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PolitikLibanon

"Neue Ära" im Libanon: Joseph Aoun übernimmt Präsidentenamt

9. Januar 2025

801 Tage sind vergangen, seit Libanons letzter Staatschef aus dem Amt geschieden ist. Nach zahlreichen Anläufen wurde nun Joseph Aoun als Nachfolger gewählt. Steht das Land vor einer Wende in eine positive Zukunft?

Libanon Beirut | Joseph Aoun schreitet auf dem Weg ins Parlament an einer Ehrengarde entlang (09.01.2025)
Generalstabschef Aoun auf dem Weg zur VereidigungBild: Hussein Malla/AP/picture alliance

In mehr als zwei Jahren hat es 13 Versuche gebraucht, zwei Anläufe allein an diesem Donnerstag. Doch nun gibt es endlich ein Ergebnis: Der Libanon hat einen neuen Staatschef. Das Parlament in Beirut hat den Generalstabschef der libanesischen Armee, Joseph Aoun, zum neuen Präsidenten des Landes gewählt. Aoun erhielt in einer zweiten Abstimmung 99 Stimmen und erreichte damit die erforderliche Mehrheit.

Unmittelbar nach der Abstimmung legte Aoun seinen Amtseid ab. "Heute beginnt eine neue Ära in der Geschichte des Libanon", sagte er nach seiner Vereidigung. Aoun kündigte an, rasch Gespräche über die Ernennung eines neuen Regierungschefs zu führen und nach dem Krieg zwischen der pro-iranischen Hisbollah und Israel ein staatliches "Monopol" auf Waffen durchzusetzen. Damit dürfte er auf das Arsenal der Hisbollah-Miliz angespielt haben, zu dem er sich als Armeechef nicht öffentlich geäußert hatte.

Wiederaufbau als Ziel

Aoun war als Armeechef zuletzt auch dafür zuständig, die im November vereinbarte Waffenruhe zwischen der proiranischen Hisbollah-Miliz und Israel zu überwachen. Beobachter sehen in seiner Wahl eine Chance für einen politischen Neustart im Land, um ein mehr als zwei Jahre andauerndes Machtvakuum zu beenden.

Er verspreche, wieder aufzubauen, was das israelische Militär im Kampf gegen die Hisbollah im Süden des Landes und in der Hauptstadt Beirut zerstört habe, sagte Aoun. Er wolle sich zudem für bessere Beziehungen zu den arabischen Ländern einsetzen - auch zu Libanons östlichem Nachbarland, das bis vor kurzem von Diktator Baschar al-Assad beherrscht wurde. "Wir haben eine historische Gelegenheit, die Beziehungen zu Syrien wiederherzustellen", so der neue libanesische Präsident.

Kriegsschäden in Beirut (im Dezember)Bild: Murat Sengul/Anadolu/picture alliance

Mit der Einigung auf Aoun wird auch der Weg für internationale Hilfe zum Wiederaufbau geebnet. Die USA, Saudi-Arabien und Frankreich hatten dies immer wieder zur Bedingung gemacht.

Eine erste Abstimmung an diesem Donnerstagmorgen hatte noch kein Ergebnis gebracht. Die Hisbollah und die mit ihr verbündete Amal-Bewegung stimmten im ersten Wahlgang noch nicht für Aoun. Nach einer Pause zur Beratung gaben sie dem Armeechef in der zweiten Runde ihre Stimmen.

Ein Dutzend Versuche gescheitert

Es war der 13. Anlauf des Parlaments zur Wahl eines Präsidenten. Der Libanon hatte seit mehr als zwei Jahren keinen Staatschef mehr. Denn Ende Oktober 2022 war Michel Aoun planmäßig aus dem Amt geschieden. Er ist nicht verwandt mit seinem nun gekürten Nachfolger Joseph Aoun.

Die Wahl eines Präsidenten scheiterte immer wieder an Machtkämpfen innerhalb der politischen Elite. 801 Tage wurde das Land am Mittelmeer mit seinen rund sechs Millionen Einwohnern deshalb von Ministerpräsident Nadschib Mikati geschäftsführend geleitet. Die aktuelle Regierung ist nur eingeschränkt handlungsfähig.

Präsident Aoun bei der Antrittsrede im Parlament in BeirutBild: Hussein Malla/AP/picture alliance

Bis zuletzt war nicht klar, ob sich die politischen Blöcke auf einen Kandidaten verständigen würden. Die Einigung auf Joseph Aoun sei nun der Versuch, alle unter der Armee zu vereinen, sagte ein Regierungsvertreter der Deutschen Presse-Agentur.

Joseph Aoun, der am Freitag 61 Jahre alt wird, stammt aus einer Familie maronitischer Christen aus einem Vorort östlich von Beirut. Während der israelischen Besatzung im Libanon in den 1980er-Jahren begann er eine Laufbahn an der Militärakademie. Er wurde später zum General und 2017 zum Kommandeur der Streitkräfte ernannt.

Er hat unter anderem Politikwissenschaft und internationale Beziehungen studiert, hatte aber bisher kein politisches Amt inne. Aoun ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

Sinkender Einfluss der Hisbollah

Der Libanon ist konfessionell stark gespalten, und die Macht ist seit Jahrzehnten nach einem Proporz-System aufgeteilt. Der Präsident ist demnach immer ein Christ, der Regierungschef ein Sunnit und der Parlamentspräsident ein Schiit.

Eine besonders einflussreiche Rolle spielte dabei bisher auch die mit dem Iran verbündete Hisbollah. Diese hatte bis zuletzt ihren Wunschkandidaten Suleiman Frangieh unterstützt. Frangieh kündigte am Mittwochabend an, seine Kandidatur zurückzuziehen.

Die überraschende Einigung auf Aoun ist ein Zeichen, dass der politische Einfluss der Hisbollah im Land sinkt. Immer wieder hat die von vielen Ländern als Terrororganisation eingestufte Hisbollah Kandidaten für das Amt des Präsidenten wie auch des Regierungschefs blockiert. Damit entstand der Eindruck, dass die Schiitenmiliz die Wahl der beiden wichtigsten Ämter im Land diktieren kann.

UNIFIL-Patrouille im Südlibanon (im Oktober bei Qliyaa)Bild: picture alliance/dpa

Der Libanon befindet sich seit Jahren in einer tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise. Zuletzt wurde das Land durch den bewaffneten Konflikt der Hisbollah mit dem südlichen Nachbarland Israel geschwächt. Die vom Iran unterstütze Miliz und die israelische Armee hatten sich zwei Monate lang heftig bekämpft. In dem Krieg hat Israel unter anderem Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah getötet. Der Umsturz in Syrien hat die Miliz zusätzlich geschwächt.

Am 27. November trat eine Waffenruhe in Kraft. Vorgesehen ist, dass die israelische Armee den Südlibanon schrittweise verlässt. Auch die Hisbollah soll sich aus dem Grenzgebiet bis hinter den Fluss Litani zurückziehen und ihre militärischen Stützpunkte auflösen. Lediglich die libanesische Armee und Soldaten der UN-Friedenstruppe im Libanon (UNIFIL) sollen in der Region verbleiben.

AR/wa (dpa, kna, afp, rtr)

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