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PolitikNahost

Libyen: Politisches Comeback der Gaddafi-Familie?

Cathrin Schaer
17. September 2021

Die Kinder des 2011 getöteten Diktators Muammar al-Gaddafi gewinnen einige Monate vor den Wahlen anscheinend an Popularität. Vor allem einer seiner Söhne könnte von der komplizierten Lage im Land profitieren.

Libyen Führer Muammar al-Gaddafi
Ende einer Langzeit-Herrschaft: 2011 wurde der libysche Diktator Muammar al-Gaddafi gestürzt und getötetBild: ADEM ALTAN/AFP/Getty Images

Gaddafi: Der Name des gestürzten libyschen Diktators tauchte dieser Tage wieder in den Schlagzeilen der libyschen Presse auf. Gemeint war allerdings nicht Muammar al-Gaddafi, der ehemalige Revolutionsführer und starke Mann des nordafrikanischen Landes, sondern sein Sohn Saadi. Dieser wurde Anfang September aus dem Gefängnis entlassen. Presseberichten zufolge verließ er das Land unmittelbar nach seiner Freilassung in Richtung Türkei.

Sieben Jahre lang war Saadi al-Gaddafi in einem Gefängnis in Tripolis inhaftiert. Verurteilt worden war er wegen Gewaltverbrechen gegen Demonstranten während des Aufstands im Jahr 2011, in dessen Verlauf das Regime seines Vaters gestürzt worden war. Auch des Mordes an dem libyschen Fußballspieler und Regimekritiker Bashir al-Rayani im Jahr 2005 war er angeklagt, von diesem Vorwurf dann aber wieder freigesprochen worden.

Agenturberichten zufolge wurde der 47-jährige al-Gaddafi nach Verhandlungen zwischen hochrangigen Stammesvertretern, dem Interimspremierminister des Landes, Abdul Hamid Dbeibah, und dem ehemaligen Innenminister Fathi Bashagha freigelassen.

Einwohner der Stadt Tripolis äußerten sich in Medienberichten skeptisch über die Motive, die zu Gaddafis Freilassung führten. "Meiner Ansicht nach ist sie auf politische Absprachen zwischen dem Präsidenten nahestehenden Personen zurückzuführen", erklärte ein Bürger in einem Beitrag des panafrikanischen Medienanbieters Africanews.

Freigelassen: Saadi al-Gaddafi, einer der Söhne Gaddafis, in einer Aufnahme aus dem Jahr 2015Bild: Epa/dpa/picture alliance

Beobachter nehmen an, dass Äußerungen wie diese auf eine grundsätzliche Entwicklung deuten: Mit dem Nahen der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 24. Dezember gewinnt der Name Gaddafi offenbar zunehmend an Bedeutung.

Zerstreute Familie

Bis zu seinem Sturz hatte Moammar Gaddafi Libyen über vier Jahrzehnte lang mit eiserner Hand regiert. Drei seiner sieben Söhne wurden während der gewaltsamen Aufstände getötet.

Die meisten verbleibenden Mitglieder seiner Familie - die Söhne Mohammed und Hannibal, die Tochter Aisha und die Ehefrau Safia - erhielten Asyl im Oman. Der 45-jährige Sohn Hannibal sitzt inzwischen mutmaßlich im Libanon in Haft, nachdem er dort Ende 2015 im Zusammenhang mit dem Fall eines 1978 in Libyen verschwundenen libanesischen Geistlichen verhaftet worden war. Hannibals Frau und Kinder halten sich vermutlich als Flüchtlinge in Damaskus auf. 

Der vielleicht bedeutendste Spross der Gaddafi-Familie ist jedoch nicht der kürzlich freigelassene Saadi al-Gaddafi, sondern sein Bruder Saif al-Islam al-Gaddafi, das derzeit einzige Familienmitglied mit bekannten politischen Ambitionen.

Saif war im Herbst 2011 von Stammesmilizen im Nordwesten Libyens gefangen genommen worden. 2017 wurde er freigelassen. Doch der Gaddafi-Junior entschied sich, weiter bei ihnen zu leben. In einem Interview mit der New York Times Ende Juli dieses Jahres bezeichnete er seine ehemaligen Wächter als seine "Freunde".

Zudem deutete er in dem Interview eine mögliche Kandidatur bei den für Dezember anvisierten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an.

Exzentrisch und brutal

Tatsächlich könnte Saif, der im Westen früher lange als möglicher Reformer eingeschätzte Sohn des für seine Exzentrik und Brutalität berüchtigten toten Ex-Diktators, angesichts der politisch zersplitterten Lage in Libyen nun durchaus ein politisches Comeback feiern. Zumindest die Umstände erscheinen günstig.

Politisch wieder im Spiel? Gaddafi-Sohn Saif al-Islam, hier eine Aufnahme von 2008Bild: MAHMUD TURKIA/AFP/Getty Images

Das liegt ganz wesentlich daran, dass die politische Landschaft Libyens in den vergangenen Jahren vergleichsweise komplex geworden ist. Noch im Revolutionsjahr 2011 standen die Akteure zumeist entweder auf Seiten des Diktators oder auf denen der Revolutionäre. Erst nach Ausbruch des Bürgerkriegs ließen sie sich auch für Außenstehende klar geografisch, nämlich in eine östliche und westliche Fraktion mit unterschiedlichen regionalen Interessen, unterteilen. Der militärische Befehlshaber der einen Seite, Khalifa Haftar, befand sich im Osten, während Fayez al-Sarraj im Westen eine international anerkannte Regierung anführte, deren Einfluss jedoch kaum über die Hauptstadt hinausreichte.

Diese Spaltung verhinderte über Jahre hinweg auch die Bildung einer nationalen Konsens-Regierung. "Es gibt in Libyen bis heute keinen Akteur, der die politische Szene eindeutig dominieren könnte", sagt der Politologe Tim Eaton vom Londoner Thinktank Chatham House. "Die Lage lässt sich mit einem Schachspiel mit verschiedenen Anführern und Netzwerken vergleichen", so Eaton." Alle Akteure auf diesem Brett versuchen Allianzen zu schmieden oder vielleicht in Kooperation bestimmte Dingen zu erreichen, auch wenn die Zusammenarbeit begrenzt ist."

Neue politische Allianzen?

Ähnlich sieht es der Analyst Mohamed Omar Dorda, Mitbegründer der kommerziell arbeitenden Beratungsfirma Libya Desk, die unter anderem über Kontakte zu Mitgliedern des ehemaligen Regimes verfügt und auch mit der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung kooperiert. "Die politische Landschaft des Landes ist auf das Äußerste zersplittert und zudem sehr in Bewegung ", so Dorda.

"Traditionelle Allianzen gehören der Vergangenheit an. Inzwischen redet jeder mit jedem, und Personen, die 2011 verhaftet und ins Abseits gestellt wurden, erwecken zunehmend den Eindruck, als könnten sie sich zu einer wichtigen Allianz verbinden", so Dorda im DW-Interview. 

Die Verhandlungen über die Freilassung von Gefangenen wie Saadi Gaddafi könnten Teil dieser Bündnisbildung sein, nimmt Dorda an. Diese politischen Zusammenschlüsse seien nicht mehr ideologisch, sondern folgten einem reinen Machtkalkül. Darüber komme auch die Familie Gaddafi wieder ins Spiel.

Unterstützung durch regionale Staaten?

Womöglich kann Saif al-Gaddafi auch auf politische Unterstützung aus Ägypten rechnen. So erklärte der ägyptische Parlamentsabgeordnete Mustafa Bakri dem Internet-Magazin Al-Monitor gegenüber, dass Saif al-Islam die Verhältnisse in Libyen verändern werde - und zwar nicht nur, weil er der Sohn Gaddafis sei, sondern auch, weil er eine präzise Vorstellung von der politischen Zukunft des Landes habe und zudem mit vielen Anhänger in ganz Libyen rechnen könne. Saif al-Islam könne eine ernsthafte Option zur Wiedervereinigung Libyens sein, so Bakri.

Anfang August sagte der der ägyptischen Regierung verbundene Journalist Amr Abdel Hamid in der Sendung "Rai Aam" ("Öffentliche Meinung"), Saif al-Islam habe durch sein Interview in der New York Times die Libyer zur Teilnahme an den im Dezember anstehenden Wahlen bewegen wollen, um Libyen aus der "Unterdrückung" herauszuführen.

Hoffnung, die in Zerstörung endete: ein im Krieg zerstörtes Haus in Tripolis, Mai 2020Bild: picture-alliance/Photoshot/A. Salahuddien

Zugleich gibt es allerdings in mehreren regionalen Medien Spekulationen darüber, dass auch die Türkei - gerade bei der Unterstützung von Konfliktparteien in Libyen politisch bisher in Gegnerschaft zu Kairo - Interesse am Aufbau guter Beziehungen zu Mitgliedern der Gaddafi-Familie hat. Dies könnte zugleich eine Erklärung dafür sein, warum Gaddafi-Sohn Saadi nach seiner überraschenden Freilassung laut türkischen und weiteren Medienberichten Richtung Türkei ausreiste.    

Präsident Gaddafi?

Tatsächlich ist die Familie Gaddafi bei einem Teil der Libyer weiterhin beliebt.  "Angesichts der Erfahrungen der vergangenen Jahre sind einige Libyer der Ansicht, dem Land sei es unter Gaddafi besser gegangen", so Eaton. Selbst frühere politische Gegner sähen dies teilweise so. Ein Teil der Libyer habe die Gaddafis politisch zudem nie aufgegeben. An manchen Orten werde immer noch noch die grüne Flagge, das Erkennungszeichen des Diktators, gehisst, so Eaton. Für Gaddafi-Sohn Saif al-Islam könne es also durchaus eine Wählerschaft geben.

Saif habe durchaus Chancen, bei den Wahlen gut abzuschneiden, nimmt auch der libysche Experte Mohamed Omar Dorda an. Auch wenn er auf die Präsidentschaftskandidatur verzichten und stattdessen die Rolle des "Königsmachers" anstreben würde, wäre ihm großer Einfluss wohl sicher.

Eaton ist hier skeptischer. Zwar deuteten einige Quellen darauf hin, dass Saif al-Gaddafi für viele Menschen als wählbarer Kandidat gilt. Fraglich sei aber, wie er wieder in den Vordergrund treten könnte, so der Analyst vom Chatham House. "Weder kann er sich frei in Libyen bewegen noch verfügt er über ihm ergebene Streitkräfte. Insofern erscheint mir sein Wahlsieg als kühne Vorstellung."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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