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PolitikNahost

Libanon und Israel: Riskante Gedankenspiele

Sina Schweikle Beirut
21. Oktober 2020

Beide Staaten verhandeln seit kurzem über ihre Seegrenzen, doch nur wenige Libanesen könnten sich eine weitergehende Annäherung vorstellen. Wer dafür plädiert, bleibt lieber anonym, berichtet Sina Schweikle aus Beirut.

libanesisch-israelische Grenze
Durchkommen kaum möglich: die Grenze zwischen Libanon und IsraelBild: Sina Schweikle

Die Kaffeemaschine im Beiruter Stadtteil Gemmayzeh röhrt leise vor sich hin, während sich Café-Besitzer Mazen* mit seinen Gästen unterhält: "Habt ihr gehört?!" sagt er. "Unsere Regierung spricht jetzt mit Israel!" Freundlich bedient er seine Gäste weiter, um dann zu spekulieren: "Wer weiß, vielleicht ist das ja wirklich der Beginn von Frieden mit unseren Nachbarn!" 

Leidvolle Vergangenheit

Frieden mit Israel: Ein mutiger, ein kühner Gedanke, schließlich haben die beiden Staaten seit knapp 40 Jahren ein höchst angespanntes Verhältnis zueinander: Während des libanesischen Bürgerkriegs marschierte Israel 1982 im Nachbarland ein, um palästinensische Kämpfer zu vertreiben. Bis Mai 2000 blieb der südliche Libanon unter israelischer Kontrolle. Viele Bürger verließen das Gebiet, in das schließlich mehr und mehr die Hisbollah eindrang.

Märtyrerkult: Fotos gefallener Kämpfer in einem "Widerstandsmuseum" der HisbollahBild: Sina Schweikle

2006 kam es zu einem rund einmonatigen Krieg zwischen der Schiitenorganisation und Israel. Dieser endete zwar mit einem Waffenstillstand - doch ein Friedensvertrag kam nie zustande. Stattdessen kam es wiederholt zu kleineren Scharmützeln zwischen Hisbollah und israelischer Armee. Auf staatlicher Ebene führten beide Seiten gut 30 Jahre keine direkten Gespräche mehr.

Anonyme Friedenswünsche

Das hat sich seit vergangener Woche geändert. Vertreter beider Seiten erklärten zwar, ihre Gespräche beschränkten sich strikt auf den Verlauf der gemeinsamen Seegrenze und die Aufteilung der dortigen Gasvorkommen. Dennoch hofft nicht nur Caféhausbesitzer Mazen, das Treffen und die für Ende Oktober geplante nächste Begegnung könnten entgegen aller offiziellen Dementis den Auftakt zu weitergehenden Gesprächen bilden.

Wie auch andere Gesprächspartner legt Mazen aber Wert darauf, in diesem Zusammenhang nicht mit seinem richtigen Namen zitiert zu werden. Dies könnte in der Tat riskant sein. Wer als Israel-Sympathisant gilt, muss in bestimmten Kreisen nach wie vor mit Anfeindungen rechnen.

Pilgern nach Jerusalem

Mazen interessiert sich im Zusammenhang mit Israel weniger für Gasvorkommen im Mittelmeer als für seine persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten. Er ist Mitte 30, Christ, und hat viele Jahre im Ausland verbracht. Dann kehrte er in den Libanon zurück, um dort sein eigenes Café zu eröffnen. Nach der Explosion am 4. August am Beiruter Hafen war er einer der Ersten, die ihr Geschäft wieder zum Laufen brachten. Alles ist neu: Fenster, Türen, Kaffeetassen.

Mazen erinnert sich noch an die Erzählungen seiner Eltern und Großeltern: Die israelischen Soldaten seien während der Kriege stets freundlich zu den libanesischen Christen gewesen, sagt er. "Anders als die muslimischen Gegenden hatten die Israelis die christlichen Viertel im Krieg oft verschont." Als gläubiger Christ ist für Mazen eines von besonderer Bedeutung: Er möchte nach Jerusalem pilgern. "Ich wünschte, ich könnte ohne Probleme auf den Spuren Jesu Christi wandern", sagt er, während er nachdenklich weiteren Kaffee eingießt.

"Wir könnten doch nur profitieren!"

Nicht nur aus religiösen Gründen würde er sich eine Annäherung wünschen: "In Israel gibt es all das, was wir nicht haben: Strom, eine Regierung und eine starke Wirtschaft. Von offenen Grenzen könnten wir doch alle nur profitieren!"

Und dennoch meint er: Ein echter Friede mit Israel würde leider wohl zunächst einen weiteren Krieg und weiteres Leid voraussetzen. Denn längst nicht alle Libanesen seien mit der jüngsten Annäherung einverstanden, beobachtet er - am wenigsten die Anhänger der vom Iran unterstützten Hisbollah. Diese propagiert als eines ihrer Hauptziele die "Auslöschung" Israels. Erst wenn Libanon und Israel ein weiteres Kriegsszenario durchlitten hätten, würden sich beide Seiten am Ende vielleicht entschließen, stärker aufeinander zu zugehen, fürchtet Mazen.

"Mehr Angst vor Hunger als vor Israel"

Tatsächlich ist die Hisbollah politisch und militärisch ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor im Libanon. Allerdings wächst nicht erst seit der Explosion in Beirut im Land selbst die Kritik an der Schiitenorganisation und ihrer Rolle im politischen System.

"Die Menschen hier haben inzwischen mehr Angst zu verhungern als vor einem Angriff durch Israel", sagt Charif, ein sunnitischer Immobilienmakler aus Beirut. Die jüngst begonnenen israelisch-libanesischen Gespräche seien durchaus eine historische Annäherung, meint er. Aber viele seiner Mitbürger sähen darin vor allem ein verzweifeltes Manöver der Elite, um das krisengeschüttelte Land vor dem wirtschaftlichen Untergang zu retten. "Was Israel vom Libanon unterscheidet ist die Tatsache, dass es in Israel ein funktionierendes politisches System gibt", ergänzt Charif. Dann setzt er sich auf seinen Motorroller und braust davon.

Dialogangebot: Eine Instagram-Seite setzt sich für Aussöhnung mit Israel einBild: Instagram/Callingforpeace2020

Plattform für Annäherung

Auch in sozialen Medien wird über Israel diskutiert. Einige im Ausland lebende Libanesen haben sogar eine Instagram-Seite namens "callingforpeace2020" gegründet. Die Betreiber möchten damit eine Plattform bieten, auf der Nutzer anonym und sicher auch versöhnliche Meinungen über Israel kundtun können. "Es gibt noch immer viele Libanesen, die Israel hassen und es zerstören möchten", schreiben sie auf ihrer Seite. "Wir hingegen sind komplett dagegen. Denn wir wissen: Auch in Israel wünschen sich die Menschen Frieden!"

Bislang sind dies allerdings nur Einzelstimmen. Das zeigt sich auch daran, dass die Seite bisher nur wenig Follower hat. Die Grundstimmung gegenüber Israel im Libanon bleibt bei vielen ablehnend oder zumindest skeptisch - durchaus auch bei einem Teil der jungen Aktivisten, die sich für demokratische Reformen einsetzen.

"Das ist doch nur Show!"

Hussein El Achi ist Anwalt und Mitbegründer der Aktivistengruppe "Minteshreen". Er deutet die jüngsten Gespräche ganz anders als Caféhaus-Betreiber Mazen: "Wir sind inmitten einer wirtschaftlichen Katastrophe und blicken in eine schwarze Zukunft. Die Verhandlungen mit Israel sind doch nur eine Show, mit der die Regierung vor allem sich selbst zu retten versucht!" Zwar wünscht sich auch Hussein Frieden für sein Land. Doch erst wenn die Palästinenser ihr Land zurückerhielten, könne auch er sich Frieden mit dem Nachbarn vorstellen, betont er.

Tiefsitzende Traumata

Zur Solidarität mit den Palästinensern kommt sein persönlicher Erlebnishorizont hinzu: Hussein stammt aus einer Region sehr nahe der israelischen Grenze - ehemaliges Kriegsgebiet. Israel sei in seiner Wahrnehmung vor allem ein Staat, der sein Heimatdorf zerstört und dort viele Menschen getötet habe, erzählt er.

Ähnlich die Perspektive von Lea*. Als 2006 der Krieg zwischen Israel und Libanon ausbrach, war sie 16 Jahre alt und lebte wie heute im schiitisch dominierten Süden Beiruts, der als Hisbollah-Gebiet gilt. Dort erlebte sie, wie Häuser um sie herum bombardiert wurden und Menschen starben. "Bis heute habe ich Panikattacken, wenn ich Flugzeuge und Drohnen über mir höre. Ich will keinen Krieg mehr mit Israel - aber wie soll ich jemandem trauen, der mich so traumatisiert hat?", sagt sie.

Dauer-Protest gegen die eigene politischen Elite: Demonstration in Beirut Bild: Emma Freiha/Reuters

Die Emirate als Vorbild?

Zwar haben die Vereinigten Arabischen Emirate erst vor wenigen Wochen ein historisches Normalisierungsabkommen mit Israel geschlossen, ebenso wie Bahrain. Beide sind jedoch arabische Staaten, die nie auf eigenem Boden im Krieg mit Israel standen. Auch deshalb erscheint im "Frontstaat" Libanon eine derart weitgehende Annäherung an Israel in großer Ferne - trotz der Gespräche über die Seegrenzen.

Nicht nur die Erinnerungen an vergangenes Kriegsleid und daraus resultierende Ressentiments stehen dem im Wege. Hinzu kommt, dass die Libanesen vielleicht nie zuvor in der jüngeren Geschichte ihren politischen Führern so sehr misstraut haben wie heute. Auch dies ist nicht unbedingt ein gutes Omen für weitere Annäherungen: Denn es sind letztlich dieselben verschmähten Eliten, die nun auch ganz vorsichtig den Gesprächsprozess mit Israel begonnen haben.

* Namen von der Redaktion geändert

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