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Syrische Flüchtlinge im Libanon: Ein Land vor dem Kollaps

Mona Naggar20. Juni 2013

Über ein Viertel der Bewohner im Libanon sind syrische Flüchtlinge. Der Kampf um Arbeit und Wohnraum überfordert die libanesische Gesellschaft und sorgt für Spannungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen.

Syrians carry their belongings as they cross into Lebanon at the border crossing point in Masnaa, eastern Lebanon, about 40 kilometers (25 miles) from Damascus, Syria, Friday, July 20, 2012. Private cars as well as taxis and buses carried thousands of people fleeing the violence in the Syrian capital. Syrian troops regained control of a rebellious neighborhood in Damascus Friday as more than 300 people were reported killed the day before in a sharp escalation of the country's civil war. (AP Photo)
Syrische FlüchtlingeBild: AP

Rana Haidar ist auf dem Weg zur Arbeit. Die 25-jährige Palästinenserin aus Syrien hat zwei Jobs. Am Vormittag arbeitet sie für einen Verein im Beiruter Stadtteil Sabra, der auch syrische Kinder betreut. Am Nachmittag schuftet sie in einem Sozialzentrum im Nachbarviertel Shatila.

Rana, die älteste unter ihren Geschwistern, muss zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Jeden Monat braucht sie 300 Dollar für die Miete - rund 225 Euro. Hinzu kommen Essen und Medikamente für ihre Mutter. Die Hilfe von internationalen Organisationen sei verschwindend gering im Vergleich zu dem, was die Familie jeden Monat braucht. Doch Rana weiß auch um die Probleme, mit denen die Libanesen selbst zu kämpfen haben: "Die Menschen hier haben uns herzlich aufgenommen, aber sie haben sicher auch ihre Schwierigkeiten mit uns. Wir nehmen ihnen schließlich Arbeit weg."

Sabra und das benachbarte Shatila gehören zu den ärmsten und am dichtesten bevölkerten Stadtteilen in Beirut. Hier ist alles knapp: Wohnraum, Strom, Wasser und Arbeit. In beiden Stadtteilen leben Palästinenser unter zum Teil prekären Bedingungen in Flüchtlingslagern - manche von ihnen bereits seit Jahrzehnten.

Auf sich selbst gestellt: Syrische Flüchtlinge in einer improvisierten Klinik im LibanonBild: Don Duncan

Palästinenser und Libanesen, die sich woanders in der libanesischen Hauptstadt nichts leisten können, haben hier eine Bleibe gefunden. Hinzu kommen Migranten aus Sri Lanka oder Bangladesch, und immer mehr Syrer - wie Rana Haidar.

Libanesische Solidarität, libanesischer Unmut

Nabila Ibrahim ist in Sabra geboren und aufgewachsen. Die 47-Jährige fungiert mittlerweile als wichtige Anlaufstelle für syrische Flüchtlinge in Sabra. Leute geben bei ihr Kleidung oder Windeln ab, Nabila leitet sie weiter an Bedürftige. Die energische Frau kennt die Lebensumstände der Menschen in ihrem Viertel.

Viele sind arbeitslos oder gehen einer schlecht bezahlten Arbeit nach, sagt sie. Und bei den Einheimischen habe sich Unmut angestaut, weil die syrischen Flüchtlinge für weniger Lohn arbeiten würden: "Meine Freundin, die eine Stelle in einem Bekleidungsgeschäft hatte, wurde entlassen, weil ihr Arbeitgeber für ihr Gehalt zwei Syrerinnen eingestellt hat." Trotzdem gebe es nach wie vor nachbarschaftliche Hilfe, erzählt Nabila. "Die Menschen zeigen ihr Mitgefühl."

Der Libanon hält bisher an seiner Politik der offenen Grenzen für syrische Flüchtlinge fest. Entsprechend groß sind die Flüchtlingsströme aus dem vom Bürgerkrieg geschundenen Nachbarland. Im Mai zählte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) 530.000 registrierte Flüchtlinge im Libanon. Hinzu kommen Tausende nicht registrierter Syrer.

Hilfe auch für Einheimische: Ali Baqi mit Mitarbeitern der Amel Association in Al-AinBild: Mona Naggar

Das libanesische Innenministerium geht inzwischen von einer Million syrischer Staatsangehöriger im Land aus. Die Stimmen, die eine Überforderung der libanesische Gesellschaft monieren, werden lauter - auch in der Politik.

Eine überforderte Gesellschaft

Die Bekaa-Ebene ist eines der Hauptaufnahmegebiete für syrische Flüchtlinge im Zedernstaat. Angaben des UNHCR zufolge leben derzeit über 150.000 registrierte Flüchtlinge in dieser ärmlichen, von der Landwirtschaft geprägten Region. Aber auch hier dürfte die tatsächliche Zahl sehr viel höher sein. Wegen ihrer Nähe zu Syrien sind die Städte und Dörfer der Bekaa-Ebene oft die erste Anlaufstelle für Menschen, die aus dem Nachbarland fliehen müssen. In dem 20.000 Seelen-Dorf Mardsch sind schätzungsweise 1600 syrische Familien untergekommen.

Kein einziges freies Zimmer gebe es mehr im Ort, sagt Nazim Youssef, der Bürgermeister von Mardsch. Seine Gemeinde sei eigentlich nicht mehr in der Lage, weitere Menschen aufzunehmen. Zurückschicken könne man die Flüchtlinge aber auch nicht, sagt Youssef. "Sie haben schließlich alles verloren."

Die Hilfe, die die internationalen Organisation bereitstellen, sei viel zu knapp bemessen, erklärt der Bürgermeister. Für die Flüchtlinge reiche es in der Regel kaum zur Grundversorgung. Trotzdem mache sich bei den Libanesen wegen der umfangreichen Hilfsprogramme Unmut breit: "Die Syrer bekommen viel Aufmerksamkeit - und wir erleben gerade selbst eine schlimme Wirtschaftskrise", klagt Youssef.

Kein Wohnraum für Neuankömmlinge

Die Kritik an der vermeintlichen Bevorzugung der Syrer kennt auch Ali Baqi von seiner täglichen Arbeit. Baqi leitet die Niederlassung der libanesischen Hilfsorganisation "Amel Association" in Al-Ain, einem Städtchen mit rund 30.000 Einwohnern in der nördlichen Bekaa-Ebene. Hier haben in den letzten beiden Jahren rund 800 Familien Zuflucht gefunden, und auch hier gibt es keinen freien Wohnraum mehr für Neuankömmlinge. Der 53-Jährige weiß, dass in seinem Ort viele arme Libanesen leben. So beschloss er nach Rücksprache mit der Zentrale in Beirut, bedürftige Einheimische in das Hilfsprogramm einzubeziehen.

Rachel Routley vom Dänischen Flüchtlingsrat DRC gibt zu, dass es die internationalen Hilfsorganisationen in der Vergangenheit versäumt hätten, die Abstimmung und Kommunikation mit den Gastgemeinden zu verbessern. Erst jetzt würden sie in den ärmeren Regionen auch Projekte für bedürftige Einheimische auf den Weg bringen.

Sieht sein Land auf eine Katastrophe zusteuern: NGO-Direktor Kamel MohannaBild: DW/M.Naggar

Das größte Problem ist aus der Sicht von Routley jedoch die Unterbringung der Flüchtlinge: "Hier brauchen wir eine breit angelegte Lösung." Damit meint sie die Errichtung von Flüchtlingslagern gemeint nach dem Vorbild von Jordanien oder der Türkei.

Die Entscheidungsträger im Libanon haben allerdings bisher verhindert, größere Lager für die syrischen Flüchtlinge einzurichten. In großen Lagern, die logistisch gut zu erreichen sind, könnten die Hilfsorganisationen ihre Hilfe den Bedürftigen wesentlich effizienter zukommen lassen. Aber in der libanesischen Politik hat man Angst davor, dass die Lager und die Menschen dauerhaft bleiben - so, wie schon die Palästinenser zuvor. Deswegen müssen sich die syrischen Flüchtlinge alleine durchschlagen und versorgen - zur Not auch zu Hungerlöhnen. Etwas anderes gibt es nicht.

Kamel Mohanna, Direktor der "Amel Association", macht die Zerstrittenheit der Politik im Land für die Misstände verantwortlich. Er sieht sein Land auf eine Katastrophe zusteuern.

"Wir machen eine schwere politische und wirtschaftliche Krise durch. Trotzdem nehmen wir Hunderttausende von Flüchtlingen auf. Die internationale Gemeinschaft hat uns im Stich gelassen", lautet seine bittere Bilanz.

Auf der Syrien-Geberkonferenz in Kuwait wurden Ende Januar umfangreiche Hilfsprogramme für den Libanon zugesagt. Bisher ist jedoch nur ein Viertel davon umgesetzt worden.

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