Zeit das Medikament? Tatsächlich horten einige Tankstellen und Apotheken-Zulieferer Benzin und Medikamente. Sie warten auf einen weiteren Anstieg der Preise - um ihre Ware dann noch teurer zu verkaufen.

Insel der Seligen? Der Yachthafen Zeitouna Bay in BeirutBild: Luisa Meyer/DW

Schrumpfung wie im Krieg

Der Libanon rutscht seit Herbst 2019 immer tiefer in die Wirtschaftskrise. Deren Ursprünge liegen in massiver Staatsverschuldung, Korruption und jahrelanger Misswirtschaft. Die Preise für Lebensmittel und Produkte haben sich vervielfacht. Das Bruttoinlandsprodukt des Libanon ist einem Weltbank-Bericht zufolge von 55 Milliarden US-Dollar 2018 auf 33 Milliarden Dollar 2020 eingebrochen. "Eine derart brutale und schnelle Schrumpfung entsteht normalerweise im Zusammenhang mit Konflikten oder Kriegen", heißt es darin. Die libanesische Regierung hat bislang jedoch keine wirksamen Maßnahmen oder Reformen getroffen, um die Krise aufzuhalten.

Mitarbeit: Sally Abou Aljoud

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