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Politik

Libyen als Bühne künftiger Kriege

3. März 2020

Nach dem Rücktritt des UN-Sondergesandten für Libyen, Salamé, fordert UN-Generalsekretär Guterres ein Ende der Feindseligkeiten. Derzeit scheint es allerdings eher, als zeige sich in Libyen das Modell kommender Kriege.

Libyen Konflikt Symbolbild ARCHIV
Bild: AFP/M. Turkia

Es waren kurze Worte, in denen Stéphane Dujarric, Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres, den Rücktritt des UN-Sondergesandten für Libyen, Ghassam Salamé, kommentierte. Der Generalsekretär habe immer volles Vertrauen in die Arbeit von Herrn Salamé gehabt. Nach dessen Rücktritt werde er mit ihm darüber diskutieren, wie ein reibungsloser Übergang gewährleistet werden könne, um die Dynamik der Verhandlungen nicht zu verlieren.

Die Dynamik, so konnte man Dujarric verstehen, hat bislang allerdings eine bestenfalls überschaubare Kraft entwickelt. Grundlegende Ziele sind auch nach jahrelanger Vermittlung nicht erreicht. "Der Generalsekretär", gab Dujarric dessen wichtigstes Anliegen wieder, "fordert die sofortige Einstellung der Feindseligkeiten und erinnert an die kürzlich verabschiedete Resolution 2510 des Sicherheitsrates und fordert deren Umsetzung."

Salamé fast ohne Chance

Der Rücktritt Salamés ist die Konsequenz der fehlenden Unterstützung, die er seitens aller in Libyen engagierten Akteure zur Kenntnis nehmen musste, sagt die am Londoner King's College forschende Politikwissenschaftlerin und Libyen-Expertin Inga Trauthig. Weder die durch den UN-Sicherheitsrat vertretene internationale Gemeinschaft noch die in Libyen aktiven Staaten seien ihm zur Seite gesprungen. Auch die libyschen Akteure hätten es an jeglichem Engagement fehlen lassen.

Zieht Konsequenzen aus mangelnder Unterstützung: UN-Sondergsandter für Libyen, Ghassam SalaméBild: Reuters/D. Balibouse

"Noch in der vergangenen Woche hat Salamé erklärt, dass er nach der Berliner Konferenz vom Januar zwar verbal unterstützt worden sei. Doch dann habe er erfahren müssen, dass sich niemand daran hielt - stattdessen wurde eskaliert. Außerdem hat er sich frustriert darüber gezeigt, dass von libyscher Seite immer wieder Forderungen an ihn herangetragen wurden, denen er nicht gerecht werden konnte."

Gescheitert sei Salamé auch an dem Umstand, dass die politischen, ökonomischen und militärischen Probleme Libyens nicht hinreichend voneinander getrennt wurden, so Trauthig. "Er hatte ebenso wie die UN und die Bundesrepublik deutlich darauf gesetzt, diese drei Prozesse unabhängig voneinander anzugehen. Das ist allerdings nicht geschehen." Besonders schwierig sei es gewesen, politische Kompromisse zu finden. "Es war kaum möglich, die politischen Amtsträger aus dem Osten und dem Westen Libyens zusammenzubringen. Hier gab es kaum Kompromisse, ja noch nicht mal ein Treffen mit allen Vertretern."

Eine komplexe Interessenslage

Der Konflikt ist auch darum so schwer zu lösen, weil die beteiligten nationalen und internationalen Akteure ganz spezifische Interessen verfolgen. Am Dienstag wurde bekannt, dass der mit der Regierung in Tobruk verbundene General Chalifa Haftar eine diplomatische Vertretung in Syrien eröffnet hat. Bei einer Feier in der Hauptstadt Damaskus erklärte Syriens Vize-Außenminister Faisal al-Mikadad, beide Länder kämpften gegen den "Terrorismus" und dessen Unterstützer.

Für die syrische Regierung bedeutet dies einen weiteren, wenngleich kleinen Schritt in Richtung internationaler Anerkennung. Haftar wiederum kann auf die Unterstützung Syriens hoffen - und damit indirekt auch sogar seiner Verbündeten, dem Iran und der Hisbollah. Beziehungen zu Syriens bedeutendstem Verbündeten, Russland, hat Haftar längst.

Haftar und Assad verbindet zudem ein weiteres: Beide sind mit der Türkei verfeindet. Die Türkei wiederum unterstützt militärisch die - nicht gewählte - Regierung der Nationalen Einheit unter Fajis al-Sarradsch. Von ihr erhofft sich die Türkei Vorteile im Streit um die vor einigen Jahren entdeckten Erdgasvorkommen im Mittelmeer. Diese liegen nicht in türkischem, zu Teilen aber in libyschem Seegebiet.

Zudem ist die Türkei den Muslimbrüdern gewogen - und stößt damit auf den vehementen Widerstand der Regierung in Ägypten. Nach dem Sturz des aus den Reihen der Muslimbrüder stammenden Präsidenten Mohammed Mursi im Jahr 2013 bekämpft die Regierung al-Sisi unter Missachtung grundlegender Menschenrechte die Muslimbruderschaft. Nun fürchtet sie deren Renaissance in Libyen - und trägt, ebenso wie einige Golfstaaten, allen voran die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), zur Internationalisierung des Konflikts in Libyen bei.

Auch die EU verfolgt in Libyen Interessen. Vor allem will sie verhindern, dass Libyen zu einer unkontrollierten Drehscheibe für Flüchtlinge und Migranten wird. Das allerdings könne die Europäische Union nur erreichen, wenn ihre Mitgliedstaaten gemeinsam aufträten, sagt Inga Trauthig vom Londoner King's College. Dabei gelte es im Auge zu behalten, dass die Flüchtlinge besonders stark von den Kämpfen betroffen seien. "Die Fluchtbewegungen lassen sich zudem nicht stoppen, sondern nur managen. Europa könnte seinen Einfluss zu steigern - vorausgesetzt, die einzelnen Staaten agieren zusammen und nicht als einzelne." 

Flüchtlingsdrama im Mittelmeer

03:15

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Modell für die Krieg der Zukunft?

Der Libyen-Experte Wolfram Lacher von der Berliner "Stiftung Wissenschaft und Politik" hat in einem Papier auf die grundlegenden Dynamiken des Konflikts in Libyen hingewiesen. Dort zeigten sich drei Charakteristika künftiger bewaffneter Auseinandersetzungen.

So würden in Libyen regelmäßig Kampf-Dronen eingesetzt. Diese minderten nicht nur das Risiko der beteiligten Akteure, sondern wären auch hilfreich, deren Identität zu verschleiern. Demselben Ziel diene der Einsatz von Söldnertruppen, von denen unklar sei, in wessen Auftrag sie arbeiteten, in staatlichem oder privatem.

Die Tendenz, die Identität der Akteure zu verbergen beruhe auf dem Umstand, dass große Mächte zunehmend dazu bereit seien, mit solch verschleierten Taktiken zu arbeiten. Auch die Politik gezielter Desinformation setze in Libyen neue Standards. "Mit minimalen Investitionen und der Tendenz, möglichst wenig oder gar keine offiziellen Spuren zu hinterlassen, verringern ausländische Mächte zum einen die Risiken ihrer regulären Kräfte. Zum anderen vermeiden sie es so, dass ihre Handlungen verurteilt werden", erklärt Lacher.

Eine solche Dynamik schwäche auch die Autorität des UN-Sicherheitsrats. "Dieses Gremium kümmert sich nicht mehr darum, ob seine Sanktionen und Resolutionen gegen Libyen umgesetzt werden", führt der Libyen-Experte aus. Stattdessen setze sich in Libyen die Strategie eines nicht offen ausgetragenen Krieges durch, der die internationale Ordnung zunehmend untergrabe.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika