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Politik

Frankreich, der Libanon und der Wandel

31. August 2020

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron besucht das zerstörte Beirut. Er will zur politischen Erneuerung des konfessionell geprägten Landes beitragen. Paris hat alte Bindungen zum Libanon. Doch was bewirken sie heute?

Libanon Frankreichs Präsident Macron in Beirut
In der Menge: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron drängt in Beirut auf ReformenBild: picture-alliance/abaca/A. Abd Rabbo

Rund vier Wochen nach den Explosion in Beiruts Hafen mit mehr als 180 Toten ist Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wieder einmal in den Libanon gereist. Es ist der zweite Besuch seit der Katastrophe. Das Land hat daneben nicht nur mit einer schweren Wirtschaftskrise, sondern auch mit einem politischen Notstand zu kämpfen. Schon bei seinem ersten Besuch hatte Frankreichs Regierungschef deshalb tiefgreifende Reformen angemahnt, sonst blieben Gelder für den Wiederaufbau gesperrt, so die Warnung. 

So forderte er - ähnlich wie die Demonstranten im Land - ein Ende des konfessionell-politischen Proporzsystems. Bislang waren politische Ämter nach religiöser Zugehörigkeiten besetzt worden. So ist der Präsident bisher stets ein Christ, der Regierungschef ein Sunnit und der Parlamentspräsident ein Schiit. Bei vielen Menschen kommen die Forderungen gut an, mit "Viva la France"-Rufen ("Hoch lebe Frankreich") wurde Macron schon beim ersten Besuch bejubelt. 

Frankreichs Appell vernommen 

Die Forderungen der ehemaligen Kolonialmacht scheinen nun Gehör gefunden zu haben. So bekräftigte Libanons Präsident Michel Aoun, eigentlich Hassfigur für viele Libanesen, am Sonntag seinen Willen zu einer neuen Form des Regierens. Der Libanon solle ein "laizistischer Staat" werden, sagte er in einer Fernsehansprache. Auch der Chef der libanesischen, vom Iran unterstützten Schiiten-Miliz Hisbollah, der militärisch und darum auch politisch mächtigsten Kraft im Libanon, zeigte sich offen.

"Wir haben den Appell des französischen Präsidenten zu einem neuen politischen Pakt vernommen", sagte Hassan Nasrallah. Seine Organisation sei offen für jede konstruktive Diskussion zu dem Thema - "aber unter der Voraussetzung, dass es sich um einen libanesischen Dialog handelt und er dem Willen aller libanesischen Parteien entspricht", so Nasrallah weiter.

Bereitschaft zur Veränderung

Kurz vor Macrons Besuch ernannte das libanesische Parlament auch einen neuen Premierminister: Der ehemalige libanesische Botschafter in Deutschland, Mustapha Adib, tritt die Nachfolge von Hassan Diab an, der wenige Tage nach der Explosion zurückgetreten war. 

Libanons neuer Regierungschef: Mustapha AdibBild: AFP/J. Eid

Einen solchen Wechsel hatte Macron zuvor ins Spiel gebracht. Er sprach erst vor wenigen Tagen von der Notwendigkeit einer "Missions-Regierung". Nur durch entschiedene Veränderungen ließen sich die "Zwänge eines konfessionellen Systems" überwinden, die zu einer Situation geführt hätten, "in der fast keine politische Erneuerung und keine Reformen mehr möglich ist sind."

"Starke historische und emotionale Bande"

Die Äußerungen und politischen Entwicklungen im Vorfeld vom Macrons Besuch deuten darauf hin, dass Frankreich einen großen Einfluss auf den Libanon habe, sagt Karim Emile Bitar, Direktor des Instituts für politische Wissenschaften der Sankt-Josephs-Universität in Beirut. "Wenn Frankreich sich im Libanon nicht engagiert, besteht das Risiko, dass er (der Libanon, Anm.d.Red.) 'verglüht'", so Bitar gegenüber dem französischen Sender France Info.

"Es besteht dann die ernsthafte Gefahr, dass die Stellvertreterkriege in mehreren Ländern der Region - in Syrien, im Jemen und anderswo - schließlich auch auf den Libanon überspringen", so Bitar im französischen Sender France Info und verwies auf die "sehr starke historische, emotionale Bande" zwischen dem Libanon und Frankreich. 

Hass der Konfessionen: Szene aus dem Libanongebirge, 1860Bild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library

Tatsächlich spielt Frankreich im Libanon seit Jahrhunderten eine bedeutende Rolle. Im Jahr 1860 nahmen die konfessionellen Spannungen im damals zum Osmanischen Reich gehörenden Libanongebirge immer weiter zu. Schließlich mündeten sie in offener Gewalt zwischen Christen und - aus dem Islam hervorgegangenen - Drusen. In dieser Situation schritt Frankreich ein und setzten bei den Ottomanen einen Autonomie-Status für die Region durch. Frankreich wurde zur Schutzmacht der Christen. 1920 verkündete Frankreich die Gründung des Groß-Libanon, dem Vorgänger des heutigen Libanons. Dieser wurde 1943 unabhängig.

Aus dieser Zeit resultiere ein politischer Einfluss, den Frankreich auch in der derzeitigen Krise nutzen könne, so Bitar. Paris habe die Macht, zwischen den verschiedenen nationalen Akteuren wie auch deren internationalen Verbündeten zu vermitteln. Nur so lasse sich verhindern, dass sich der Libanon in ein Schlachtfeld, zumindest aber eine Einflusszone der großen Mächte verwandle.

Nichts als bloße Worte?

Ist Frankreich also der unverzichtbare Schrittmacher für den Libanon? "Die libanesische Bevölkerung, durch die Sorglosigkeit der Politiker bis zur Revolte getrieben, hat den Besuch Emmanuel Macrons nicht gebraucht, um ihre Wut über die Katastrophe vom 4. August auszudrücken", heißt es in einer Analyse des französischen Nachrichtenmagazins "L'Express".

Es sei aber denkbar, dass der Besuch des französischen Präsidenten die Bewegung moralisch unterstützt habe, auf deren Protest hin die Regierung dann zurücktrat. Macron habe den Menschen zugehört und von "organisierter Korruption" sowie dem völligen Fehlen von Vertrauen gesprochen. Damit habe er dem Anliegen der Demonstranten zusätzliches Gewicht verschaffen.

Blick auf das zerstörte BeirutBild: picture-alliance/NurPhoto/V. Poularikas

Dass es bei Worten bleiben könnte, diese Sorge äußert Historiker Yann Bouyrat im Magazin "Nouvel Observateur". "Natürlich könnte Frankreich eines Tages eine treibende Rolle dabei spielen, internationale Hilfe (beim langfristigen Wiederaufbau Beiruts, Anm. d. Red.) in Gang zu bringen. Allerdings dürfte das Engagement weiter kaum reichen", nimmt Bouyrat an.

Bedrohliche Szenarien

Und doch dürfte man sich in den europäischen Hauptstädten klar darüber sein, wie heikel die Situation im Libanon derzeit ist. Der kleine Staat ist gefährdet und könnte leicht scheitern. Dies umso mehr, als viele größere Staaten in der Region Einfluss auf den Libanon nehmen: Iran hat dort die Hisbollah installiert​​​​​, Saudi-Arabien hat - etwa über die Familie der ermordeten Premiers Rafik - enge Bindungen an den Libanon. Die Türkei unter Erdogan geriert sich - zum Beispiel in Syrien und in Libyen - als militärische Großmacht. Und auch die unmittelbare Nachbarschaft zu dem nach bald zehn Kriegsjahren völlig zerstörten, weiterhin von Assad und seinen iranisch-russischen Unterstützern beherrschten Syrien trägt nicht zur Stabilisierung des Landes bei.

Zerfiele der Libanon, hätte das für Europa unabsehbare Folgen, mit Blick auf die Flüchtlinge ebenso wie mit Blick auf die politische Kultur der Region insgesamt: Sie dürfte sich noch weiter in Richtung der dort bereits dominierenden autoritären Systeme entwickeln. All dies lässt vermuten, dass es Frankreich wie auch die übrigen europäischen Staaten bei Worten am Ende doch nicht belassen werden.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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