In dem Mittelmeerland ist die Stromversorgung komplett zusammengebrochen. Sie wiederherzustellen dürfte Tage dauern. Eine akute Versorgungskrise ist nur der Auslöser - die Ursachen liegen tiefer.
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Der libanesische staatliche Stromversorger EDL rechnet mit einem tagelangen kompletten Ausfall. Die beiden größten noch laufenden Kraftwerke in dem Mittelmeerland hätten am Freitag beziehungsweise Samstag wegen Treibstoffmangels den Betrieb eingestellt. Das Stromnetz sei zusammengebrochen und könne aktuell nicht wiederhergestellt werden, teilte EDL mit.
Ein Regierungsmitarbeiter sagte der Nachrichtenagentur Reuters: "Das libanesische Stromnetz hat heute Mittag komplett den Betrieb eingestellt, und es ist unwahrscheinlich, dass es am Montag oder in den nächsten Tagen wieder funktioniert." Nun dringe der Energieversorger darauf, die staatlichen Ölreserven anzapfen zu dürfen, doch das werde nicht allzu bald passieren, sagte der Regierungsmitarbeiter.
Warnungen und Treibstoffmangel
Schon vor zwei Wochen hatte EDL vor einem bevorstehenden Zusammenbruch gewarnt. In den vergangenen Tagen hatten die staatlichen Kraftwerke nur noch sehr wenig Strom produziert. Vor einer Woche war es bereits einmal zum Totalausfall gekommen. Im Libanon ist der sogenannte Lastabwurf, also das Abklemmen ganzer Stadtviertel von der Stromversorgung, gang und gäbe. In vielen Gegenden gab es nur wenige Stunden am Tag Strom, da die Kraftwerke insgesamt zu wenig Elektrizität ins Netz einspeisten, um den landesweiten Bedarf gleichzeitig zu decken.
Viele Libanesinnen und Libanesen leisten sich daher schon lange teure Generatoren, um etwas unabhängiger von der staatlichen Versorgung zu werden. Allerdings ist Diesel und Benzin in dem Land regelmäßig so knapp, dass sich lange Schlangen vor den Tankstellen bilden. Weil Devisen zur Neige gehen, kann die libanesische Regierung kaum noch für Ölimporte bezahlen. Am Freitag kündigte der Iran an, trotz US-Sanktionen weiteres Öl in den Libanon zu liefern. Auch wolle die Islamische Republik zwei Kraftwerke im Libanon bauen lassen. Außerdem bestehen Liefervereinbarungen für jordanischen Strom und ägyptisches Gas; mit dem Irak hat man sich auf einen Tauschhandel geeinigt, worin Libanon neues Öl für die Kraftwerke durch medizinische Dienstleistungen bezahlt.
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Schwerste Krise der Geschichte
Die Nachrichtenagentur dpa zitierte den Energie-Spezialisten Marc Ayoub von der Amerikanischen Universität Beirut, Libanon produziere derzeit nur 200 Megawatt Strom. Zum Vergleich: Ein einzelnes Windrad produziert, je nach Größe, zwischen drei und sechs Megawatt.
Der Libanon erlebt seit fast zwei Jahren die schwerste Wirtschafts- und Finanzkrise seiner Geschichte. Unter anderem verlor das libanesische Pfund massiv an Wert, aber auch stieg die Arbeitslosigkeit rasant an, so dass inzwischen rund drei Viertel der Bevölkerung in Armut leben.
Dazu kommt eine schwere politische Krise: Weite Teile der politischen Klasse gelten innerhalb der Bevölkerung als korrupt. Ein Proporzsystem, das Christen sowie sunnitische und schiitische Muslime gleichberechtigte politische Teilhabe garantieren soll, erschwert das Regieren im Land. Erst im September wurde im Libanon eine neue Regierung vereidigt, mehr als ein Jahr nach dem Rücktritt der vorherigen infolge der Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut.
Libanon - Leben ohne Strom und Benzin
Der Libanon leidet unter der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte, die zu einem dramatischen Versorgungsmangel geführt hat. Strom und Benzin sind Mangelware. Das hat Auswirkungen auf viele Bereiche des Lebens.
Bild: Hussein Malla/AP Photo/picture alliance
Keine Devisen
Der Libanon steckt in einer Wirtschaftskrise, wie sie das Land noch nicht erlebt hat. Das libanesische Pfund hat seit Ende 2019 ungefähr 90 Prozent seines Wertes verloren. Devisen sind mittlerweile ein kostbares Gut. Für die Bevölkerung, die nicht an harte Währung kommt, bedeutet das einen dramatischen Verlust an Kaufkraft.
Bild: Ahmed Said/AA/picture alliance
Alle suchen nach Gas und Benzin
Die Treibstoff-Knappheit ist ein Symptom der Wirtschaftskrise. Früher war Benzin im Libanon günstig und wurde großzügig vom Staat subventioniert. Aber diese Zeiten sind praktisch vorbei. Der Libanon muss Kraftstoffe importieren. Doch dem Land fehlen dafür die Devisen, alle Reserven sind so gut wie aufgebraucht. Und ohne Kraftstoff können die Kraftwerke nicht betrieben werden.
Bild: Ahmed Said/AA/picture alliance
Keine Klimaanlage
Daher - und auch wegen der grassierenden Vettern- und Misswirtschaft - ist Strom Mangelware. Menschen können bei den hohen Temperaturen kaum schlafen, denn ohne Strom kann auch die Klimaanlage nicht betrieben werden. Besonders ältere Menschen leiden darunter. Auch Aufzüge können nicht immer in Betrieb genommen werden, selbst wenn man zusätzlich für viel Geld Strom über private Firmen bezieht.
Bild: Houssam Shbaro/AA/picture alliance
Lange Schlangen vor Tankstellen
"Manchmal übernachten die Menschen in ihren Autos an den Tankstellen, um am nächsten Morgen Benzin zu ergattern", erzählt eine Libanesin aus Beirut. Viele Tankstellen öffnen nur ein ein paar Stunden am Tag. Die Verzweiflung ist mancherorts so groß, dass die Armee bereits eingreifen musste, weil es nicht nur Schlägereien, sondern auch schon Schusswechsel wegen des Treibstoffmangels gab.
Bild: Abd Rabbo Ammar/ABACA
Brotmangel wohin man blickt
Wer kein Benzin hat, kann oft nicht zur Arbeit fahren, da der Libanon, bis auf ein paar Busse, keinen öffentlichen Nahverkehr hat. Und wer sein Auto nicht tanken kann, kann kein Brot an Geschäfte oder Restaurants liefern. Mal abgesehen davon, dass man Strom auch zum Backen der Ware braucht. Dazu kommt: Auch die Preise für das subventionierte Brot wurden in den vergangenen Monaten angehoben.
Bild: Houssam Shbaro/AA/picture alliance
Lebensmittel verkommen
Die Liste der Zumutungen, mit denen die Libanesen im Alltag konfrontiert sind, wird immer länger. Teilweise müssen Lebensmittelhändler ihre Tiefkühlwaren wegwerfen, weil sie sonst verkommen. Die Menschen kaufen wegen des Strommangels überwiegend Lebensmittel ein, die keine Kühlung benötigen. Im Netz tauschen mittlerweile viele Libanesen Rezepte aus, die ohne gekühlte Lebensmittel auskommen.
Bild: Houssam Shbaro/AA/picture alliance
Bildungsnotstand droht
Die Kraftstoff- und Wirtschaftskrise hat auch Auswirkungen auf den Bildungssektor. Zum einen können Eltern teilweise die hohen Schulgebühren für private Schulen kaum noch zahlen; auch die Gehälter von Lehrern bleiben aus, gleiches gilt für den Hochschulsektor. Zum anderen kann während der Corona-Pandemie auch der Online-Unterricht ohne regelmäßigen Strom nicht gewährleistet werden.
Bild: Ahmed Said/AA/picture alliance
Krankenhäuser am Rande der Kapazität
Auch die Krankenhäuser im Libanon klagten zuletzt über massive Engpässe beim Treibstoff für ihre Generatoren. Denn ohne Generatoren müssen zum Beispiel auch Beatmungsgeräte abgeschaltet werden. Das medizinische Personal ist erschöpft: Mit einem neuen Anstieg der Corona-Infektionen stehen die Krankenhäuser im Libanon wieder am Rande ihrer Kapazitäten. Viele Ärzte sind längst ausgewandert.
Bild: Hussam Shbaro/AA/picture alliance
Medikamente sind knapp
Teilweise werden Patienten gebeten, ihre eigenen Medikamente mitzubringen. Denn auch Medikamente sind im Importland Libanon Mangelware. Apotheker geben schon lange keine ganzen Packungen mehr heraus, sondern rationieren. Vor wenigen Tagen tauchte ein Video im Netz auf, in dem ein Lager voll mit Medikamenten zu sehen ist. Der Händler wollte die Ware offenbar zu erhöhten Preisen verkaufen.
Bild: Bilal Jawich/Xinhua/picture alliance
Landwirtschaft in Gefahr
Der Agrarsektor des Libanon ist nach wie vor stark von vielen Importen abhängig, so wie von importiertem Saatgut, Düngemitteln oder Pestiziden. Einige Unternehmer versuchen, dies zu ändern. Doch um die Geräte zur Bewirtschaftung des Ackerflächen zu nutzen, brauchen sie ebenfalls, was überall fehlt: Strom.
Bild: Taher Abu Hamdan/Xinhua/picture alliance
Auch das Wasser wird knapp
Dem Libanon drohen zudem akute Engpässe bei der Wasserversorgung. Über vier Millionen Menschen könnten in den kommenden Tagen von Wassermangel betroffen sein oder den Zugang zu sauberem Trinkwasser gänzlich verlieren, warnte das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF erst vor wenigen Tagen. Die Organisation befürchtet auch eine Zunahme von Krankheiten infolge von mangelnder Hygiene durch Wasserknappheit.