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Politik

Die Macht der ausländischen Akteure

24. Juni 2020

Der ägyptische Präsident hat gedroht, in Libyen militärisch zu intervenieren. Dann stünde neben russischen Söldnern und der Türkei eine dritte ausländische Macht in dem Land. Es steht viel auf dem Spiel.

Konflikt in Libyen
Triumph: Kämpfer der der libyschen Einheitsregierung verbundenen Truppen westlich von Tripolis Bild: picture-alliance/XinHua/H. Turkia

Die Botschaft der Außenminister klang eindeutig: Die Integrität Libyens solle auf jeden Fall erhalten bleiben, das Land nicht in von ausländischen Akteuren kontrollierte Regionen auseinanderfallen, erklärten sie auf einer Dringlichkeitssitzung der Arabischen Liga am Dienstag. Ein Zerfall würde das Land auch gesellschaftlich auseinanderreißen.

Militärischen Interventionen aus dem Ausland erteilten die Minister darum eine klare Absage. "Die militärische Option wird keiner Seite einen Sieg verschaffen", warnte der Generalsekretär der Liga, der ägyptische Diplomat Ahmed Aboul Gheit auf der Video-Konferenz. "Ebenso wenig wird militärisches Engagement Frieden bringen oder für politische Stabilität in Libyen sorgen."

Sirte als "rote Linie" für Ägypten 

Im Vorfeld der Sitzung hatte der ägyptische Premier Abdel Fattah al-Sisi deutliche Warnungen in Richtung der von Fajis al-Sarradsch geführten Regierung der nationalen Einheit ausgesprochen. Der Vormarsch der von der Türkei unterstützten Streitkräfte der libyschen Einheitsregierung auf die wichtige libysche Küstenstadt Sirte sei eine "rote Linie" für Ägypten. Anfang des Monats hatte Ägypten sich noch als Vermittler empfohlen.

Von Sirte aus lassen sich mehrere Häfen sowie zahlreiche Ölpipelines und Gasleitungen des Landes relativ leicht kontrollieren. Die Stadt gilt darum als strategisch höchst bedeutsam. Wer sie kontrolliert, hat auch wichtige materielle und ökonomische Ressourcen für ein militärisches Engagement in der Hand, die sogar kriegsentscheidend sein könnten. Ägypten fürchtet, auf dem Weg über Sirte könnten die Truppen Al-Sarradschs ihre Kontrolle über weite Landesteile ausbauen. Al-Sarradsch paktiert auch mit islamistischen Gruppen. Diese sind Ägypten ein Dorn im Auge.

Al-Sisis Kalkül

Sollte Ägypten es tatsächlich wagen, in Libyen zu intervenieren? Wahrscheinlich sei das nicht, sagt der Politikwissenschaftler Tarek Megerisi vom "European Council on Foreign Relations" (ECFR) im DW-Gespräch. Er hält Al-Sisis Warnung vor roten Linien für einen Bluff, der das weitere Vorrücken der Truppen Al-Sarradschs unterbinden soll. Zudem sei dies eine Warnung an die Türkei, die sich militärisch für die Regierung Al-Sarradsch engagiert, deren Sieg Ägypten wiederum mit aller Macht verhindern will. "Al-Sisi gibt der Türkei durch diese Drohung zu verstehen, dass es besser für sie ist, zu Ägypten ein friedliches als ein feindliches Verhältnis zu haben."

Verbündete: Der türkische Außenminister Cavusoglu (li.) im Gespräch mit dem libyschen Premier Al-SarradschBild: picture-alliance/AP Photo/Pool/Turkish Foreign Ministry/F. Aktas

Allerdings agiert die Türkei in Libyen sehr effektiv. Dank ihr ist es der Regierung der Nationalen Einheit verbundenen Truppen gelungen, den seit über einem Jahr andauernden Vorstoß von General Chalifa Haftars Truppen Richtung Westen aufzuhalten und schließlich sogar zurückzudrängen

Voraussetzung dieser Wende, schreibt der Libyen-Experte Wolfram Lacher von der Berliner "Stiftung Wissenschaft und Politik", war der teilweise Abzug von Söldnern des in Libyen präsenten russischen Militärunternehmens Wagner. Russland unterstützt die Truppen Haftars.

Der Einfluss Russlands und der Türkei

Durch den Rückzug Moskaus haben Haftars Truppen einen Großteil ihrer Schlagkraft verloren. Im Gegenzug hat die türkische Armee auf Luftschläge auf die Angreifer verzichtet. "Haftars Offensive fiel also einer türkisch-russischen Abmachung zum Opfer", so Lacher. Dennoch profitieren die Truppen Al-Sarradschs nicht von der Schwäche ihres Gegners. Mit Hilfe von Drohnen aus den Vereinten Arabischen Emiraten - diese unterstützen ebenfalls die Truppen General Haftars - wurden sie daran gehindert, Haftar noch weiter aus dem libyschen Westen zu vertreiben. An dieser Entwicklung zeigt sich, welchen Einfluss internationale Akteure wie die Türkei und Russland in Libyen haben.

Rückzug: der Kommandant der der Exilregierung in Tobruk verbundenen Streitkräfte, General HaftarBild: picture-alliance/dpa/A. Tzortzinis

Mit deren Engagement stehen und fallen zugleich die innerlibyschen Allianzen. Diese lösen sich so kurzfristig auf wie sie sich zuvor gebildet haben. Die Unterstützer beider Seiten haben vor allem direkte Erfolge im Blick und sind kaum dem Wohl des Landes, umso mehr aber ihren eigenen Interessen verpflichtet. Fahren die ausländischen Interventionsmächte ihre Unterstützung zurück, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf das taktische Kalkül der den beiden Kriegsherren verbundenen Milizen. "Wo auch immer die Linie gezogen wird - die Türkei ist zur dominierenden Macht in Westlibyen geworden und Russland zum wichtigsten Schutzherrn Haftars", schreibt Lacher.

Zugleich hat sich das NATO-Land Türkei durch sein Engagement in ein spannungsvolles Verhältnis zu Frankreich gesetzt, das dem westlichen Verteidigungsbündnis ebenfalls angehört. Frankreich ist in erster Linie daran interessiert, die im Süden Libyens beginnende Sahelzone zu befrieden, in der mehrere dschihadistische Gruppen aktiv sind. Dazu ist die Regierung in Paris auf möglichst stabile Verhältnisse in Libyen angewiesen. Diese sieht sie durch die von islamistischen Gruppierungen abhängige Regierung von Al-Sarradsch in Frage gestellt.

Düstere Aussichten

Ob es unter diesen Umständen gelingt, den Konflikt zu stoppen und Friedensverhandlungen in Gang zu setzen, ist zweifelhaft. Die internationalen Akteure haben in den libyschen Krieg viel investiert - zuviel womöglich, um von ihren Zielen einfach abzulassen. Für Verhandlungen hieße das, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach im Geist jenes Nullsummenspiels geführt würden, dass auch die Logik der militärischen Auseinandersetzung prägte. "Ein Abkommen würde wieder eine einzige Regierung und Armeeführung schaffen, die sich dann gegen jegliche ausländische Militärpräsenz wenden könnten", schreibt Wolfgang Lacher. "Es liegt daher weder im türkischen noch im russischen Interesse, den Konflikt zu lösen - sondern ihn einzufrieren."

Schwarzer Rauch: Kämpfe in Tripolis, April 2020Bild: picture-alliance/XinHua/A. Salahuddien

Diese Sorge dürfte die Arabische Liga bewogen haben, nun ihrerseits einen Interessensausgleich in Libyen anzustoßen. Ein eingefrorener Konflikt ließe das Land über Jahre nicht zur Ruhe kommen und hätte unabsehbare Folgen. Teile einer perspektivlosen Jugend könnten sich radikalisieren und ihr Heil entweder in mafiotischen und/oder extremistischen Netzwerken suchen.

"Es gibt immer eine Lösung, doch nur sehr wenige Menschen wollen sie vorantreiben", sagt Tarek Megerisi. Genau diesen Leute fehle aber die politische Macht, Verhandlungen zu einem für alle einvernehmlichen Ende zu führen. Nach der Niederlage Haftars sollten sich die libyschen Akteure zu Verhandlungen unter der Regie der Vereinten Nationen zusammenfinden. Die UN setzen sich bereits seit längerem für ein Waffenembargo gegen Libyen ein. "Leider", sagt Megerisi, "sind aber zu viele ausländische Staaten zu sehr auf ihre kurzfristigen Interessen fixiert, um das zu tun."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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